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Ende nach Maß

In der vergangenen Woche war Darmstadt das Mekka für die Freunde der Computerspiele. Die Messe "" präsentierte dabei nicht nur rein optische Leckerbissen, sondern auch Bücher zum Anhören, bei denen Zuhörer eingreifen können.

Von Klaus Herbst |
    "Es war ein lauer Herbsttag, als ich bei meiner Besichtigung der Landeshauptstadt Magdeburg auch endlich den berühmten Magdeburger Dom erreichte. In meinem Sagenbuch, in dem ich hin und wieder schmökerte, hatte ich einige interessante und fantastische Geschichten über dieses ehrwürdige Bauwerk gelesen."

    Getreu einer alten Sage ist der Magdeburger Domschatz verschollen. Wird ihn der Erzähler im interaktiven Hörbuch, ein Tourist, endlich entdecken? Versonnen schlendert er durch den Dom.

    "Hmm, ein Weihwasserbecken. Ehrerbietungsvoll tauchte ich meine Hände in das heilige Wasser. "

    Der Tourist trifft einen Mönch. Der gibt wertvolle Hinweise auf den Schatz, die Umgebung verändert sich ständig. Der Spieler in der Gestalt des Touristen erlebt und beeinflusst das Geschehen im packenden Abenteuerspiel. Schon in der Entwicklungsphase funktioniert es prinzipiell ohne Monitor. Im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts über interaktive Hörbücher lassen Forscher und Spieleentwickler erstmals jegliche Computergrafik bewusst außen vor. Man braucht eine gute Soundkarte, einen Kopfhörer, einen winzigen, am Kopfhörer angebrachten Magnetsensor und einen Magnetzeigestift. Der Sensor registriert Kopf- und Stiftbewegungen.

    Sein Gegenstück, eine kleine Magnetbox, empfängt die Signale, PC oder Notebook werten sie aus. Durch Nicken signalisiert man Zustimmung und durch Kopfschütteln Ablehnung. Eine schräge Kopfhaltung bringt Zweifel zum Ausdruck. Mit dem Magnetstift zeigt man dem Rechner, wo es bei der spielerischen Schatzsuche langgeht. Mit gesprochenen Befehlen bringt der Spieler Türen zum Öffnen, die Orgel zum Schweigen und knackt das Schloss der sich knarrend öffnenden Truhe mit dem Domschatz. Professor Maic Masuch vom Institut für Simulation und Graphik der Universität Magdeburg:
    "Hörbucher und Computerspiele sollen verschmelzen zu einer Umgebung, wo wir völlig auf das visuelle Element verzichten. Computerspiele sind ja üblicherweise sehr opulent, kommen grafisch daher, und auch der visuelle Sinn ist ja für den Menschen sehr bestimmend. Mit dem Roman können wir nicht interagieren – mit dem Hörbuch bislang auch nicht, aber wir versuchen, Computerspiele dahin zu bringen, dass wir mal das Beste aus beiden Welten verschmelzen können."

    Das audiophone, interaktive Computerspiel ist unter Leitung des Computervisualisten Niklas Roeder entstanden. Es ist so bunt wie die Graphik eines modernen Spiels, genauso spannend, dreidimensional und bewegt. Der Verzicht auf knallige Computergrafik bedeutet keinen Verlust an Sinneserfahrung - im Gegenteil:

    "Zum einen ist es aus der Sicht der Erzählung eine interessante Spielwiese, mit der man eben auch verschiedene Elemente variieren kann. Man kann also als Autor von einer solchen Erzählung, wie auch als Autor von einem Computerspiel, eben ganz unterschiedliche Erzählstränge verfolgen und hat eben ein völlig neues Medium, ohne natürlich diesen gesamten visuellen Effekt zu haben, dass ich eben gleich die Bilder mitliefern muss. Und ich denke, da kann man aus dem Erzählerischen ganz neue Welten entdecken."

    Alle Objekte müssen für den Hörsinn aufbereitet werden. Auch Objekten, die eigentlich gar keine Geräusche machen, müssen bestimmte Töne zugeordnet werden, damit der Spieler sie überhaupt erkennen kann. Das Klappern eines Schlüssels steht dann für "Tür". Jedwede Gegenstände lassen sich durch Fanfaren, Klingeln und andere typische Computergeräusche repräsentieren. Schritte werden überzeichnet, also übernatürlich laut wiedergegeben, um beispielsweise den Sinn für eine sich nähernde Gefahr zu schärfen. Um sich in der rein auditorischen Welt zurechtzufinden, muss der Spieler zuerst an einem Tutorium teilnehmen. In einer kurzen Lernphase, merkt er sich die neuen Klänge und lernt, sie richtig zuzuordnen. Maic Masuch:

    "Die Forschungsfrage, die wir uns stellen: Wie weit können wir gehen? Was für Techniken können wir zusätzlich noch erforschen oder den Menschen mitgeben, wenn wir auf das Visuelle völlig verzichten? Man muss sich einfach viel bessere Geschichten überlegen und man muss sich sehr viel mehr Mühe geben, gute Geschichten zu erzählen. Und das ist eine Fähigkeit, die können wir auch wieder damit anregen, dass wir eben Bedarf an so einer Art von Geschichten haben."