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Ende einer langen Reise

Aus Anlass von Henrik Ibsens 100. Todestag ist dessen Hauptwerk "Peer Gynt" in New York zu sehen, in Wort- und Licht-Regie und Bühnenbild von Robert Wilson, in einer Koproduktion mit den norwegischen National Theatern Bergen und Oslo, und zwar in norwegischer Sprache. Nicht am Broadway sondern an der kleinen Brooklyn Academy of Music. Dort ist bereits eine australische Produktion der "Hedda Gabler" mit Kate Blanchett in der Titelrolle im Repertoire, was interessante Vergleiche ermöglicht.

Von Andreas Robertz |
    Zusammen mit dem Nationaltheater Bergen und dem Norwegischen Staatstheater Oslo erarbeitete Robert Wilson 2005 seine Fassung von Ibsens Peer Gynt in norwegischer Originalsprache, die nun zum ersten Mal hier in New York mit englischen Untertiteln zu sehen ist. Robert Wilson, über den Susan Sontag gesagt hat, dass er ein Regisseur mit der Handschrift eines großem Künstlers sei, ist dem deutschen Publikum seit den 70er Jahren wegen seiner atemberaubenden Lichtregie, seiner minimalistischen Choreographie und seiner außergewöhnlichen Bild- und Formsprache bekannt. Produktionen wie Death, Destruktion & Detroit I + II an der Berliner Schaubühne, Philip Glas' Oper "Einstein on the Beach" an der Met in New York oder die Freischützbearbeitung "The Black Rider" mit der Musik von Tom Waits am Thalia in Hamburg haben den gebürtigen Amerikaner weltberühmt gemacht. Doch längst hat sich Robert Wilson zu einer riesigen Produktionsfirma entwickelt, die seine ästhetischen Konzepte auf der ganzen Welt verkauft und wie ein Kunstprodukt vermarktet. So ist es nicht verwunderlich, dass uns auch in dieser Peer Gynt Inszenierung all die bekannten ästhetischen Mittel des Robert Wilson wiederbegegnen.

    Die Bühne des eher gediegenen Howard Gilmore Opera Houses in Downtown Brooklyn besteht aus einem leeren Raum. Wie Kunstobjekte erscheinen Felsbrocken und stilisierte Gartenzäune geräuschlos vor einer übergroßen Projektionsfläche, die die Atmosphäre des Raumes durch immer neue Farbspiele definiert. Riesige Bergsilhouetten schieben sich von allen Seiten vor dieser Fläche, Sonnenaufgänge werden zu einem lichttechnischen Spektakel und die Schauspieler bewegen sich immer wieder vor ihr als scharf umrissene Schattenfiguren. Die wunderschöne Musik, die der begnadeten Solo-Geiger Michael Galasso eigens für dieses Stück komponiert hat, lebt von den Motiven skandinavischer Volkstänze und gibt dem ganzen Abend einen leichten, beschwingten Rhythmus, der durch die Sprache und die Bewegungen der Schauspieler unterstützt wird. Die Darsteller selbst sind maskenhaft geschminkt und bewegen sich durchgehend in tänzerischen Bewegungen kombiniert mit abrupten Körperakzenten, die einen plötzlichen Wechsel des Lichtes und der Musik auslösen. Man hat das Gefühl in einer Art nordischem No-Theater zu sitzen. Die Darsteller beherrschen auf eindrucksvolle Weise ihr Spiel, entwickeln jedoch keine eigenen individuellen Züge. Die Sprache ist rhythmisch und effektvoll verstärkt und meistens direkt ans Publikum gerichtet. Es entsteht ein durchgehend distanziertes Spiel voll ironischer Brechungen. Leider wirkt der ganze Abend dadurch merkwürdig flach und zweidimensional und die abrupten Licht- und Bildwechsel stehen zusammenhangslos zu der Geschichte selbst. Es scheint so, als wenn das zugegeben perfekte Form- und Lichtspiel jede Brüchigkeit und Wildheit des Peer Gynt eliminiert hat. Da ist keine Rebellion oder irgendeine Form von Leidenschaft beim Brautraub zu spüren, keine Verzweiflung beim Abschied von der Mutter und keine Schuldgefühle beim Verlassen seiner Geliebten Solvey. Die mögliche Anarchie des Individuums Peer Gynt gegen die Gesetze der Welt wird zum leicht konsumierbaren Zynismus des satten Kapitalisten; - und die Suche nach orientalischer Religiosität degeneriert zum abstrakten Formspiel. Erst ganz zum Schluss mündet die Bilderflut in die Intensität und Einfachheit eines Beckettschen Diskurses zwischen Peer und einer skurrilen Gestalt, dem "Knöpfe-Verweser", der dessen Seele einschmelzen will und dem Peer beweisen muss, dass er immer treu zu sich selber war. Ein meditatives Ende über den Gyntschen Lebensentwurf, der nach vier Stunden aber auf ein dumpfes und eingeschläfertes Publikum trifft.

    Es bleibt völlig im Dunklen, was uns der Regisseur mit seinem Peer Gynt erzählen wollte, außer dass er die Mittel seines Theaters beherrscht. Es wäre besser gewesen, sich mehr mit der Geschichte und weniger mit visuellen Effekten und stilisiertem Formspiel zu beschäftigen.

    Trotzdem begeisterter Applaus von den vielen eher jüngeren Zuschauern, die wahrscheinlich der Welt eines Robert Wilson zum ersten Mal begegnet sind.