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Endlich mal erklärt
Wie moralisch ist die Kunst?

Ob Klimawandel, #metoo oder Kolonialismus: Die Gegenwartskunst ist hochpolitisch - und wird oft nach moralischen Kriterien bewertet. Dabei ist die Kunst ein Raum der Freiheit - und viele Künstler verstehen sich als Tabubrecher. Wie passt das zusammen?

Von Carsten Probst | 12.04.2020
Eis-Installation des Künstlers Olafur Eliasson in Paris.
Zusehen bei der Schmelze: Zur Klimakonferenz 2015 ließ der Künstler Olafur Eliasson Brocken aus Gletschereis nach Paris bringen. (imago stock&people/PanoramiC)
Die Frage nach der Moral in der Kunst ist eine der wichtigsten Debatten in der Gegenwartskunst der letzten Jahre - für nicht wenige Kritiker und Kritikerinnen wird Kunst derzeit viel zu sehr nach moralischen, nach "außerkünstlerischen" Maßstäben beurteilt, nach einer neuen political correctness: Postkolonialismus, #metoo oder toxisches Sponsoring sind hier wichtige Schlagworte.
Tatsächlich nehmen wir fast selbstverständlich an, dass Kunst etwas mit "Freiheit" zu tun hat, eben mit der "künstlerischen Freiheit" oder "Autonomie", und was sollen da moralische Einwände? Entscheidend scheint zu sein, ob es gefällt - und vielfach verstanden und verstehen sich Künstler ja auch als Tabubrecher gegen moralische Verlogenheit.
Kunst verhandelt immer Fragen der Moral
Dabei verhandelt Kunst aber eben ununterbrochen Fragen der Moral, wahrscheinlich schon seit den allerersten Bildern. Allerdings gibt es einen feinen Unterschied zu beachten. In dem Moment, in dem man so tut, als sei zum Beispiel eine Malerei, die einen Künstler nackt im Selbstportrait zeigt, schon eine unsittliche Handlung - so als hätte der Künstler sich öffentlich entkleidet und zur Schau gestellt - vermengt man zwei zunächst einmal unterschiedliche Handlungen: das Malen und das reale Entblößen.
Dagegen wird gerne argumentiert: Bild und Realität, künstlerisches Handeln und reales Handeln seien doch sehr nah beieinander und aufeinander bezogen. Das ist zwar richtig, doch für seinen eigenen Umgang mit Bildern sollte man diesen feinen Unterschied dennoch im Hinterkopf behalten. Vielleicht lässt sich das gut an Sören Kierkegaards Schrift mit dem schönen Titel "Entweder - Oder" zeigen, in der es explizit um die Wirklichkeit aus ästhetischer und ethischer Perspektive geht. "Entweder – Oder" heißt, man muss sich ständig zwischen diesen beiden Perspektiven entscheiden. Der Ästhetiker ist bei Kierkegaard der Verführer, der selbstbezogen ist und verspricht und einen am Ende mit verlorener Unschuld sitzen lässt. Der Ethiker ist dagegen im Idealfall der Altruist, im Grunde also das, was viele heute als "Spaßbremse" sehen, ein Langweiler, der seine eigenen Interessen zugunsten der Gemeinschaft hinten anstellt.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
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Skandalbild als Publikumsmagnet
Was heute in der kapitalistischen Demokratie als Freiheit definiert wird, ist aber oft eigentlich eher ein ästhetisches Angebot als ein ethisches. Gerade in Corona-Zeiten fällt der plötzlich erwachte Gemeinsinn so sehr auf. Die ganz eigenen ästhetischen Fragen der Kunst werden aber im Kunstbetrieb heute auch mit der Ästhetik der Werbung überblendet. Und weil das so ist, verstehe ich grundsätzlich den Widerstand einer Online-Petition gegen das Gemälde "Thérèse träumend" des Malers Balthus gut, das ein Mädchen im Kleid in lasziver Haltung mit leicht gespreizten Beinen zeigt.
Dieser Widerstand richtet sich weniger gegen die Kunst, als gegen ihre Verwendung. Museumsleute können sich natürlich immer mit der Kunstgeschichte herausreden, doch implizit wissen wir auch: Balthus hat dieses Gemälde ganz explizit als Skandalbild gemalt, und Museen tun fast alles, um ihr Publikum zu locken, und das Zeigen eines solches Gemäldes spielt dabei sicher eine Rolle.
Was im Einzelfall daraus folgt, ist eine andere Frage. Aber Kunst nur als "Ästhetiker" anzuschauen - also weil sie unserem ästhetischem Selbstgefühl schmeichelt - reicht offenkundig nicht aus. Gerade weil Bilder immer Teil der Realität sind, müssen wir sie auch als Ethiker und Ethikerinnen ansehen, die sich in ihrem Ego zurückzunehmen wissen und die von der Realität nicht erwarten, dass sie nur ihnen allein gehört.