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Endloser Festball am Rande des Jenseits

Das deutsch-österreichische Performance-Duo Signa zeigt in Leipzig, wie man das Foyer eines Schauspielhauses mithilfe von ein paar Luftballons zu einem realitätsfremden und unwirklichen Ort macht. Dort soll der Zuschauer selbst Teil der Handlung werden und helfen, tote Seelen zurück zu holen.

Von Hartmut Krug | 18.09.2009
    Die für das Publikum begehbaren Installationen des deutsch-österreichischen Performance-Duos Signa, bestehend aus der dänischen Performerin Signa und dem österreichischen Bühnenbildner Arthur Köstler, verrätseln aus der Realität bekannte Orte zu Vor- und Mitspiel-Theaterräumen, - so ein Hotel in Malmö, ein Männergefängnis in Meiningen und Lagerhallen in Köln und Bremen. Und Teile des Publikums bejubelten ganz neue Erfahrungen im Theater für ihr Leben.

    In Leipzig ist Signa erstmals in ein Theatergebäude gezogen. Im riesigen Schauspielhaus werden allerdings nur die Foyers und die Treppen zwischen ihnen bespielt. Sie wurden nicht neu ausgestattet oder verbaut, sondern nur mit vielen milchig-hellbraunen Luftballons dekoriert. Eine flackernde Hausbeleuchtung und eine Vernebelung machen das Theatergebäude mit seinen mit Konfetti bestreuten Gängen und Treppen zu einem dämmerig unwirklichen Ort. In dessen Vorraum die insgesamt 100 Gäste zunächst von einer Riege schwarz-weiß gekleideter Dienstmädchen eingelassen und von der in ein grün-üppiges Abendkleid gehüllten Spielleiterin Signa empfangen und eingewiesen werden. Einen Ball der Familie von Unland-Deuthen soll es geben, als Wiederholung und Rekonstruktion eines vor 20 Jahren, also 1989, in die Katastrophe entgleisten Balles. Doch die Atmosphäre hat nichts mit 89 und auch nichts mit Germania zu tun, sondern sie zitiert die Morbidität und Dekadenz einer sterbenden Gesellschaft, vielleicht aus den 20er-Jahren.

    Es ist ein Genre des Horror-Melodrams, das hier mit einem Gespenster- oder Dracula-Schloss ungemein kunstvoll zitiert wird. Das Gastgeberpaar erzählt übers Mikrofon in Andeutungen vom damaligen Ball. Man versuchte, sich der Unsterblichkeit anzunähern, indem Frau von Unland-Deuthen ihren Herzschlag verringerte. Doch das Experiment misslang, und nur 22 seiner 46 Adoptivkinder konnte das Paar ins Leben zurück holen, während 24 noch immer tot seien. Die bei der Einladung um festliche Kleidung gebetenen Ballgäste und Theaterzuschauer sollen nun helfen, zu klären, was genau damals passierte, um die toten Seelen zurück zu holen. Dafür hat jeder drei Kärtchen mit den Namen von Toten bekommen, mit denen er Kontakt aufnehmen soll. Und so muss der Zuschauer, der die Geschichte des Experiments erst nach und nach in Gesprächen erfährt, mitspielen und selbst aktiv werden, wenn er etwas von dem Abend haben will.

    Es ist wie immer bei Signa ein Abend der Verrätselungen und Andeutungen, auch der esoterischen, und während man Sekt, Selters und Toast von den Hausmädchen gereicht bekommt, wandert man vom Black-Jack-Tisch zum Astralenergie-Sofa oder tanzt zu amerikanischer Barmusik und Walzern vom Band mit einem der vielen gigolohaften, jungen Bubi-Männer oder einer der hochgewachsenen jungen Damen in weißen Abendkleidern. So unterhält man sich, wenn man im vorgegebenen Bedeutungskosmos bleibt, recht nett.
    Doch das Publikum kann die Situationen nur bedienen. Eine Möglichkeit, das Geschehen entscheidend mitzubestimmen oder gar zu verändern, hat es nicht. Es gibt wenig Spielsituationen und keine Entwicklungsgeschichte, sondern nur durchaus gekonnt gemachte Atmosphäre und viele Genrezitate. Es bleibt eben alles nur Theater und hat wenig mit einem Zuschauer zu tun, der bei aller Mitspiel-Bereitschaft nicht aus seiner Zuschau-Rolle hinaus gelangen kann.

    Ob mir eine der jungen Damen voller leidenschaftlicher Verzweiflung mit ihrer schlabbrig-nassen Zunge überfallartig das Gesicht nässt, ob einer der untoten Männer sich beim neben mir stehenden Zuschauer über dessen Ohr zu anderen beknabberbaren Körperpartien vor zu arbeiten sucht, oder ob sich ein Tanz- oder Gesprächspartner im Rollenspiel mit jedem Satz mit geheimnisvollen An- und Bedeutungen aufbläht: es bleibt, nun ja, wenig aufregendes Theaterspiel. Wenn es nach etwa der Hälfte des sechsstündigen Abends leidenschaftlich und sexuell wird, wenn die nachgespielte Verwandlung in Untote einher geht mit blutigen Gewalttätigkeiten, mit sexuellen Demütigungen und einer rituellen Vergewaltigung, mit einem als-ob-Spiel wie in einer der üblicherweise schrecklichen Walpurgisnächte auf deutschen Bühnen, dann führen all das Gebrüll, Schießen und Schlagen nur zu enervierend überchargierendem Theater.

    Dieses Theater steht formal und inhaltlich auf dem falschen Bein und tritt auf der Stelle, und die Ballgäste stehen betreten daneben. Das, was manche Zuschauer bei früheren Performances von Signa so fasziniert hat, dass eine eigene, zwischen Theater und Wirklichkeit changierende Wirklichkeit geschaffen wurde, das gelingt dieses mal nicht. Vielleicht, weil nicht mit Realitätspartikeln, sondern mit vorgefertigtem Genre- und Kinomaterial gespielt wird, und weil der Spielort eben ein Theater ist. Richtig hinein in diesen "Germania Song" kommt der Zuschauer nicht, und auch zwischen das Vor- und Mitspielangebot von Signa, weil nicht auch mit seinen Empfindungen und seine Realitätserfahrungen gespielt wird. Nach vier Stunden habe ich den Ball, der wie jeder echte Ball um Mitternacht in Ermattung gefallen war, zwei Stunden vor seinem Ende verlassen. Heute morgen hat man mir berichtet, dass dies eine richtige Entscheidung war: es ist so weiter gegangen, wie um Mitternacht, es ist also nichts mehr passiert, sondern der Abend versickerte ins nichts. Meine Ansprechpartner habe ich übrigens auch nicht gefunden, ihre Karten fand ich eben in meiner Jacketttasche.