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Empirisch gewellt

Es gibt bisher weltweit keine 'Frisurwissenschaft'. Doch vielleicht wird es sie an der TU Darmstadt bald geben - das Darmstädter Haarpflege-Unternehmen Wella findet nämlich an dem Gedanken gefallen. So einige WissenschaftlerInnen beschäftigen sich bereits mit Frisur und Haar: Soziologen oder Kulturwissenschafter, aber auch Pädagogen oder Historiker. Besonders in der Geschlechterforschung sind Frisuren ein Thema: Frauen und Männer gerieten sich nämlich immer wieder in die Haare – zum Beispiel bei der Frage, wer die kunstvollere Frisur tragen durfte. Diese 'haarige Forschung' wurde am Wochenende vorgestellt.

    Von Ludger Fittkau

    Dass mit Christian Janecke zur Zeit ein Mann Inhaber der Wella-Stiftungsdozentur für Mode und Ästhetik an der TU Darmstadt ist - das ist keineswegs selbstverständlich. Denn die Haarmode ist nach wie vor eine Frauendomäne – ob im Friseurberuf oder in der Werbung. Doch das war nicht immer so: Bis Mitte des 18. Jahrhundert war der Kopfschmuck weitgehend Männersache.

    Erst in der Zeit des Rokoko stellen adlige Frauen das Privileg der mächtigen Männer in Frage, aus ihren Haaren Kunstwerke zu machen. Die sogenannten Hochsteckfrisuren der höfischen Damen gerieten ins Kreuzfeuer karikaturistischer Kritik, berichtet Christian Janecke:

    Das sind Frisuren, die natürlich schon Ausdruck sind schon eines individuellen Modestrebens, auch einer Übertrumpfung, es gibt das ein regelrechtes agonales Wettbewerbsprinzip. Dieses Privileg, das wollten nur Könige für sich beanspruchen. Und dann die vielen kleinen Könige, also wir Männer und wollten es den Frauen nicht zugestehen.

    Im Mittelalter war das Frauenhaar nicht so sehr Sache der Ästhetik, sondern eher der Justiz. Um sexuelle Gewalt gegen Frauen zu ahnden, gab es im mittelalterlichen Recht genaue Anweisungen an die Frauen, wie sie ihr Haar vor Gericht zeigen sollen. Christine Künzel, Kulturwissenschaftlerin an der Universität Hamburg, fand das anhand von Bilddarstellungen des einflussreichsten Rechtsbuchs des Mittelalters, des sogenannten "Sachsenspiegels", heraus:

    Und zwar war es anscheinend so dass die Frau sich im Beisein des Richters auch die Haare raufen sollte. Damals gab es ja die ganze Spurentechnik nicht und da war es anscheinend so, das sich das Opfer entsprechend inszenieren musste, um als solches Wahrgenommen zu werden. Und da gehörte in der Dreiheit erstmals das so genannte Gerüfte dazu, das heißt das laute Schreien, das zerrissene Kleid und eben das geraufte Haar.

    Das Gericht als dramatische Bühne für die Inszenierung des Opfers – bis ins 18. Jahrhundert sind Spuren dieser Praxis zu finden, so Christine Künzel. Dass man durch das Reißen an den Haaren Gewalt anwenden kann – das nutzten Männer nicht nur zum Angriff, sondern auch zur Verteidigung. Deshalb der militärische Kurzhaarschnitt:

    Denken sie an die ganzen Gis, da kann man nicht mehr in das Haar des Gegners greifen , um ihn auf den Knien den Schädel zu zertrümmern, oder so..

    Frauen, die ihre Haare kurz schneiden wollten, stießen immer wieder auf die Ablehnung der Männer. Eines der markantesten Beispiele dieses Geschlechterkampfes ums Haar stammt aus den 20er Jahren. Christian Janecke:

    Der Bubikopf ist ein Phänomen, das man aus der Emanzipation der Frauen nicht wegdenken kann, es gibt eine Menge Traktate, Texte darüber, Anfeindungen, die bekunden, wie schwer sich Männer damit getan haben. Friseure auch, weil Damenfriseure diese Frisuren erst gar nicht schneiden konnten oder wollten, lange zuvor haben zumindest in der europäischen Tradition Frauen solche Frisuren nie getragen.

    Die Wella Stiftungsdozentur für Mode und Ästhetik existiert zwar bereits seit 1992 – doch das Interesse an den kulturwissenschaftlichen Aspekten der Haarmode wächst gerade jetzt. Professor Günther Lang, der beim Unternehmen Wella für die naturwissenschaftliche Forschung und Entwicklung rund um die Haarpflege zuständig ist, kann sich inzwischen sogar einen Studiengang Friseurwissenschaften vorstellen - was weltweit ein Novum wäre:

    Die andere Seite zu der Naturwissenschaft, das fehlt. Und das zu fördern, das ist ganz wichtig, das haben wir mit dieser Stiftungsdozentur angefangen und ich glaube in dieser Richtung ist einiges noch zu tun.

    Ob es nun Aufgabe einer Technischen Universität sein kann, sich mit Haarmoden in einem eigenen Studiengang kulturwissenschaftlich zu beschäftigen, da ist sich zwar der Präsident der Hochschule, Professor Dr. Johann Dietrich Wörner, noch nicht sicher. Aber seine Devise lautet: Man soll nie 'nie' sagen – vor allem angesichts des Interesses der Wirtschaft:

    Die TU hat sich immer wieder sich mit Themen befasst, bei denen Leute gesagt haben, das ist doch erst mal Spinnerei, das passt doch nicht und im nachhinein kamen daraus ganz interessante Entwicklungen.