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Ende eines Friedensprozesses

Die Aufkündigung der Waffenruhe durch die baskische Untergrundorganisation ETA kam nicht ohne Vorboten. Schon Ende Dezember hatte die ETA einen Teil des Parkhauses im Madrider Flughafen in die Luft gesprengt und dabei zwei Menschen getötet. Die Trümmer des Parkhauses begruben auch die Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Terrorismus in Spanien.

Von Hans-Günter Kellner |
    Die baskische Hafenstadt Bilbao am letzten Samstag: 5000 Menschen demonstrieren gegen die Untergrundorganisation ETA. "Es ist unser Recht: Frieden und Freiheit - ETA Nein", steht auf einem Spruchband. Keine Fahnen sind zu sehen, niemand ruft laute Parolen. Eine ältere Dame hat für diesen Tag alle ihre Kräfte gesammelt, läuft auf Krücken mit:

    " Wir sind die ETA einfach satt. Ich demonstriere sonst nicht. Aber das ist einfach nicht mehr zu ertragen. Ich bin ein Kind des spanischen Bürgerkriegs, war viele Jahre im Exil in Moskau. Ich will diese Gewalt nicht mehr. Das geht jetzt schon so lange. Ich weiß nicht ... vielleicht haben wir ja Glück. "

    Ein Gesprächsthema ist die Verhaftung des Sprecher der Partei Batasuna. Der Oberste Gerichtshof hatte die Partei schon vor vier Jahren verboten, weil er befand, dass sie unter der Kontrolle der ETA stehe. Nun musste auch der Parteisprecher Arnaldo Otegi überraschend eine 15-monatige Haftstrafe wegen Verherrlichung des Terrorismus antreten. Die meisten Demonstranten in Bilbao finden die Inhaftierung des Batasuna-Sprechers folgerichtig:

    " Man muss sich eben an die Spielregeln halten. Und die Justiz berücksichtigt auch die äußeren Umstände. Zuvor gab es einen Friedensprozess, aber die ETA hat ihn aufgekündigt. Das Urteil ist nur die logische Antwort darauf. Eigentlich sollte der Fall ja erst nach den Parlamentswahlen im nächsten März verhandelt werden. "

    Die ETA tritt für die Befreiung des baskischen Volkes ein, ein Prozess, an dessen Ende ein unabhängiger Staat mit dem Namen Euskal Herria stehen wird. Dafür benötigen wir einen gemeinsamen Rahmen, der die Provinzen Navarra, Alava, Vizcaya und Guipúzcoa sowie Lapurdi, Baja Navarra und Zuberoa mit einschließt. Mit den sieben vereinten Gebieten bauen wir die Zukunft unseres Volkes. (...) Die Masken sind gefallen. Zapateros Charakter hat sich in Faschismus gewandelt, der Parteien und Bürgern ihre Rechte verwehrt. (....) Wir bekräftigen unsere Entscheidung, dieses Volk, das mit Waffen angegriffen wird, mit Waffen zu verteidigen. (...) ETA beendet die dauerhafte Waffenruhe und hat beschlossen, ab dem 6. Juni 2007, 0 Uhr, Euskal Herria an allen Fronten zu verteidigen.

    Mit diesem der baskischen Internet-Zeitung "Berria" zugepielten Communiqué teilte die ETA ihre Rückkehr zum bewaffneten Kampf mit. Seither fürchten sich die Spanier wieder vor Anschlägen.

    Mit der Aufkündigung der Waffenruhe war zu rechnen. Schon Ende Dezember hatte die ETA einen Teil des Parkhauses des Madrider Flughafens in die Luft gesprengt und dabei zwei Ecuadorianer getötet. Die Trümmer des Parkhauses begruben auch die Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Terrorismus in Spanien. Dabei hatte sich Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero nur wenige Tage zuvor außerordentlich optimistisch über den Friedensprozess geäußert.

    Die Bombe auf dem Flughafen beendete auch alle Spekulationen über eine Teilnahme der der ETA nahe stehenden Batasuna oder einer Nachfolgepartei an den Kommunalwahlen vom 27. Mai. Auch die Hälfte der Wahllisten der ebenfalls linksnationalistischen "Baskischen Nationalistischen Aktion" wurde verboten, weil sich Batasuna-Politiker zur Wahl stellten. Auf der letzten Pressekonferenz vor seiner Inhaftierung erklärte Batasuna-Sprecher Otegi:

    " Die Verantwortung für das Ende des Waffenstillstands liegt ausschließlich bei der ETA, die diesen Beschluss gefasst hat. Doch für das Scheitern des Friedensprozesses sind auch andere Kräfte verantwortlich: Die spanische Regierung und die baskische Nationalistische Partei. Waffenstillstände sind zwar Teil eines Friedensprozesses. Aber sie sind kein Friedensprozess an sich. "

    Wie die ETA sieht auch Batasuna die Schuld vor allem bei den in Spanien und im Baskenland regierenden Sozialisten und baskischen bürgerlichen Nationalisten, der PNV, denen sie vorwirft, sich auf keine politischen Gespräche eingelassen zu haben.

    " Nach großen öffentlichen Anstrengungen von uns Linksnationalisten sind wir im politischen Dialog vorangekommen. Aber die PNV und die Sozialisten haben gesagt: Die Basken dürfen auch am Ende dieses Prozesses nicht frei entscheiden. Es ist doch offensichtlich, dass am Ende dieses Prozesses der Separatismus nicht nur verteidigt werden darf, sondern auch wirklich umgesetzt werden darf, wenn die Menschen ihn wollen. "

    Die Sozialisten haben für ihre Verhandlungsbereitschaft viel aufs Spiel gesetzt. Acht Kundgebungen organisierten die Volkspartei und ihr nahe stehende Gruppierungen gegen die Gespräche der Regierung mit der ETA - mit beachtlichem Erfolg. Jedes mal gingen mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße.

    Im spanischen Parlament warf die Opposition Zapatero vor, vor der ETA in die Knie gegangen zu sein. Die Regierung stehe den Tätern näher als ihren Opfern, äußerte die Volkspartei noch vor der offiziellen Aufnahme der Verhandlungen. Im Gezänk um die richtige Anti-Terrorpolitik verloren die Sozialisten die Kommunalwahlen, nun droht auch ein Verlust der Regierungsmacht bei den Wahlen Anfang nächsten Jahres. Dennoch verteidigt Regierungschef Zapatero bis heute seinen Kurs:

    " Die zentrale Frage ist, ob die ETA die Waffen niederlegt, oder nicht. Wir mussten uns auf die ETA zubewegen. Ich hätte mir niemals verziehen, das nicht sondiert zu haben. Kein spanischer Regierungschef kann sich erlauben, den Schritt in diese Richtung nicht zu gehen. Unsere Hoffnungen waren berechtigt. Wir hatten mehr als drei Jahre lang keinen ETA-Anschlag mit Todesopfern mehr. Das gab es noch nie seit ihrer Gründung. Ähnliche Friedensprozesse liefen andernorts ab, zum Beispiel in Nordirland, wo der Friedensprozess nach drei Jahren geheimer Gespräche und neunjährigem Dialog erfolgreich endete. Leider sind unsere Hoffnungen, mit dem Anschlag auf den Flughafen am 30. Dezember fast völlig zunichte gemacht worden. "Der ETA eine Landebahn anbieten", beschrieben Politiker im spanischen Parlament diese schließlich gescheiterte Politik der Annäherung, die die Volkspartei als einzige Fraktion nicht unterstützen wollte.

    Dabei hatten auch die Regierungen des Sozialisten Felipe González wie auch die des Konservativen José María Aznar mit der ETA gesprochen. Aznar verlegte sogar 130 ETA-Häftlinge in Gefängnisse in und um das Baskenland. Die Verlegung der auf Haftanstalten in ganz Spanien verteilten Gefangenen ist eine der wichtigsten Forderungen baskischer Nationalisten. Vicente Martínez Pujalte, Sprecher der Fraktion der Volkspartei im spanischen Parlament:

    " Beide Situationen lassen sich nicht miteinander vergleichen. Den Waffenstillstand von 1998 hatte die Baskische Nationalistische Partei mit der ETA vorbereitet und nicht die Regierung. Unsere Regierung traf sich damals nur einmal mit der ETA. Die ETA wollte aber politische Verhandlungen führen. Damit beendeten wir die Gespräche. Diesmal bereiteten die Sozialisten die Verhandlungen mit der ETA schon vor, bevor sie überhaupt an der Regierung waren. Einmal an der Regierung, machten sie weiter. Die ETA glaubte, politische Verhandlungen zu führen. Und die sozialistische Regierung verhandelte weiter. Gleichzeitig wurde die ETA nicht mehr verfolgt. Damit hat sie ein wichtiges Ziel erreicht. Es entstand der Eindruck, der Rechtsstaat hänge einzig von Herrn Zapatero ab. Das ist ein wichtiger Unterschied. "

    Die Forderung, mit der ETA dürfe nicht politisch verhandelt werden, geht auf die Organisation "Geste für den Frieden" zurück und wurde 2004 auch von Batasuna übernommen. Demzufolge sollen ETA und die Regierung sich ausschließlich über die Gefangenen, die vor der Justiz Geflohenen und die Opferfrage unterhalten. Die Politik solle Angelegenheit der Parteien sein, heißt es in einer Initiative Batasunas.

    Doch die ETA selbst hielt sich nicht an diesen von der ihr doch nahe stehenden Partei vorgegebenen Verhandlungsrahmen. In ihrem Communiqué zur Rückkehr zu den Waffen formuliert sie erneut ihre politischen Ziele wie das baskische Selbstbestimmungsrecht oder die Vereinigung des gegenwärtigen Baskenlandes mit der Nachbarregion Navarra und dem französischen Baskenland. Auch Regierungschef Zapatero erklärt, dass die Gespräche schließlich gescheitert seien, weil die ETA auch über Politik sprechen wollte.

    " Die ETA begann, politische Forderungen zu stellen. Als Regierungschef kann ich aber nicht akzeptieren, dass Gewalt sich politisch auszahlt. Politische Entscheidungen treffen bei uns die Parlamente, natürlich ohne Gewalt, ohne Terrorismus, Attentate, Morde. Unser Ziel war, dass die ETA das akzeptieren würde. Dass es keine politischen Verhandlungen geben werde, dass es in den Gesprächen nur um Wege zum Ende der Gewalt gehen könne. Wäre das einmal erreicht, könnten sie teilhaben an den demokratischen Institutionen und den politischen Debatten. "

    Zum Schluss drängte sich der Eindruck auf, die politische Zukunft Zapateros liege in der Hand der ETA.

    Diesen Vorwurf macht nicht nur die Opposition, sondern auch der Terrorismus-Forscher Juan Avilés von der spanischen "Uned"-Universität. Für ihn hat Zapatero ungeschickt verhandelt und zu schnell zu große Zugeständnisse gemacht:

    " Niemals zuvor wurde solchen Kontakten so große politische Bedeutung beigemessen. Die Sozialisten baten ja sogar das Europaparlament, den Friedensprozess zu unterstützen. Zudem wurde der Fahndungsdruck auf die ETA reduziert. Die Staatsanwaltschaft zog eine Anklage gegen den Batasuna-Sprecher Otegi zurück. Die Baskische Nationalistische Aktion, ganz offensichtlich ein trojanisches Pferd Batasunas, wurde zu den Kommunalwahlen in der Hälfte der baskischen Gemeinden zugelassen. Das sind alles Zugeständnisse, ohne dass sich die ETA irgendwie bewegt hätte. "

    Solche Signale der Verständigungsbereitschaft Zapateros werten ETA und Batasuna jedoch umgekehrt: Er habe den Fahndungsdruck nicht ausreichend zurückgenommen und das Verbot Batasunas zu den Kommunalwahlen aufrecht erhalten, werfen sie ihm vor. Aber selbst viele Kommunalpolitiker Batasunas meinen, dass im Grunde der ETA-Anschlag ihrer Teilnahme an den Wahlen im Wege stand. So bemerkt der ehemalige Bürgermeister des Dorfes Arratzu José Luis Zayo von Batasuna:

    " Mich hat dieser Anschlag schon überrascht. Ich hatte auch gehofft, dass wir uns zur Wahl stellen könnten und dass wir legalisiert würden. Dadurch ist unsere Arbeit der letzten vier Jahre jedoch umsonst. "

    Die Gegner der Annäherung fühlen sich unterdessen bestätigt. Die Volkspartei wollte gar per Gesetz Verhandlungen mit der ETA verbieten lassen. Die Befürworter von Verhandlungen meinen hingegen, Polizei und Justiz könnten die Gewalt zwar reduzieren. Aber eine Organisation wie die ETA mit immer noch beachtlichem Rückhalt in der baskischen Bevölkerung sei nur durch Gespräche zur Aufgabe zu bewegen. Terrorismus-Forscher Avilés sieht bei Zapatero jedoch zumindest mangelndes Verhandlungsgeschick:

    " Es ist doch auch unvorstellbar, dass die italienische Regierung mit der Mafia verhandelt. Straftäter kommen ins Gefängnis, nicht an den Verhandlungstisch. Dennoch ist es verständlich, wenn eine Regierung ein Ende der Gewalt auf diesem Weg erreichen möchte. Aber dann muss sie diskreter vorgehen. Wenn ich auf einem Flohmarkt bin, sage ich dem Verkäufer auch nicht: "Was Du dort hast, interessiert mich enorm. Was willst Du dafür haben?" Das ist keine gute Strategie. Zapatero hat sein ganzes Prestige in die Waagschale geworfen, so dass die ETA überzeugt war, in einer starken Verhandlungsposition zu sein. Das war Zapateros grundsätzlicher Fehler. "

    Überraschend schnell hat die Regierung Zapatero den Kurs gewechselt. Der ETA-Gefangene Iñaki de Juana Chaos, der während des Waffenstillstands wegen eines Hungerstreiks in ein Krankenhaus ins Baskenland verlegt worden war, verbüßt seine Haftstrafe jetzt wieder in einem Gefängnis bei Madrid. Auch Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi musste überraschend ins Gefängnis.

    Zapatero weist zudem zwar die Forderung der Volkspartei nach einem schnellen Verbot der noch legalen "Baskischen Nationalistischen Aktion" zurück, warnt ihre Politiker aber auch vor zu großer Nähe zur ETA. Und bei einem Treffen mit Oppositionschef Mariano Rajoy beschlossen beide, nicht länger Konfrontationskurs zu steuern. Zapatero:

    " Wir sind mit einer sehr schwierigen Situation konfrontiert. Die Spanier wissen das. Ich werde mit der gleichen Entschlossenheit, mit der ich den Frieden angepeilt habe, jetzt unseren Rechtsstaat und unsere Freiheit verteidigen. Ich strebe die Einheit aller Parteien an. Heute interessiert mich nur, wie ich die Sicherheit aller Bürger verteidigen kann. "

    Trotz der anstehenden Parlamentswahlen hält sich nun auch die Volkspartei mit ihrer Kritik zurück. Schulter an Schulter wolle man nun die ETA bekämpfen, erklärt Oppositionsführer Rajoy, der angesichts der Anti-Terrorpolitik vor wenigen Wochen noch den Rücktritt Zapateros gefordert hatte. Auch der konservative Parlamentsabgeordnete Martínez-Pujalte richtet seine verbalen Drohungen nun vor allem an die Adresse der ETA:

    " Alle in den Parlamenten vertretenen Parteien sind gegen diese Gewalt. Für die Gewalt sind nur die ETA und ihr Umfeld. Für den Anschlag auf dem Madrider Flughafen ist allein die ETA verantwortlich. Niemand sonst. Niemals kann man eine Regierung für einen Anschlag verantwortlich machen. Auf der einen Seite stehen wir, Konservative, Sozialisten, katalanische und baskische Nationalisten und so weiter. - Und auf der anderen Seite steht die ETA. Wir verteidigen unsere unterschiedlichen politischen Vorstellungen, wir streiten uns, aber wir leben doch zusammen. Wir müssen alle gegen ETA kämpfen. Und wenn es jetzt einen Anschlag gibt, ist alleine die ETA verantwortlich. "

    So musste die ETA erst den Waffenstillstand aufkündigen, um die spanischen Parteien in Sachen Terrorismusbekämpfung wieder an einem Strang ziehen zu lassen.

    Auch bei der Demonstration der Organisation "Geste für den Frieden" in Bilbao demonstrierten erstmals seit Jahren wieder Mitglieder aller Parteien gemeinsam. Die Friedens-Aktivistin Itziar Aspuru ist zufrieden:

    " Wir machen keine Politik, wir bewerten nicht, ob das baskische Autonomiestatut ausreicht oder nicht. Die Leute können denken, was sie wollen. Aber wir sagen energisch: Es gibt keine Rechtfertigung für die Gewalt. Es mag einen politischen Konflikt im Baskenland geben. Andere meinen, dass es diesen Konflikt nicht gibt. Aber das alles rechtfertigt nicht die Gewalt, die Bedrohungen und Erpressungen der ETA. "

    Seit 20 Jahren gibt es die Organisation "Geste für den Frieden". Noch in den 80er Jahren wurden die ersten Pazifisten im Baskenland für ihr Symbol am Hemdkragen, ein blaues Schleifchen, von ETA-Anhängern verprügelt, noch heute sind sie nicht überall gerne gesehen. Für Itziar Aspuru sind die Gründe, gegen die ETA zu demonstrieren heute die gleichen wie einst.

    " Wütend war ich, sehr wütend. Wir hielten den Waffenstillstand ja schon mit dem Anschlag vom Dezember auf den Madrider Flughafen für beendet. Aber dieser drohende Ton in dem Communiqué hat mich jetzt sehr geärgert. Und diese Anmaßung, im Namen des baskischen Volkes zu sprechen. Das hat mir schon immer sehr weh getan. "

    Applaus für das nüchtern vorgetragene Manifest, in dem die ETA aufgefordert wird, den Weg zu ebnen für eine Politik der Argumente. Und hoffnungsvolle Worte von "Geste für den Frieden" auf Baskisch und Spanisch:

    " "Danke, dass ihr gekommen seid für den Frieden. Hoffen wir, dass es das letzte Mal ist, dass wir auf die Straße müssen, um der ETA zu sagen: Nein!"