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Empörung über Maulkorb für Lehrer in Bayern

Wenn Schulstunden ausfallen oder die Theater-AG mangels Lehrer dichtmacht, ist das durchaus ein Thema für die Lokalzeitung. In Bayern aber findet manche Schulbehörde es nicht in Ordnung, dass Schulleiter sich in den Medien äußern. Sie werden zum Personalgespräch zitiert.

Von Burkhard Schäfers | 27.03.2013
    Sie leitet eine Mittelschule in einem Ort irgendwo in Bayern. Damit sie nicht noch mal Ärger bekommt, nennen wir den Namen der Schulleiterin nicht und sprechen ihre Äußerungen nach. Denn nachdem sie vor einiger Zeit einer Tageszeitung ein Interview gegeben hatte, musste sie zum Gespräch in die Schulbehörde. Grund dafür war offenbar ihre öffentliche Kritik:

    "Ich habe geschildert, was gut funktioniert, habe aber auch deutlich gemacht, dass dieses Konzept Mittelschule nicht dazu dient, der zurückgehenden Schülerzahl angemessen zu begegnen."

    Vor eineinhalb Jahren wurden die meisten früheren Hauptschulen in Bayern zu Mittelschulen – mit einer Ganztagsbetreuung und zusätzlichen Spezialangeboten. Dafür aber fehle ihr das Personal, kritisierte die Schulleiterin im Zeitungsinterview:

    "Ich habe das engagierte Kollegium gelobt, aber auch gesagt, dass ich mir mehr Lehrer an unserer Schule wünsche."

    Diesen Wunsch liest so mancher Beamter offenbar nur ungern in der Zeitung:

    "Es hat nicht mal 24 Stunden gedauert, dann kam ein Anruf aus dem Schulamt, der nächsten Vorgesetztenbehörde: Es muss ein Gespräch geben. Niemand hat gefragt, wann passt es, sondern ich wurde herzitiert. Nachdem dieses Gespräch geführt war, wurde sogar noch die Bezirksregierung eingeschaltet."

    Kein Einzelfall, heißt es beim Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband, kurz BLLV. Zuletzt hätten sich solche Personalgespräche gehäuft, sagt BLLV-Präsident Klaus Wenzel. In allen Regionen Bayerns könnten es an die 50 gewesen sein.

    "Begründet wird es dann immer damit, dass die Vorgesetztenbehörde eine Fürsorgepflicht hätte und deswegen darauf hinweist, dass doch die Kollegen zurückhaltender sein sollen mit kritischen Äußerungen in der Öffentlichkeit. Ankommen tut es aber eher als Bedrohung."

    In Lehrerkreisen heißen solche Termine "Anschissgespräche". In mindestens einem Fall seien einer Schulleiterin vier Vorgesetzte gegenübergesessen, so Lehrerpräsident Wenzel:

    "Es läuft schon darauf hinaus, dass die Kollegin eher verängstigt werden soll. Also wenn das noch mal vorkommt, dann werden wir überlegen, ob Sie überhaupt noch eine Chance haben in diesem System. Also die Drohung an die Schulleiterin: Halte dich in Zukunft zurück."

    Disziplinarische Konsequenzen gab es zwar keine, aber wer noch etwas werden will auf der Karriereleiter, meidet die Medien künftig wohl eher. Der BLLV vermutet, dass die Behörden mit solchen Gesprächen ein Zeichen setzen wollen:

    "Wenn ihr nicht wollt, dass ihr demnächst hier in diesem Amt sitzt und konfrontiert werdet mit eurem Vergehen, dann benehmt euch entsprechend und haltet euch zurück."

    Dabei ist die Situation vor Ort ja kein Geheimnis: Schüler, Eltern und Lehrer bekommen sehr genau mit, wie viel Unterricht ausfällt und ob ein Lehrer zwei Klassen gleichzeitig unterrichten muss, weil Kollegen krank sind. Das seien keine Ausnahmen, sagt Simone Fleischmann, Leiterin der Grund- und Mittelschule in Poing, einem Ort östlich von München:

    "Und insofern überlegst du mal als erstes, welcher Kollege könnte Mehrarbeit leisten, welchen Kollegen kannst du anrufen: Er soll zur ersten Stunde kommen, obwohl er erst zur dritten Stunde hätte. Das geht alles auf Kosten des einzelnen Kollegen. Und der ist noch gesund, aber wenn er das lange trägt, wird auch er mal krank."

    Auch Simone Fleischmann gibt Interviews über die Missstände. Sie ist als Schulleiterin sogar dazu verpflichtet, denn Vertreter öffentlicher Einrichtungen müssen den Medien Auskunft geben:

    "Wenn ein lokaler Redakteur fragt, warum die dritte Klasse heute wieder nach der vierten Stunde aus hat, dann ist es meine Pflicht als Schulleiterin, ihm gegenüber zu kommunizieren, warum ist das so. Und das muss man benennen dürfen, nach innen wie nach außen."

    Der Lehrerverband sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr: Schulleiter dürften keinen Maulkorb bekommen. Gegen diesen Vorwurf wehrt sich der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle im Interview mit dem Deutschlandfunk:

    "Dass jemand, der in verantwortlicher Stellung tätig ist, keinen Maulkorb umgehängt bekommt in Bayern, das ist für mich die Maxime. Ich sehe aber auf der anderen Seite eben auch die Aufgabe einer Lehrkraft oder Schulleiters, gerade wenn Probleme da sind, zunächst einmal – und so verstehe ich Loyalitätspflicht – die Behördenspitzen zumindest gleichzeitig, wenn nicht vorab zu informieren."

    Kein Maulkorb also – mit dieser Aussage des Kultusministers gibt sich Lehrerpräsident Wenzel zufrieden:

    "Ich hoffe sehr, dass jetzt Schluss ist mit diesem Spuk, und dass auch die Behörden sich ihrerseits sehr zurückhalten mit solchen Vorgängen."