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Empfindliche Vorkoster

Sicherheitsforschung. - Auf die Trinkwasserqualität verlässt sich hierzulande jeder blindlings. Ein Giftanschlag auf die Wasserversorgung könnte daher schnell zahllose Opfer fordern, denn die Laborbefunde der Routineanalysen dauern Stunden. Damit diese Horrorvision nie Wirklichkeit wird, entwickelt ein Konsortium unter Leitung der Berliner Wasserbetriebe ein neuartiges Sensorsystem, das die Trinkwasserqualität kontinuierlich überwacht.

Von Ralf Krauter | 26.03.2010
    Rund 550.000 Kubikmeter Trinkwasser pumpen die Berliner Wasserbetriebe derzeit täglich ins 8000 Kilometer lange Leitungsnetz der Hauptstadt. Ein beträchtlicher Teil davon stammt aus dem Wasserwerk Friedrichshagen, am Nordufer des Müggelsees. In einer großen Halle pressen mächtige Pumpen das Trinkwasser in meterdicke Rohrleitungen. Eine Batterie von Messfühlern überwacht online die Reinheit des Produkts.

    "Hier sehen sie den Leitwert, die Leitfähigkeit. Dann sehen sie hier Trübung oben, Sauerstoffgehalt, und Temperatur und pH-Wert…"

    Wenn ein Bösewicht auf die Idee käme, beispielsweise an einer der jährlich rund 3000 Berliner Baustellen toxische Substanzen in die Rohre zu leiten, würde man das in Friedrichshagen unter Umständen allerdings erst mit deutlicher Verspätung mitbekommen. Erklärt Jens Feddern, der Leiter der Wasserversorgung.

    "Wir haben ja bis zu 16.000 Proben jedes Jahr, die wir aus dem Netz entnehmen. Da würde man schon Hinweise bekommen. Dann haben wir auch Online-Messgeräte, die bestimmte Dinge messen, wie zum Beispiel die Temperatur, das Redox-Potenzial, also eine Veränderung im Trinkwasser, die würden wir detektieren. Das Problem ist nur: Damit sind nicht alle Substanzen, die wir heute kennen, die schädigend wirken können, abgedeckt. Das ist das eine. Zum anderen muss man sagen: Die Analytik, die braucht heute Zeit. Das heißt, es vergehen bis zu 48 Stunden, bevor wir wissen, was eigentlich da drin ist. Um diese Zeit drastisch zu verkürzen, brauchen wir andere Ansätze."

    Um die zu entwickeln, hat der Diplom-Ingenieur das 3, 2 Millionen schwere Forschungsprojekt Aquabiotox ins Leben gerufen. Feddern:

    "Das Ziel dieses Vorhabens ist es, dass wir versuchen, einen Breitbandsensor einzusetzen, der uns im Trinkwasser jetzt nicht genau sagt, was drin ist. Sondern, der mir sagt, und zwar verlässlich sagt, das Wasser ist für den menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet und die netzgebundene Trinkwasserversorgung muss sofort eingestellt werden."

    Bei Spuren von Nervengiften, Schwermetallen, Zyaniden oder Pflanzenschutzmitteln soll der neuartige Trinkwasser-Wächter im Nu Alarm schlagen. Damit das funktioniert, setzen die Forscher auf biologische Vorkoster. Empfindliche Mikroorganismen bilden das Herzstück des Breitbandsensors. Darunter auch kleine Wasserkrebse, die so genannten Daphnien, die sehr sensibel auf Gifte im Wasser reagieren.

    Die Laborversion solch eines Daphnien-Toximeters steht im Keller einer denkmalgeschützten Pumpstation. Noch ist das Gerät groß wie ein Kühlschrank, künftig soll es in einen Schulranzen passen.

    "Ich zeig Ihnen mal was… "

    Projektleiterin Fereshte Sedehizade zieht ein zigarettenschachtelgroßes Aquarium aus der surrenden Maschine.

    "Da sind die Daphnien drin. Und hier sind die Kamera und die Leuchtdioden."

    Strömen Toxine in die Kammer, ändern die Kleinkrebse ihre Bewegungsmuster, was eine Kamera sofort registriert. Wirklich neu ist das nicht. Die Herausforderung besteht darin, die Geräte reif für den rauen Alltag zu machen. Um das Berliner Trinkwassernetz zu überwachen, müssten an verschiedenen Stellen rund ein Dutzend solcher Toximeter eingebaut werden. Praktikabel ist das nur, wenn die Geräte mindestens drei Monate lang wartungsfrei laufen. Weil Daphnien nicht auf Nervengifte ansprechen, sollen sie durch andere Biosensoren ergänzt werden. Darunter Hamster-Zellkulturen und speziell modifizierte Bakterienstämme, die schwach leuchten, solange keine Toxine im Wasser schwimmen. Feddern:

    "Wenn man jetzt die einzelnen Signale untereinander speziell verknüpft, einmal in den Zellkulturen, dann wieder mit den klassischen Parametern, die wir haben, und den Daphnien, dann kommt man am Ende zu einem – im Labor zumindest ausprobierten – stabilen und sehr verlässlichen Signal. Was wir jetzt als nächstes machen wollen, ist klar. Im Labor funktioniert das alles. Und jetzt wollen wir das mal in der rauen Wirklichkeit ausprobieren."

    In einem 600 Meter langen unterirdischen Testnetz, sollen die Trinkwasser-Wächter demnächst unter realen Bedingungen erprobt werden. Eine der Gretchenfragen wird sein, wie sicher sich Fehlalarme im Betrieb mit innen bewachsenen Rohren und wechselnden Strömungsverhältnissen vermeiden lassen.