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Ende einer Ehe

Patrice Chéreaus neuer Film "Gabrielle" startet in den Kinos. Für seinen Gegenentwurf zum eigenen Vorläufer "Intimacy" hat sich der Regisseur eine Novelle von Joseph Conrad vorgenommen. Es geht um die Zumutungen einer großbürgerlichen Ehe im 19. Jahrhunderts. Die Hauptrolle ist mit einer spröden und marmorkalten Isabelle Huppert kongenial besetzt.

Von Josef Schnelle | 12.01.2006
    Die Dekors sind streng. Sie erzählen von immensem Reichtum und von einer kühl kalkulierten Ordnung der Dinge. Die Menschen bewegen sich zunächst kaum darin. Herren mit gestärkten Kragen. Damen im Krinolinenpanzer. Und Dienstboten - immer da, aber lautlos und unsichtbar. Alles ist geschlossen und geregelt in der Welt des gehobenen Bürgertums Anfang des Jahrhunderts. Elegante Rituale beim Dîner. Kultivierte Abende mit Musik und geistreichen Gesprächen. Mittendrin die Dame des Hauses, bleich, unnahbar, schön natürlich, aber still. Der Hausherr führt das große Wort, darf auch einmal über die Stränge schlagen und die Wahrheit sagen, zum Beispiel über das Verhältnis zu seiner Frau Gabrielle:

    " Gabrielle ist nicht irgendeine Frau. Und ich liebe sie wie ein Sammler das Prachtexemplar seiner Sammlung wertschätzt."

    Wer nun ein Emanzipationsmelodram erwartet wird enttäuscht werden. Gewiss, ein paar Szenen später liegt schon ein Abschiedsbrief Gabrielles auf dem Sekretär. Doch noch ehe Ehemann Jean ihre Abwesenheit so richtig bemerken kann, ist sie wieder da. Womit die Geschichte eigentlich erst beginnt - schließlich heißt Joseph Conrads Kurzgeschichte, auf der der Film basiert, "Die Rückkehr". Diese nämlich, nicht die Flucht aus dem spießigen bourgeoisen Alltag ohne Liebe, ist der eigentliche Kern der Geschichte. Gabrielle schweigt und gibt sich so kühl wie zu Beginn und bringt den Mann, der sonst nie seine Haltung verloren hat, zur Raserei. Hinter dem so kühl vorgetragenen Besitzerstolz gut verborgen war nämlich etwas, das Jean nie bemerkt, nie für möglich gehalten hatte: Leidenschaft und Liebe. Die kann jetzt nur noch als rasende Eifersucht aus dem Käfig der Contenance ausbrechen. "Gabrielle - Liebe meines Lebens" ist auf den ersten Blick ein Gegenentwurf zu Patrice Chéreaus preisgekröntem Film "Intimacy", der das Scheitern einer Liebe von größtmöglicher körperlicher Nähe und Intimität schildert. Zwei Körper stürzen sich aufeinander, scheinen zu zerschmelzen in der Hitze der Leidenschaft. In "Gabrielle" führen ein Mann und eine Frau eine jeweils monadische Existenz ganz ohne Intimität und Sex. Eine "vernünftige" kalte Distanz liegt zwischen Ihnen. Die "kleine Flucht" Gabrielles bringt an den Tag: Sie hatte sich auf ein Leben ohne Liebe eingestellt, dann einen Versuch gewagt und ist nun zurückgekehrt ins Nichts der Gefühllosigkeit. Die Heldin des Films "Intimacy" zerbricht an dem Versuch über die körperliche Liebe hinauszugehen. Gabrielle ist längst zerbrochen an dem Versuch, jegliche Körperlichkeit aus ihrem Leben auszuschließen. Und so bietet sie als Preis für die Rückkehr Jean ihren nackten Körper an und bewahrt dabei die größtmögliche Kälte.

    " Einmal im Leben habe ich das Recht zu erfahren was Liebe ist."

    Kein Rosenkrieg, keine Wühlerei im Neurosendickicht wie in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf". Zur Konzeptehe von Jean und Gabrielle würde das sowieso nicht passen. Patrice Chéreau überspringt ganze Passagen der Auseinandersetzung mit zusammenfassenden Zwischentiteln, wechselt immer wieder ins kühle Schwarz-Weiß um die Gefühlsintensivität etwas heraus zu nehmen. Die historischen Dekors werden auch neutralisiert durch die dichte Darstellerleistung der beiden Hauptfiguren. Bald ist das Spielfeld dieser Partie "Kälte gegen Liebeswahn" völlig vergessen. Patrice Chéreau kommt bekanntlich von der Bühne und ist seinen Hauptdarstellern sichtlich verfallen.

    Nie war die Huppert so kongenial besetzt. Sie ist spröde und marmorkalt. Nur die wechselnden Rötungen der Haut, die nur das Kino einzufangen vermag, lassen durchschimmern, dass sie selbst im Schmerz einer Zurückweisung - durch den Liebhaber zu dem sie floh - es ist ein bohemisch schillernder Redakteur - gefangen ist. Pascal Greggory ist aufrichtig verletzt, aber er suhlt sich auch lustvoll im neu entdeckten Schweinetrog der Gefühle. Und Regisseur Patrice Chéreau hat wieder einmal neue Maßstäbe gesetzt, diesmal für das Kinokammerspiel.