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Ende der Schweinereien

In Deutschland fallen Jahr für Jahr fast zwei Millionen Tonnen Lebensmittelreste an. Früher wurden sie an Schweine verfüttert, inzwischen ist das verboten. Die Bielefelder Speisereste-Verwertung sammelt Essensrest und liefert sie an Biogas-Anlagen.

Von Godehard Weyerer |
    Sieben Uhr morgens. Der Lkw verlässt den Firmenhof der Bielefelder Speisereste-Verwertung. Am Steuer sitzt Siegfried Wißbrock:

    "In der Regel fahren wir zwei Touren pro Lkw und Tag."

    Manchmal fährt der Chef noch selbst. Sechs Kubikmeter Essenreste passen in den Aufbau hinter dem Führerhaus.

    "Jetzt fahren wir zum Restaurant Bradweder Hof, zu diesem Kunden fahren wir zweimal wöchentlich. In der Regel schmeckt es den Gästen da sehr gut. Ja wollen mal sehen ..."
    Siegfried Wißbrock steuert den Lkw rückwärts auf den Restaurant-Parkplatz.

    "Tachchen."
    "Hat der einen anderen Standort?"

    Der Küchenchef kommt heraus und begrüßt ihn. Beide gehen zur Garage; zwei hellgrüne Tonnen stehen hier, Fassungsvermögen jeweils 240 Liter, prall gefüllt mit den Essenresten der letzten Woche. Braune Salatblätter quillen unter dem Deckel hervor; dazu eine in Ketchup getunkte Curry-Wurst, vermengt mit gammeligem Kartoffelbrei und einer undefinierbaren Vorspeise; ein halbherzig abgenagtes Kotelett in ranziger Blumenkohl-Sause. Allein in Deutschland fallen Jahr für Jahr fast zwei Millionen Tonnen Lebensmittelreste an – nach Schätzung des Bundesverbandes Nahrungsmittel- und Speiseresteverwertung, in dem Siegfried Wißbrock Mitglied ist.

    "Die Tonne ist jetzt leer. Ich gehe jetzt hoch und reinige den Behälter. Dann kommt er wieder an seinen Standort."

    Siegfried Wißbrock nimmt den Hochdruckreiniger in die Hand. Warmes Wasser spült die zurückgebliebenen Speisereste in den Lkw-Behälter. Im Hauptberuf ist er Landwirt. Am Stadtrand von Bielefeld, in Senne, liegt sein Betrieb, eine Schweinezucht mit 500 Tieren. Daneben zwei große Hallen, rot geklinkert mit großen, grauen Roll-Toren. Dort werden Speisereste gesammelt, zerkleinert, verwertet.

    Siegfried Wißbrock fährt rückwärts in die Halle. Darin läuft bereits das Rührwerk, das die angelieferten Lebensmittel- und Speisereste zu einem zähflüssigen Brei zerkleinert. Die Lüftung saugt die Auspuffgase ins Freie ab, denn die Halle muss stets geschlossen sein - damit Katzen, Mäuse, Hunde keine Speisereste nach draußen schleppen:

    "Hier kommen unsere Fahrzeuge angefahren. Fahren rückwärts vor den Entladetrichter vor, entleeren den Tank. Mit dieser Förderschnecke werden die Speisereste in den Zwischenlagerbehälter gefördert, von da aus wird über das Entnahmerohr und der Zerkleinerungspumpe dieser Behälter gefüllt, da wurden früher die Speisereste erhitzt."

    Früher: Das war bis vor zwei Jahren. Da wurden im Betrieb von Siegfried Wißbrock die Speisereste erhitzt, eine Stunde lang auf 90 Grad Celsius, um Keime und Krankheitserreger abzutöten. Im Anschluss daran wurden die Essenreste an Schweine verfüttert - entweder an die eigenen oder an die Schweine anderer Bauern.

    Seit dem 1. November 2006 ist das verboten. Wegen der Seuchengefahr. Seither wandern die Speisereste in Biogas-Anlagen. Siegfried Wißbrock darf nur noch sammeln und lagern. Er ärgert sich über die neue Verordnung:

    "Speisereste sind hochwertige Energieträger. Die Energie wird irgendwie in den Biogas-Anlagen auch in Wärme und Strom verwandelt. Aber die Proteine werden vernichtet, die sind früher dem Tier zugutegekommen. Dafür werden an anderer Stelle der Welt die Regenwälder abgeholzt, um da dann da Sojaschrot anzubauen für die Tiere in Europa, für die Schweine und Rinder."

    Hans-Helmut Jostmeyer, der Veterinärarzt, kommt auf den Hof. Wie immer unangemeldet.

    "Hallo Herr Jostmeyer."
    "Halbes Jahr wieder vorbei."
    "Ja, am besten gehen wir mal rein."
    "Hat sich was verändert?"
    "Wir haben ein neues Fahrzeug. Ist aber die gleiche Bauart. Wir haben jetzt einen mobilen Hochdruckreiniger, vorher haben wir mit dem normalen Betriebsdruck der Druckanlage. Da kamen die Fettrückstände nicht so gut raus."
    "Ich denke, beim Hochdruck ist es wichtig, dass es keine Verwirbelungen gibt. Was nützt es, wenn die Tonne innen sauber ist, aber die Abholstelle die Reste hat."

    Die Stärke des Wasserdrucks lasse sich variieren, beruhigt Siegfried Wißbrock den Veterinärarzt und begleitet ihn hinüber zur Halle. Selbst der Tierarzt sieht die Vorgaben der EU eher mit gemischten Gefühlen.

    "Ach, das ist meiner Meinung schon ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen, weil gerade in Deutschland die Erhitzung der Speisereste zum Schutz von Schweinepest und Maul- und Klauenseuche sehr weit fortgeschritten war. Wir werden gleich auch noch mal sehen, was alles installiert wurde, um die Sicherheit zu haben, dass die Speisereste so erhitzt werden, dass keine Viren überleben können. Aber es war ein politischer Beschluss innerhalb der EU, dass man dieses Risiko gänzlich ausschließt und daher der Speiseresteverfütterung ein Ende bereitete."

    Geregelt wird das Verbot in der EU-Verordnung mit dem sperrigen Namen 1774 aus 2002 - ein 134 Seiten umfassendes Werk über tierische Nebenprodukte, zu denen die EU-Kommission auch Speisereste zählt.

    Viermal in der Woche fährt ein Sattelzug auf den Hof von Siegfried Wißbrock, rollt rückwärts in die Halle, pumpt den 30-Kubikmeter-Behälter leer und bringt die zu Brei verrührten Speisereste in die umliegenden Biogas-Anlagen. Dann ist im Betrieb von Siegfried Wißbrock wieder Platz für Speisereste aus gewerblichen Großküchen, aus Restaurants, Altenheimen, Kantinen oder Krankenhäusern. Manchmal werden komplette Lkw-Ladungen angeliefert, weil das Kühlaggregat ausgefallen ist. Auch das Zollamt ist Kunde von Siegfried Wißbrock. Vom Hof der Behörde holt er beschlagnahmte Lebensmittel ab, die gleichfalls im Abfall landen.

    "Bis die Tage dann ..."