Dina Netz: Die 1706. und letzte Vorstellung unter Leitung von Wolfgang Wagner wird heute über die Bayreuther Bühne gehen - der "Parsifal". Seit 1951 hat Wolfgang Wagner den Festspielen vorgestanden, bis 1966 zusammen mit seinem Bruder Wieland. Und in den letzten Jahren hat die Personalie Wolfgang Wagner die Musik fast in den Hintergrund gedrängt. Der heute 88-Jährige klammerte sich an seinen Leitungsstuhl, bis er nun schließlich doch seinen Rücktritt erklärte und für seine Tochter Katharina als Nachfolgerin warb. Sie will nun zusammen mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier eine Doppelspitze bilden. In das Bewerbungsverfahren ist gerade noch mal Bewegung gekommen, weil Wolfgang Wagners Nichte Nike Wagner ihre Unterlagen zusammen mit dem Direktor der Pariser Oper Gerard Mortier eingereicht hat. Einer der wichtigsten Bayreuth-Dirigenten in den letzten Jahren ist Christian Thielemann gewesen. Über die Entdeckung Thielemanns für Bayreuth als Assistent bei Daniel Barenboim und über den speziellen Bayreuther Orchesterklang hat Wolfgang Wagner einmal gesagt:
"Und weil es immer so ist, dass der Dirigent seinem Hauptassistenten die Möglichkeit gibt, dass er einmal den Hausklang, den man ja unten im verdeckten Orchester nicht präzise feststellen kann, um zu hören, wie die Klangwirkung ist, dürfen Sie immer dann ein Stück dirigieren. Und dabei hat er schon Orchesterapplaus bekommen. Das heißt, das ist immer ein Maßstab, dass man also besonders aufmerksam sein muss über die weitere Entwicklung."
Netz: Wolfgang Wagner über Christian Thielemann und die vornehmste Aufgabe eines Festivalleiters, das Entdecken. Vor dem "Parsifal" ist Wolfgang Wagner heute mit einem Festakt in Bayreuth verabschiedet worden. Der Gefeierte selbst hat sich dabei wohl fröhlich gezeigt, aber viele Weggefährten waren offenbar zu Tränen gerührt. In den letzten Jahren ist Wolfgang Wagner bei der Kritik aber nicht gut weggekommen. Der Vorwurf lautete immer wieder, mit prominenten Namen werde in Bayreuth davon abgelenkt, dass man sich nicht ausreichend um die musikalische und vor allem um die sängerische Qualität kümmere. Unser Opernkritiker Wolf-Dieter Peter, wie beurteilen Sie diese Vorwürfe?
Peter: Da trifft natürlich einiges zu. Aber wir müssen festhalten, wir leben in einer durchglobalisierten und auch durchkapitalisierten Welt. Also Sänger sind heute durchaus sich der Tatsache bewusst, dass sie in ihren 30ern und 40ern bildschön und schlank das große Geld verdienen müssen, und das verdienen sie anderswo und oft nicht in Bayreuth. Und das ist natürlich ein Vorwurf, der leider auch Bayreuth trifft, aber andere Festivals.
Netz: Ging die Kritik an Wolfgang Wagner nicht auch gegen ihn als Regisseur? Die "FAZ" hat mal geschrieben, Wolfgang Wagners eigene Inszenierungen atmeten den Charme eines Autoreifens der 50er Jahre.
Peter: Ganz sicher in den letzten Jahren war er derjenige, der ein konservatives Wagner-Bild, ein für gewisse Leute sogenanntes werktreues Wagner-Bild inszeniert hat. Aber man muss eben sehen, wenn man zurückschaut und wenn Opernfreunde sich große Bücher kaufen über die Ring-Geschichte, 1960 hatte er einen Ring inszeniert mit einer Weltenscheibe, die durch Politik und Gestaltung und Macht und Goldgier zunehmend zerbricht bis hin zur Götterdämmerungskatastrophe. Und da müssen wir natürlich sagen, das ist sehr ahnungsvoll vor 50 Jahren gewesen, das sehen wir heute vielleicht in seinen Anfängen real passieren. Aber andererseits war er jemand, der sich immer wieder gesagt hat, wir brauchen Avantgarde hier, ich hole diese Avantgarde. Und selbst wenn diese Avantgarde niedergebuht wird, wie Patrice Chéreau 1976 beim heute den weltweit bejubelten Jahrhundertring, dann hat er sich vor diese Avantgarde gestellt und hat gesagt: Das muss hier stattfinden in Bayreuth, und ich mache die anderen Inszenierungen.
Netz: Sie sind jetzt schon bei den Verdiensten von Wolfgang Wagner angekommen. Vielleicht vorher noch ganz kurz, wie stark hat jetzt dieses jahrelange Gezerre um die Nachfolge den Bayreuther Festspielen geschadet?
Peter: Ganz sicher war das eine unglückliche Verhaltensweise. Das ist dieses Clan-Denken, dass wir bei Flick, Thyssen, Krupp und ähnlichen Familien heute, aber auch in der übrigen Welt erleben. Das war Festungsmentalität, und da war vom Tonfall her oft einiges auch schief. Da war auch eine nicht immer glückliche Rolle, die Frau Gudrun Wagner gespielt hat. Und erst jetzt nach ihrem Tod muss man sagen, ist wohl ein Stückchen Entspannung und Klarheit eingezogen. Da gab es durchaus berechtigte Kritikpunkte.
Netz: So kurz vor Ende seiner Ära, die es ja nun wirklich ist, wollen wir jetzt aber wirklich zu den Verdiensten kommen. Was hat Wolfgang Wagner für die Bayreuther Festspiele erreicht?
Peter: 1951, da war immer noch klar, tiefe NS-Verstrickung dieser Festspiele, ganz braun durchgefärbt durch die Mutter Winifred Wagner. Und er hat zusammen mit Bruder Wieland Neubayreuth etabliert als Begriff und auch als künstlerischen Neuansatz. Er ist noblerweise hinter seinen Bruder, dem genial begabten Wieland Wagner, zurückgetreten, hat ihn Regie führen lassen und hat die Organisation der Festspiele übernommen. Höhepunkt 1973 die Überführung des ganzen Konglomerats, Festspielhaus, Haus Wahnfried, Archiv, Partiturschätze und dergleichen in die sogenannte Richard-Wagner-Stiftung, sodass alles beisammen blieb im Gegensatz zu diesen heutigen Erbstreitigkeiten um Schlemmer, Arp bis hin zu Rothko. Er hat die Finanzen perfekt geführt. Bis zuletzt stimmten diese Finanzen und das bei sozialverträglichen Preisen im Vergleich zu anderen Top-Festivals wie etwa München oder Salzburg.
Netz: Herr Peter zum Schluss noch: 57 Jahre als Intendant eines Festivals, das ist nahezu unvergleichlich. Welche musikalische Bilanz ziehen Sie von dieser Ära Wolfgang Wagner?
Peter: Er hat ganz sicher immer wieder versucht, die großen Dirigenten zu binden, Pierre Boulez, Carlos Kleiber, zuletzt Christian Thielemann. Aber durchaus auch mit Problemen, denn einige der Stars wollten sich natürlich nicht binden. Aber er hat dieses Festival immer als gesamtdeutschen Höhepunkt gesehen, trotz Kaltem Krieg, trotz Mauerbau haben hier erste Sänger gesungen, Instrumentalisten gespielt, im Chor Leute aus der sogenannten DDR eben hier im Westen auftreten können. Und wenn man so anschaut: Nielsson, Domingo, Meyer, Tomlinson, Prey, Titus - also da sind schon Namen dabei, wo man sagt, das ist erste Sahne. Und er hat ja mal gesagt: Das Einzige, was wir uns in Bayreuth nicht leisten können, ist Fantasielosigkeit. Und er hat eben tatsächlich erste Namen geholt, Götz Friedrich, Patrice Chéreau, Harry Kupfer, Jean-Pierre Ponnelle, Heiner Müller, Claus Guth. Und dass ein paar der Stars - Decker, Kusej, Trier - abgesagt haben, dass ein Marthaler und Schlingensief nicht reüssiert haben, ist nicht sein persönlicher Fehler. Und heute, jetzt gerade, während wir sprechen, läuft Stefan Herheims wirklich herausfordernd tollkühner "Parsifal". Zum letzten Mal noch, in seiner letzten Amtszeit, am letzten Tag dieses "Kinder, macht Neues!" - das gilt. Und insofern müssen wir sagen, Gratulation und Hochachtung.
"Und weil es immer so ist, dass der Dirigent seinem Hauptassistenten die Möglichkeit gibt, dass er einmal den Hausklang, den man ja unten im verdeckten Orchester nicht präzise feststellen kann, um zu hören, wie die Klangwirkung ist, dürfen Sie immer dann ein Stück dirigieren. Und dabei hat er schon Orchesterapplaus bekommen. Das heißt, das ist immer ein Maßstab, dass man also besonders aufmerksam sein muss über die weitere Entwicklung."
Netz: Wolfgang Wagner über Christian Thielemann und die vornehmste Aufgabe eines Festivalleiters, das Entdecken. Vor dem "Parsifal" ist Wolfgang Wagner heute mit einem Festakt in Bayreuth verabschiedet worden. Der Gefeierte selbst hat sich dabei wohl fröhlich gezeigt, aber viele Weggefährten waren offenbar zu Tränen gerührt. In den letzten Jahren ist Wolfgang Wagner bei der Kritik aber nicht gut weggekommen. Der Vorwurf lautete immer wieder, mit prominenten Namen werde in Bayreuth davon abgelenkt, dass man sich nicht ausreichend um die musikalische und vor allem um die sängerische Qualität kümmere. Unser Opernkritiker Wolf-Dieter Peter, wie beurteilen Sie diese Vorwürfe?
Peter: Da trifft natürlich einiges zu. Aber wir müssen festhalten, wir leben in einer durchglobalisierten und auch durchkapitalisierten Welt. Also Sänger sind heute durchaus sich der Tatsache bewusst, dass sie in ihren 30ern und 40ern bildschön und schlank das große Geld verdienen müssen, und das verdienen sie anderswo und oft nicht in Bayreuth. Und das ist natürlich ein Vorwurf, der leider auch Bayreuth trifft, aber andere Festivals.
Netz: Ging die Kritik an Wolfgang Wagner nicht auch gegen ihn als Regisseur? Die "FAZ" hat mal geschrieben, Wolfgang Wagners eigene Inszenierungen atmeten den Charme eines Autoreifens der 50er Jahre.
Peter: Ganz sicher in den letzten Jahren war er derjenige, der ein konservatives Wagner-Bild, ein für gewisse Leute sogenanntes werktreues Wagner-Bild inszeniert hat. Aber man muss eben sehen, wenn man zurückschaut und wenn Opernfreunde sich große Bücher kaufen über die Ring-Geschichte, 1960 hatte er einen Ring inszeniert mit einer Weltenscheibe, die durch Politik und Gestaltung und Macht und Goldgier zunehmend zerbricht bis hin zur Götterdämmerungskatastrophe. Und da müssen wir natürlich sagen, das ist sehr ahnungsvoll vor 50 Jahren gewesen, das sehen wir heute vielleicht in seinen Anfängen real passieren. Aber andererseits war er jemand, der sich immer wieder gesagt hat, wir brauchen Avantgarde hier, ich hole diese Avantgarde. Und selbst wenn diese Avantgarde niedergebuht wird, wie Patrice Chéreau 1976 beim heute den weltweit bejubelten Jahrhundertring, dann hat er sich vor diese Avantgarde gestellt und hat gesagt: Das muss hier stattfinden in Bayreuth, und ich mache die anderen Inszenierungen.
Netz: Sie sind jetzt schon bei den Verdiensten von Wolfgang Wagner angekommen. Vielleicht vorher noch ganz kurz, wie stark hat jetzt dieses jahrelange Gezerre um die Nachfolge den Bayreuther Festspielen geschadet?
Peter: Ganz sicher war das eine unglückliche Verhaltensweise. Das ist dieses Clan-Denken, dass wir bei Flick, Thyssen, Krupp und ähnlichen Familien heute, aber auch in der übrigen Welt erleben. Das war Festungsmentalität, und da war vom Tonfall her oft einiges auch schief. Da war auch eine nicht immer glückliche Rolle, die Frau Gudrun Wagner gespielt hat. Und erst jetzt nach ihrem Tod muss man sagen, ist wohl ein Stückchen Entspannung und Klarheit eingezogen. Da gab es durchaus berechtigte Kritikpunkte.
Netz: So kurz vor Ende seiner Ära, die es ja nun wirklich ist, wollen wir jetzt aber wirklich zu den Verdiensten kommen. Was hat Wolfgang Wagner für die Bayreuther Festspiele erreicht?
Peter: 1951, da war immer noch klar, tiefe NS-Verstrickung dieser Festspiele, ganz braun durchgefärbt durch die Mutter Winifred Wagner. Und er hat zusammen mit Bruder Wieland Neubayreuth etabliert als Begriff und auch als künstlerischen Neuansatz. Er ist noblerweise hinter seinen Bruder, dem genial begabten Wieland Wagner, zurückgetreten, hat ihn Regie führen lassen und hat die Organisation der Festspiele übernommen. Höhepunkt 1973 die Überführung des ganzen Konglomerats, Festspielhaus, Haus Wahnfried, Archiv, Partiturschätze und dergleichen in die sogenannte Richard-Wagner-Stiftung, sodass alles beisammen blieb im Gegensatz zu diesen heutigen Erbstreitigkeiten um Schlemmer, Arp bis hin zu Rothko. Er hat die Finanzen perfekt geführt. Bis zuletzt stimmten diese Finanzen und das bei sozialverträglichen Preisen im Vergleich zu anderen Top-Festivals wie etwa München oder Salzburg.
Netz: Herr Peter zum Schluss noch: 57 Jahre als Intendant eines Festivals, das ist nahezu unvergleichlich. Welche musikalische Bilanz ziehen Sie von dieser Ära Wolfgang Wagner?
Peter: Er hat ganz sicher immer wieder versucht, die großen Dirigenten zu binden, Pierre Boulez, Carlos Kleiber, zuletzt Christian Thielemann. Aber durchaus auch mit Problemen, denn einige der Stars wollten sich natürlich nicht binden. Aber er hat dieses Festival immer als gesamtdeutschen Höhepunkt gesehen, trotz Kaltem Krieg, trotz Mauerbau haben hier erste Sänger gesungen, Instrumentalisten gespielt, im Chor Leute aus der sogenannten DDR eben hier im Westen auftreten können. Und wenn man so anschaut: Nielsson, Domingo, Meyer, Tomlinson, Prey, Titus - also da sind schon Namen dabei, wo man sagt, das ist erste Sahne. Und er hat ja mal gesagt: Das Einzige, was wir uns in Bayreuth nicht leisten können, ist Fantasielosigkeit. Und er hat eben tatsächlich erste Namen geholt, Götz Friedrich, Patrice Chéreau, Harry Kupfer, Jean-Pierre Ponnelle, Heiner Müller, Claus Guth. Und dass ein paar der Stars - Decker, Kusej, Trier - abgesagt haben, dass ein Marthaler und Schlingensief nicht reüssiert haben, ist nicht sein persönlicher Fehler. Und heute, jetzt gerade, während wir sprechen, läuft Stefan Herheims wirklich herausfordernd tollkühner "Parsifal". Zum letzten Mal noch, in seiner letzten Amtszeit, am letzten Tag dieses "Kinder, macht Neues!" - das gilt. Und insofern müssen wir sagen, Gratulation und Hochachtung.