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Endlager Finnland

Olkiluoto - eine kleine Insel im Süden Finnlands, vor der finnischen Westküste. Auf dem Eiland: zwei Kernkraftwerke, ein drittes ist im Bau und unter der Insel wird ein Atommüllendlager eingerichtet! Es soll das erste Endlager für hochradioaktiven Müll in Europa werden.

Mit Reportagen von Knut Benzner, am Mikrofon: Britta Fecke |
    Was andere nicht wollen, die Finnen nehmen es - den hochradioaktiven Müll anderer Länder, auf dass er dem Land Arbeitsplätze und Wohlstand beschere. Um die gesundheitlichen Folgen sorgt sich bisher kaum jemand. Es gab keine nennenswerten Proteste gegen die Atommülldeponie.

    Bereits 2020 könnten die ersten Container in die Deponie einfahren, und obwohl noch gebaut wird, planen die Ingenieure schon jetzt eine Erweiterung. Ein Geologe versicherte: "Bereits nach 10.000 Jahren ist der Müll gar nicht mehr so gefährlich. Essen sollte man ihn dann auch nicht. Aber Sie können die Container berühren, ohne verstrahlt zu werden."


    Einsamkeit und Birkenwälder, Blockhütten und Sommerhäuser: finnische Fischer lieben diesen Ort am Bottnischen Meerbusen, denn hier friert das Wasser im Winter später zu, die anliegenden Kernkraftwerke leiten ihr Kühlwasser aufgeheizt ins Meer zurück. Zwei sind schon da, ein drittes - es wird das größte weltweit - ist im Bau und daneben soll das erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll der Welt entstehen. Alles dicht nebeneinander auf der abgelegenen Halbinsel Olkiluoto im Südwesten Finnlands, nach ihrem Standort sind auch die Reaktoren benannt: Olkiluoto I und Olkiluoto II und III tragen den selben Namen.

    Die nächst größere Stadt am Atommüllendlager und am neuen Kernkraftwerk ist Rauma. Die Kleinstadt an der Ostseeküste, mit ihrem historische Hafen, der Altstadt aus Holz, den reich verzierten Wohnhäusern wurde 1991 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt. Heute leben rund 37.000 Menschen in Rauma und viele von ihnen leben von der Atomindustrie: vom Bau des Endlagers und des dritten Reaktors Olkiluoto III gleich vor der Haustür



    Das Leben neben den Kernkraftwerken
    Menschen in Rauma und Eurajoki
    Es ist abends, die Geschäfte sind geschlossen, nicht viel los. Eigentlich gar nichts. Eine Kneipe. Am malerischen Marktplatz. Der Pub Uotolinto. Eine Wirtin, ein männlicher, ein weiblicher Gast. Sari Lahtinmakki, aus Rauma. Die Leute hier, sagt sie, finden Olkiluoto III und das Atommüllendlager okay. Sie arbeiten dort.

    Sari Lahtinmakki trinkt ein Bier. Es sei noch zu früh für weitere Gäste hier, sagt die Wirtin. Und der männliche Gast hat mindestens schon zwei Bier. Auch am Marktplatz: ein Büdchen.

    Olkiluoto, sagt Tajjah Yolampä, ist gut. Olkiluoto gibt den Menschen Arbeit.

    Und wenn das Ding, meint sie dann, doch mal in die Luft fliegt ...

    Es gibt niemanden in Rauma, der gegen Olkiluoto ist. Im Hafen nicht, am Strand nicht.

    Am Strand. Neben dem Hafen. Eine Bucht zwischen Campingplatz und Schwimmbad. Die Abendsonne scheint, der Wind weht leicht, es ist immer noch nicht Frühling und nach wie vor recht kalt. Drei junge Männer, dick angezogen, spielen dennoch Frisbee. Ohtalahti heißt die Gegend und zwei Ecken weiter, zwei Ecken weiter ist, in einer anderen Bucht, die Marina. Einer der drei jungen Männer ist Tuomas Morrema, 24, studiert in Rauma Pädagogik. Morrema will Lehrer werden.

    Seit einem Jahr hier, vier hat er noch. Längeres Haar, Bart, Jeans, Kapuzenjacke, Turnschuhe. Morrema ist sowohl gegen Olkiluoto III - besser gesagt, er ist grundsätzlich gegen Kernenergie -, und er ist gegen das Atommüllendlager.

    "Ja."

    Warum?

    "Es ist nicht gut für die Natur, man entkommt dem nicht. Der Müll da unten. Und sie wissen nicht, was in 100.000 Jahren passiert. Sie sollten Wind-, Wasser- und Sonne zur Energiegewinnung nutzen, all das kommt aus der Natur, und es kann nicht so schwierig sein, daraus Energie zu gewinnen."

    Fünf Hotels gibt es in Rauma, belegt von denen, die in höheren Positionen drei, vier Tage dort sind.
    Rauma, Olkiluoto und Eurajoki bilden ein gleichschenkliges Dreieck. Eurajoki ist das Dorf, was Olkiluoto am nächsten ist. Außerdem ist Olkiluoto Teil der Gemeinde Eurajoki.


    Einen Tag später. Eurajoki. Eine Kirche, ein Supermarkt, noch ein Supermarkt, noch eine Tankstelle, ein Umspannwerk, flache Häuser, eine Apotheke, ein Brillengeschäft.
    Die Touristeninformation ist zu, ein Mann bringt Leergut weg.

    Da hinten ist ein Kindergarten, die Eltern sind arbeiten, die Kinder dort.

    Raima Kukkamäki war Lehrer, der Direktor der ortsansässigen Schule.

    Da vorne, sagt Kukkamäki, 63 und in Rente, da vorne war früher ein Restaurant, da waren immer die Arbeiter, als sie die ersten beiden Kernkraftwerke Olkiluoto I und II gebaut haben.

    5800 Einwohner. Die ganze politische Gemeinde. Mit ihren insgesamt 28 Dörfern und Örtchen.
    Ganz schön ruhig.

    Ja. Ruhig und keine Kriminalität.

    Gute Schulen, überall hätten die kleinen Schulen dicht gemacht - bei ihnen nicht.

    Olkiluoto ernährt Eurajoki.

    Und auf der anderen Straßenseite, gegenüber, sagt Kukkamäki, sei ein neues Rat- und Gemeindehaus. Ein Laden, der leer steht. Daneben eine Boutique. Und eine Gaststätte.

    Er wisse nicht, ob Olkiluoto III so gut laufe wie Olkiluoto I und II, sagt ein junger Mann. Und das Atommüllendlager?

    Nein, das will er auf keinen Fall. Das ist ihm wirklich zu gefährlich.

    Und, merkt er an, zu viele Fremde. Die Gemeinde Eurajoki hätte sich gegen Olkiluoto III aussprechen können, sie hätte das Recht dazu gehabt. Und sie hätte auch das Recht gehabt, das Atommüllendlager abzulehnen. Sie hätten, nach finnischem Gesetz, einfach nein sagen können, im Jahr 2000. Sie stimmten für das Lager - noch bevor das Parlament sich auf Olkiluoto geeinigt hatte.


    Rosa Liksom wurde 1960 in Nordfinnland geboren und ist für ihre verblüffenden Erzählungen auch über die Landesgrenzen bekannt. In "Verlorene Augenblicke" beobachtet sie die Eigenheiten der finnischen Seele und der finnischen Landschaft, bzw. die Wechselwirkung zwischen beiden: Sie erzählt von Selbstmördern, unglücklich Liebenden und anderen Einzelgängern. Die Sammlung: "Verlorene Augenblicke" ist 1992 beim Rowohlt-Verlag in Reinbek Hamburg erschienen.

    Finnland ist das erste Land in Westeuropa, das nach dem Gau von Tschernobyl wieder ein Atomkraftwerk baut, und mit Olkiluoto III entsteht auch gleich das leistungsstärkste Atomkraftwerk der Welt: Es ist mit 1600 Megawatt das leistungsstärkste und zugleich das aufwendigste Bauprojekt in der finnischen Geschichte. In Olkiluoto wird schon jetzt mit Olkiluoto I und Olkiluoto II fast 20 Prozent des gesamten Strombedarfs gedeckt.. Wenn Olkiluoto III ans Netz geht, werden es 35 Prozent sein. Der Stromverbrauch pro Kopf ist in Finnland rund doppelt so hoch wie in Deutschland, die meiste Energie verschlingt die Papier-Chemie- und Metallindustrie, aber auch die Privathaushalte verbrauchen im Schnitt mehr, als andere europäische Haushalte: von der Fußbodenheizung bis zur Sauna weiß sich der Finne über den langen Winter zu retten.. Der Stromverbrauch ist hoch , die Akzeptanz der Atomkraft auch.

    STUK- so heißt das finnische Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz.. Die Behörde sitzt in einem Industriegebiet zehn Kilometer nördlich von Helsinki. 350 Mitarbeiter sind hier beschäftigt und rund ein Drittel von ihnen arbeiten ausschließlich für die Sicherung der Reaktoren und des Endlagers:


    In einem kleinen, zweckmäßigen Sitzungszimmer bei der STUK. Stahlrohrtische, Stahlrohrstühle, die Wände aus Glas.

    Jussi Heinonen, 31, ist bei STUK Atommüllexperte. Heinonen, zwei Kinder, trägt kurzes Haar, helles Hemd, Krawatte, Anzughose. STUK ist nicht der Ort, Energiepolitik in irgend einer Form zu kommentieren.

    Weder für Jussi Heinonen, noch für seinen Kollegen, der neben ihm sitzt. Petteri Tiipana, 37, seit 13 Jahren bei der STUK, er kam gleich nach dem Studium, und ist inzwischen Projektmanager für Olkiluoto III. Drei Kinder, keine Krawatte, verheiratet.

    Glücklich verheiratet, wie er eben anmerkte. Aus Ostfinnland, Karelien. Beide sind bei STUK, weil sich beide für die Sicherheit des finnischen Volkes verantwortlich fühlen. Petteri Tiipana:

    "Ja. STUKs und unser Verantwortungsbereich muss garantieren, dass der Gebrauch von Radioaktivität und nuklearer Energie nicht zum Nachteil der Umwelt, der Menschen und folgender Generationen wird."

    Wie gefährlich ist Kernenergie, wie gefährlich ist Radioaktivität, wie gefährlich kann ein Reaktor wie Olkiluoto III und das Atommüllendlager nebenan sein?

    "Im Prinzip ist Radioaktivität gefährlich für die Gesundheit. Der Ansatzpunkt zum Gebrauch von nuklearer Energie ist der, dass Radioaktivität gelenkt werden muss. Du kannst die Risiken lenken, indem du Sicherheitsvoraussetzungen, Sicherheitsansprüche aufstellst. So hoch wie nötig. Während der Planung des Reaktors, während dessen Konstruktion. Wenn der Reaktor bei Betrieb all dem Folge leistet, ist er sicher, und die Sicherheit ist die Voraussetzung, den Reaktor in Betrieb zu nehmen."

    "Die Entsorgung, die Entsorgungsmöglichkeit vom technischen Gesichtspunkt her ist nicht so kompliziert wie die Sicherheit eines nuklearen Reaktors. In unserm Fall kommt der komplizierte Teil daher, dass wir die Natur verstehen müssen, wie das Gestein arbeitet. Und dann haben wir die Zeitperspektive. Wir reden über 10.000 Jahre, 100.000 Jahre, letztlich Millionen von Jahren. Wir haben das Problem, verschiedene Felder der Wissenschaften und Technologien zusammen zu bringen, und dann brauchen wir Leute, die verstehen, was wichtig für die Sicherheit ist. Denn es gibt Unterschiede, was wissenschaftlich und was sicherheitstechnisch wesentlich ist."

    Alles läuft über ihre Tische. Jedes Formular, die kleinste Muffe, der Träger aus Titan, jede Zeichnung.

    "Im Prinzip, bei den Treffen mit dem Konsortium: Ja."

    Den Zeitplan hatte - bereits in den frühen 80ern - die finnische Regierung fest gesetzt. Ein Atommüllendlager bzw. ein Kernkraftwerk plant man nicht von heute auf morgen, ja nicht einmal in einer Zeitspanne von 20 Jahren. Olkiluoto III, der Reaktor, sollte zunächst 2009 fertiggestellt werden. 2012 wird es, nach den letzten Planungen und einigen Schwierigkeiten mit dem Fundament, soweit sein. Das Atommüllendlager wird 2020 in Betrieb gehen.

    Was wird auf den Kupfer-Behältern, auf diesen riesigen, Tonnen schweren Ummantelungen, in denen die Brennstäbe eingelagert sein werden - und aus Kupfer deshalb, weil dieses rotbraune Metall als rostfrei gilt -, was also wird auf jenen Kupferbehältern stehen? Stop? Danger? Radioactivity? Auf Finnisch? Auf Englisch?

    "Wenn das Endlager in Betrieb ist und die Kupferkanister in ihrer Verbringung sind, wird zum Schutz derer, die dort arbeiten, das Zeichen für radioaktive Strahlung auf den Behältern sein. Aber normale Menschen können währenddessen sowieso nicht in den Stollen. Wenn die Endlagerung beendet ist und das Endlager geschlossen. Es ist ein wenig diskutiert worden, was für ein Symbol auf der Krone sein soll, doch eine Entscheidung ist noch nicht getroffen."

    Ein, zwei Mal fahren die beiden im Monat von Helsinki nach Olkiluoto.

    Es ist schön da, sagt Jussi Heinonen. Die See, die Felsen, lieblich, ein normaler westlicher Teil Finnlands.

    "Man kann fischen, und das ist ja sowieso populär bei uns."

    Neben dem größten Reaktor der Welt, wenn er betriebsbereit ist.


    Onkalo bedeutet kleine Höhle, Grotte, die Ingeneure meinen damit das einzige Endlager für hochradioaktiven Müll auf der ganzen Welt. "Kleine Höhle" ist eine recht niedliche Umschreibung für den Ort, an dem in Zukunft die gefährlichste Altlast menschlicher Energiegewinnung für immer lagern soll: stark strahlende Brennelemente, deren Halbwertzeit bei 10.000 Jahren liegt. Das Endlager entsteht im Innern der Insel Olkiluoto. Der Stollen wird bis auf 500 Meter in die Tiefe getrieben, wenn das Gestein hält, was Geologen vermuten (versprechen), dann sollen vom Stollen aus kilometerlange Seitenarme in alle Richtungen getrieben werden. In diese Tunnel werden dann senkrechte Schächte gesprengt, darin sollen die Kupferbehälter mit den abgebrannten Brennstäben gelagert werden.

    Die Ewigkeit ist teuer! Bisher ist der Bau des Endlagers mit drei Milliarden Euro veranschlagt.. Bislang bohren hauptsächlich heimische Firmen in den finnischen Granit - das Geld bleibt im Land. Und da Kernkraft für Finnen vor allem Arbeitsplätze, Wohlstand und Wärme bedeutet, hat sich die Gemeinde Eurajoki, zu deren Gebiet Olkiluoto gehört, sogar um das erste Endlager für hochradioaktiven Müll beworben. An dem Reaktor, der gleich daneben entsteht, verdient dagegen halb Europa: 2336 Firmen aus 29 Ländern arbeiten hier.



    Die kleine Höhle, die zum Endlager wird


    "Das ist der Kupferüberzug, der über sieben Tonnen wiegt, metrische Tonnen. Hier ist das Kugelgraphit-Gusseisen-Insert, das wiegt 13 metrische Tonnen. Das verleiht dem Kanister Halt, und der Kupferüberzug macht es resistent gegen Rost."

    Die doppelte Schutzhülle für die zu endlagernden Uranbrennstäbe. 4,80 lang, bei einem Durchmesser von einem Meter. Ein Demonstrationsobjekt. Ein abgebrannter Brennstab misst etwa vier Meter.

    Auf dem Weg zum Endlager, am Rande von Olkiluoto I und II, den beiden Siedewasserreaktoren, am Rande des im Bau befindlichen Olkiluoto III, einem Druckwasserreaktor.

    "Hängen Sie sich bitte eine Weste um, ziehen Sie sich Stiefel an und setzen Sie sich einen Helm auf."

    Drin. Im Onkalo-Bereich. Onkalo ist die finnische Bezeichnung für Atommüllendlager. Onkalo - soviel wie Grotte. Vorbei am Projektbürogebäude, am Hauptgebäude und am Gebäude der Geologen.

    Timo Seppälä, der Kommunikationsdirektor des Onkalo. Er werde demnächst, sagte er gerade, 50. Und sei nicht so glücklich damit. Seppälä lebt im knapp 300 Kilometer entfernten Helsinki und ist seit sieben Jahren auf der Baustelle.

    "Hier. Hier ist eine Informationswand. Die erste Reihe zeigt die momentane Länge des Tunnels an. 3534 Meter. Dann die nächste Reihe darunter gibt die Art der Arbeit an, die gerade stattfindet. Man bohrt Verfugungslöcher. Und sie zeigt ein grünes Licht an - man kann mit den Fahrzeugen hinein."

    Vor dem Eingang des ersten Atommüllendlagers der Welt.

    "Ja, und wenn wir noch ein Stück die Rampe hinunter gehen, sehen wir den Eingang des Tunnels."

    335 Meter tief ist der Tunnel mittlerweile. Wie eine Spirale bohrt er sich in den Gneis.

    Ein grauer Fels, ein bestimmter Typ Gneis, üblich auf der Insel. Noch ein paar Schritte weiter.

    Auf zehn Meter Länge geht der Tunnel einen Meter in die Tiefe. Sechs Meter hoch, 5,50 Meter breit. Wie gesagt, wie eine Spirale - vier Spiralen, vier Schleifen, die zu weiten Feldern von 1,5 Quadratkilometern anwachsen werden. Den Platz brauchen sie. Für die Brennelemente der vier vorhandenen finnischen Kernkraftwerke, für das fünfte, das in Bau ist, also Olkiluoto III - und für weitere, die das Parlament in naher Zukunft plant.

    Wieder an der Luft: Vorbei an den Baracken der Arbeiter und Ingenieure, zu den Geologen, die gerade alle Mittag machen. Schräge Gestelle mit ein Meter langen Fächern, in denen runde Gesteinsproben liegen.

    Im Prinzip tun sie in Olkiluoto nur so, als bauten sie ein Endlager. Das, was gebaut wird, ist quasi eine Probe, ein unterirdisches Forschungslabor und ein Nachweis dafür, dass sich jener Gneis eignet zur Lagerung radioaktiver Brennelemente. Doch wenn jener Nachweis bestätigt sein wird, wird aus der Bestätigung die Billigung.

    Noch ein kurzer Blick auf den Komplex des neuen Reaktors? Sie bedingen sich, der Onkalo und Olkiluoto III. Das Atommülllager und der Reaktor.

    "Hier muss man ein bisschen aufpassen."

    "Ah, wir stehen jetzt auf die Baustelle von Olkiluoto III."

    Käthe Sarparanta, 62. Wie viele Finnen ihrer Generation spricht sie hervorragend deutsch.

    "Ich bin finnisch, ja."

    Und seit 28 Jahren bei TVO, dem finnischen Kernkraftwerksbetreiber.

    "Ja, das ist, äh ..."

    "Das finnische Atomenergiegesetz verbietet zur Zeit Export und Import von Atommüll, wenn man das so nennt."

    In der Bundesrepublik Deutschland nennt man es so.

    "Und wir haben schon ein Endlager in Betrieb seit 1992 für schwach und mittelaktives Betriebsabfall."

    Auch auf dem Gelände, zwar nicht alle, aber viele: die Schlafplätze der insgesamt 4500 Arbeiter. Arbeiter aus aller Welt.

    "Ah, die Arbeiter, in der Freizeit spielen sie zum Beispiel Fußball, man hat hier ein paar Fußballplätze eingerichtet, sie spielen Volleyball, man hat auch Zeit reserviert in Sporthallen in Gemeinden Eurajoki und in Rauma, und ich weiß, dass einige Personen im Chor singen, oder es gibt einen, der ein Rugbyteam leitet. Wir haben einen Südamerikaner, der Tänzer lernt, wir haben ja, der größte Teil von ausländische Arbeiter hier, die größte Gruppe kommt aus Polen."

    Vielleicht ist die Baustelle eines Kernkraftwerkes ja ein multikultureller Ort. Das macht die Kernenergie und deren Endlagerung allerdings nicht weniger gefährlich.


    In Finnland gibt es kaum Proteste gegen Atomkraft, weder gegen den Bau neuer AKWs noch gegen das Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Das war nicht immer so: 1982 waren nur 24 Prozent der Finnen für die Nutzung der Kernkraft, der Rest war dagegen; auch das Parlament lehnte Anfang der 80er-Jahre den Bau eines neuen Reaktors ab. Und das, obwohl es in Tschernobyl noch nicht zur Kernschmelze gekommen war, der GAU war erst vier Jahre später. Doch dann begann der finnische Energieversorger TVO mit seiner Lobbyarbeit: 20.000 Finnen wurden jährlich nach Olkiluoto gefahren. Betriebsausflüge und Wandertage zum Kernkraftwerk: Spiel und Spaß im Schatten der Turbinen. Kernphysiker besuchten den Unterricht, die Schulen erhielten bessere Sporthallen, die Atomindustrie brachte Arbeitsplätze und vor allem billigen Strom für die energieintensive Papier- und Chemieindustrie des Landes. Als dann das Endlager im Parlament 2001 zur Abstimmung stand, stimmten 159 mit Ja und nur drei Abgeordnete waren dagegen..

    Seit April 2007 gehören der Regierung die Zentrumspartei, die nationale Sammlungspartei, die Grünen und die Partei der schwedischen Minderheit an. Die Sozialdemokraten sind in der Opposition, obwohl sie bei den letzten Wahlen auf 21,4 Prozent uns auf 45 Sitze kamen. Einen dieser Sitze hat Jouko Skinnari inne, er ist 62 und seit 30 Jahren Parlamentsmitglied.


    In der Opposition
    Der Sozialdemokrat
    Mit dem Aufzug in den zweiten Stock und dann in Skinnaris Arbeitszimmer. Ein kleines Arbeitszimmer. Eine Couch, ein Tisch davor, ein Schreibtisch mit Stuhl, Regale an der Wand, auf seinem Schreibtisch Akten über Akten, Jurist ist der Mann aus Lahti.

    Schwarzer Anzug, weißes Hemd und weiße Haare. Er sucht Papiere.

    "Wir haben ein relativ breites Parteienspektrum in Finnland, und die Türen und Fenster sind offen in Diskussionen. Aber wir sind eine linke Partei und schauen nach vorne."

    Einige der Grünen, ergänzt er, seien gegen die Kernenergie und das Atommüllendlager, die meisten wohl - doch sie akzeptieren, dass beides da ist.

    "Wir sind in der Opposition. Die Grünen sind zum zweiten Mal Mitglied der Regierung, beim ersten Mal haben sie sie verlassen. Der Grund war die Atompolitik, die die Grünen damals nicht gestützt haben."

    Unterdessen ist es in Fragen der Energiepolitik zu einem Konsens gekommen. Und in fünf Jahren haben sie in fünf Lesungen fünf Mal entschieden, keinen Atommüll zu ex- oder importieren. Es gibt, was das betrifft, scheinbar Gesprächsbedarf - von wem auch immer.

    "Heute war der Präsident von Litauen in Olkiluoto. Sie haben alte Technologien, alte Kernkraftwerke, sie sollten neue haben. Wir haben neue, es ist wichtig, dass sie ihre vorsichtig melken. Die sind gefährlich, und das Gefährlichste ist der Müll."

    Sie haben, wie die Finnen in Loviisa an ihrer Südküste östlich von Helsinki ebenfalls, veraltete russische Reaktoren.

    "Die finnische Technologie ist in Sachen Atommüllentsorgung führend, wichtig für uns, denn es gibt nur ein paar Länder auf der Welt, die diese Art des Atommüllendlagers wie wir in Finnland machen können."

    Die finnische Art des Atommüllendlagers?

    "Dry rock" - trockener Fels. Die Brennstäbe im Kupfer- und Kugel-Graphit-Gusseisen-Mantel, 500 Meter im Granitstein, 500 Meter unter der Ostsee, unter dem Salzwasser. Sie diskutieren im Parlament inzwischen das fünfte Kernkraftwerk, sie diskutieren das Kernkraftwerk und über die Firma, die den Auftrag bekommen soll. Der Onkalo, das Atommüllendlager, ist aus- respektive anbaufähig. Sie wollen sich unabhängig vom Monopol des russischen Gases machen, sie rechnen bis zum Jahr 2015 mit einer Zunahme des Energieverbrauchs von 20 Prozent, und gleichzeitig muss Finnland seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2012 um 20 Prozent reduzieren.

    "Irgendwann wird der fünfte Reaktor beschlossen werden, und dann der sechste und der siebte und der achte. Auch das diskutieren wir. Die Klima- und Energiestrategie ist in unserem Parlament und speziell im Ökonomie-Ausschuss. Olkiluoto III erhöht den Prozentsatz der produzierten Kernenergie um zehn Prozent - von 25 auf 35."

    "Wir haben auch darüber geredet", so Jouko Skinnari, "dass wir bei der Vergabe von Aufträgen finnische Firmen berücksichtigen sollten - wenn wir etwa mal an Deutschland oder Schweden denken. Das hieße dann nämlich Geld, viel Geld für den deutschen oder den schwedischen Staat."

    "Die schwedischen Machtbefugnisse sind mehr als 200 Jahre her, aber Schweden war immer da. Das Gleiche gilt für Deutschland. Während des Zweiten Weltkrieges waren die Deutschen in Lappland, und nun sind sie wieder hier - mit ihrer Atomtechnologie. Kernkraftwerke und Atommülldeponien gehören zusammen, und ich wundere mich, warum Deutschland und Schweden der Vorgehensweise des finnischen Parlaments nicht folgen. Sie sollten die Kernenergie akzeptieren, denn die Klimapolitik dieser Welt braucht sie auch, die Kernenergie - nicht ausschließlich Kernenergie, jedoch eine Hauptenergiequelle."


    Wärme bedeutet Wohlstand in einem Land, wo der Winter hart und lang ist. Dass die meisten Finnen diese Wärme beziehungsweise den Strom zur Wärmeproduktion am liebsten aus dem eigenen Land und am liebsten durch die Kernspaltung beziehen, hat verschiedene Gründe. Einen geschichtlichen: Russland war fast immer eine Bedrohung. Von seinen Gaslieferungen unabhängig zu sein, stärkt nicht nur das finnische Selbstbewusstsein, sondern gibt auch Energiesicherheit! Doch neben fossilen Energieträgern könnte Finnland ja auch auf den Ausbau von Wind und Wasserkraft setzen. Aber die Windräder stören das Auge der Finnen, und die Wasserkraft lässt sich kaum nutzen, da die drei großen Flüsse unter Naturschutz stehen. Um die Klimaschutzziele zu erfüllen, und das bei rasant steigendem Energiebedarf, setzen die Finnen daher auf den Ausbau der Kernkraft. Und die untersteht dem Ministerium für Arbeit und Wirtschaft.


    Im Auftrag der Regierung - die Frau vom Amt: Jaana Avolahti


    Helsinki. In einem Gebäude unweit des finnischen Parlaments, im Herzen der Hauptstadt. Ein Tagungsraum. In seiner Mitte ein großer Tisch aus Kirschenholz, eine hoher, halbrunder Marmorofen, eine Leinwand, auf der anderen Straßenseite ein Park.

    Jaana Avolahti. 45, graue Jacke, glattes Haar, goldene Uhr, Jaana Avolahti, ist, als Leitende Beraterin, verantwortlich für das Reaktor-Müll-Management. Verheiratet, ja, eine Tochter, aus Helsinki. Sie hat studiert: Kulturgeographie, Soziologie, Psychologie und Kommunikation.

    Und ist im dritten Jahr in diesem Ministerium, vorher an der Universität und, in ähnlicher Funktion wie jetzt, in der Industrie. Selten genug, im Bereich der Kernenergie auf eine Frau zu treffen.

    Ja, sagt sie, das ist wie überall sonst auch: in diesen Etagen sind fast nur Männern.

    "Ich hatte Geographie studiert, mein Interesse lag darüber hinaus in sozialen Fragen, in institutionellen Fragen und Entscheidungen, doch Teile meines Studiums waren naturwissenschaftlicher Art. Meine Karriere begann mit den Problemen des Atommülls, und das war, als ich in diesen Sektor kam, verbunden mit Feldforschung, mit der Beschaffenheit des Gesteins und dem Fließverhalten des Grundwassers. Die Beschaffenheit des Gesteins, wie das Wasser durch den Fels sickert, wie überhaupt die ganze Umwelt, spielen bei der Suche eines Atommullendlagers eine Rolle."

    Es ist - Ende April - noch kalt draußen, der Winter gerade vorbei. Sie warten auf den Frühling.

    "Ja, ganz bestimmt."

    In ihrem Arbeitsbereich geht es um wirtschaftliche Haftung und Forschung sowie die Vergabe der Lizenzen zum Bau von Kernkraftwerken und Atommülllagern. Beides, so die offiziellen Auslegungen, beides brächte Finnland Wohlstand, Unabhängigkeit und - vor allem - Arbeit. Die parteilose Jaana Avolahti:

    Ein Kernkraftwerk, sagt sie, habe 100, 200 Arbeitsplätze, wenn es fertig gestellt ist.

    "Olkiluoto III wird dann annähernd 200 Arbeitsplätze schaffen."

    "Die Lagerung des Atommülls ist anders organisiert. Die Firma selbst hat nur 100 Angestellte, aber es gibt Hunderte von Unter- und Zulieferunternehmen, die Forschungsinstitute der Universitäten, Gutachter und Berater und so weiter."

    Finnlands setzt auf einen Energiemix aus verschiedenen Quellen: Kohle, Wasser und Gas aus Russland. Obwohl der Wind an der Küste stetig weht, nutzen sie diese Energiequelle kaum. Als Mitglied der Europäischen Union ist Finnland verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energie zu erhöhen. Wie weit und wie sehr man auf Kernenergie setzt, ist eine politische Entscheidung.

    "Unser seit 1983 allgemeines Nuklearmüllgesetz besagt folgendes: Wenn wir akzeptieren, Kernenergie zu nutzen, ist der Atommüll die unvermeidbare Konsequenz. Wir müssen uns um diesen Müll kümmern. So wie wir uns um allen anderen Müll auch kümmern. Müll ist eine unvermeidliche Konsequenz, und wir müssen uns damit beschäftigen."

    Das gilt für jeden. Für die Regierung, für das Parlament, die Gemeinden, jeder einzelne. Man habe sich eben für die erwähnte Gesetzgebung entschieden.

    Alle vier Kernkraftwerke Finnlands, so Jaana Avolahti, liegen an der Küste, Neben dem Müll wuchs auch die Sorge um den Anstieg des Meeresspiegels. Das fünfte, Olkiluoto III, wird wieder an der Küste liegen. Wie das daneben liegende Atommüllendlager zwangsläufig auch.

    Literatur:
    Rosa Liksom: Verlorene Augenblicke. Aus dem Finnischen von Anu Pyykönen-Stohner und Friedbert Stohner; Rowohlt-Verlag, in Reinbek bei Hamburg, 1992.