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Ende einer Ära

Am Samstagabend ist endgültig Schluss: Intendant Klaus Pierwoß nimmt nach 13 Jahren Abschied vom Bremer Theater. Vieles, mit dem sich Pierwoß plagen musste, gilt als symptomatisch für den deutschen Theaterbetrieb: Etatkürzungen, aufgezwungene McKinsey-Beratung und Musicalträume der Lokalpolitiker. Die zweite Bremer Lehre klingt angenehmer: Kämpfen lohnt sich.

Von Michael Laages | 13.07.2007
    Nirgendwo, das muss in aller Deutlichkeit voraus geschickt, ist eine deutsche Großstadt derart ruppig, schofel und schnöde umgegangen mit einem Theatermenschen, der so ganz das Gegenteil eines Wolkenkuckucksheimers ist, nicht als Künstler weit über den Dingen steht, sondern stets mit beiden Beinen mittendrin. Mit beiden Fäusten manchmal auch - mit gutem Grund bekam er ja zwei rote Boxhandschuhe geschenkt, die schon deshalb einen Ehrenplatz im Chef-Büro bekamen, weil er sie immer mal wieder schnell zur Hand haben musste, wenn sich die lokale Politik mal wieder eine neue Zumutung ausgedacht hatte.

    An ein paar sei im Schnelldurchlauf erinnert - kaum war Pierwoß im Amt, die grüne Senatorin aber nicht mehr, die ihn in höchster Not nach Bremen hatte locken können, da galten für die nachfolgende Kulturverwalterin prompt die Absprachen nicht mehr, die im Vertrag des Intendanten standen. Später wurde ihm die in Kulturfragen chronisch überforderten Unternehmensberater von McKinsey ins Haus geschickt, während die Stadt dem alteingesessenen Theater ein angeblich superzukunftstaugliches Musicaltheater vor die Nase geklotzt wurde.

    Ein paar Senatoren später wollte die Stadt ihr Theater (dessen Wohl und Wehe ihr doch am Herzen liegen müsste) ganz gern in die Insolvenz schicken - von den tausenderlei Etatkürzungen ganz zu schweigen, die die Bremer Politik dem Theater verordnete. Arm wie Kirchenmäuse, aber ganz vernarrt in gigantomane Projekte wie Musical und Spacepark-Raumfahrtentertainment, propagierte die Politik mit Blick auf das Theater der Stadt den Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

    Jetzt, in der neuen, erstmals in Bremen rot-grünen Koalitionskonstellation, hat (wie in Berlin, wie in Schleswig-Holstein) der Regierungschef selber die Kultur gleich mit übernommen; und ob das ein gutes Zeichen ist, kann (auch angesichts der genannten Vergleichsgrößen) noch nicht wirklich beurteilt werden. Das aber ist ein Teil der ersten Bremer Lehre - peinlich genau muss den so genannten Kultur- wie den Finanzpolitikern von Ländern und Gemeinden auf die unegalen Finger geschaut werden; sie wären im Ernstfall willens und in der Lage, kurzfristiger (und dabei höchst überschaubarer) Sanierungserfolge wegen das Tafelsilber zu verhökern.

    Scham- und Schmerzschwellen gibt's nur noch selten, genau so wenig wie den verbindlichen Konsens über die Frage, ob Theater wirklich sein muss - da mag der Deutsche Bühnenverein noch so listig darauf hinweisen, dass selbst die Niederländer, die doch vor drei Jahrzehnten damit begonnen hatten, all ihre festen Ensembles abzuschaffen, sich gerade wieder nach welchen zu sehnen beginnen. Die in Bremen getesteten Daumenschrauben werden auch anderswo noch zum Einsatz kommen.

    Die zweite Bremer Lehre klingt angenehmer: Kämpfen lohnt sich. Und zwar nicht nur für die, die ohnehin ein wenig disponiert sind für Boxhandschuhe. Pierwoß, der olle Sturkopf, ist der vorerst letzte große Könner dieser Art der öffentlichen Streitkultur gewesen: hat die Politik an den Pranger gestellt, hat wenn nötig auch mal Amtsgeheimnisse in die Öffentlichkeit lanciert; und als ein völlig durchgeknallter Kulturamtsleiter gar von der "Demokratieferne" des Theaterbetriebs an sich fabulierte, hat Pierwoß ein Schild ans Theater gehängt - Aufschrift, sinngemäß: "Hier verlassen Sie den demokratischen Sektor!" Die Politik war gar nicht amused. Dann ist er mit dem Bürgermeister auf dem Tandem ins Weserstadion geradelt und hat mit dem Publikum "La Ola" geübt. Peinlich war ihm gar nix - wenn's nur der Wahrheitsfindung diente; und das heißt: dem Überleben des Theaters.

    Nebenbei hat Pierwoß übrigens in Oper und Schauspiel und Tanz- und Jugendtheater staunenswert kompakte Spielpläne realisieren lassen, und das zu (im Bundesvergleich) so geringen Kosten, dass davon andernorts gerade mal eine Bühne betrieben werden könnte.

    Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Theaters haben sich bis jenseits aller Grenzen ins Zeug gelegt für "ihr" Theater; und eine Menge Publikum hat sich den Bürgerstolz auf das Theater bewahrt. Dass sich sein zunächst ein wenig großspuriger Nachfolger inzwischen sehr dankbar aus den Überbleibseln einer Ära bedienen wird, spricht obendrein dafür, dass da einer das Haus geordnet übergibt. Es lohnt also, mit Blick auf den vorerst noch nachhaltigen Erfolg des Bremer Beispiels immerzu und überall zu streiten um jede Handbreit Terrain, dass die Kleingeister mit den Rechenschiebern der Kultur abknapsen wollen - mit oder ohne Boxhandschuh.