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Endstation Herfa-Neurode
Besuch in der weltgrößten unterirdischen Sondermülldeponie

Müllberge gehören der Vergangenheit an, Abfall wird wiederverwertet oder verbrannt. Übrig bleibt giftiger Sondermüll. Diese besonders problematischen Abfälle werden oft unter Tage gelagert, etwa in der Deponie Herfa-Neurode - sie erstreckt sich auf einer Fläche so groß wie München.

Von Axel Schröder | 22.09.2014
    Der Probenraum
    Der Probenraum (Deutschlandradio / Axel Schröder)
    Das schwere schmutziggrüne Eisentor schließt sich. Der riesige Fahrstuhl setzt sich mit einem Ruck in Bewegung. Das Ziel: die Untertage-Deponie Herfa-Neurode in Osthessen, weltweit das größte unterirdische Lager für Sondermüll.
    "Wir fahren jetzt mit dem Schacht auf die erste Sohle. Und von dort aus ins Deponiefeld 3, die zweite Sohle. Fahren auf 664 Meter."
    Deponie-Leiter Sascha Rühl schaltet seine Helmlampe an, der Lichtkegel fällt auf die vorbeirauschende Schachtwand. Betrieben wird die Deponie von der Kasseler Firma K+S. Das Stollensystem erstreckt sich über eine Fläche so groß wie München, inklusive des äußeren Autobahnrings.
    Ankunft auf der ersten Sohle. Die Stollenwände sind dunkelgrau, zerfurcht von den Krallen der Spezialmaschinen, die die Hohlräume instandhalten. Sascha Rühl und Dr. Volker Lukas, der technische Leiter der Entsorgungssparte von K+S, tragen Sicherheitsstiefel, weiße Bergmannskluft, Bauhelme. Mit einem kleinen Jeep geht es zur ersten Station der Rundfahrt. Eine Einlagerungskammer für hochtoxische Cyanid-Stäube:
    "Die Paletten werden übertägig in den Schacht eingestellt, nach unter Tage transportiert, dort mit einem Gabelstapler entladen und auf einen Sattelzug aufgeladen, zum Einlagerungsort transportiert. Und hier wieder mit einem Gabelstapler aufgenommen und eingestapelt."
    2,8 Millionen Tonnen Gefahrstoffe lagern in der Deponie
    13 verschiedene Stoffgruppen lagern hier. Unter anderem 127.000 Tonnen Cyanid-Abfall, 220.000 Tonnen quecksilber- und 83.000 Tonnen arsenhaltige Stoffe. Sie stammen aus der chemischen und metallverarbeitenden Industrie. Vor allem aber aus Müllverbrennungsanlagen, aus deren Schornstein-Filtern. Verpackt in Fässern oder in sogenannten Bigpacks: riesigen, würfelförmigen Säcken aus reißfestem Kunststoff. 2,8 Millionen Tonnen dieser Gefahrstoffe lagern schon in der Deponie, 50.000 Tonnen kommen jedes Jahr dazu.
    Zweite Station: das Gedächtnis der Deponie. Der Probenraum von K+S. In den Regalen stehen dicht an dicht kleine Gläser mit Schraubverschluss, insgesamt 70.000 Proben.
    "Hier ist alles archiviert. Jede Anlieferung steht hier in Form einer Probe. Und anhand der Dokumentation kann man eben jederzeit nachvollziehen, wo welcher Abfall ist und im Zweifelsfall auch noch mal eine chemische Analyse machen. Anhand dieser Proben hier."
    Widerstand gegen die Giftmülldeponie leistet nur eine kleine lokale Bürgerinitiative. Ihre Befürchtung: Käme es zu einem Wassereinbruch im Bergwerk, könnten sich bislang getrennt lagernde Stoffe miteinander verbinden und unkontrollierbar miteinander reagieren. Udo Selle von der zuständigen Bergbauaufsicht in Kassel hält dieses Szenario für sehr unwahrscheinlich:
    "Das ist das schlimmste Szenario, was man durchkalkuliert hat. Hier würde dann tatsächlich die Untertagedeponie absaufen, die Abfälle mit Wasser in Kontakt kommen."
    "Keine Gefahr für die Biosphäre"
    So Udo Selle. Ganz ausgeschlossen ist ein GAU in der Giftmülldeponie also nicht. Aber auch für solch eine Katastrophe gäbe eine Lösung, so Udo Selle:
    "Ist aber auch keine Gefahr für die Biosphäre, weil es möglich ist, dann anschließend den Schacht abzudichten. Sodass der Abfall mit dem Wasser unter Tage eingeschlossen bleiben würde, falls so ein unbeherrschbarer Szenario eintreten würde. Und zwar auch nur in den Schächten, die direkt im Deponiefeld stehen."
    Zumindest in den Handbüchern der Ingenieure scheinen solche Szenarien händelbar. Ähnlich einem Atommülllager muss die K+S einen sogenannten Langzeitsicherheitsnachweis vorlegen, für die nächsten 100.000 Jahre. Überprüft wird der Nachweis alle vier Jahre. Zusätzlich begutachtet der TÜV Nord die Sicherheitsvorkehrungen über und unter Tage. Bisher, so ein K+S-Sprecher, ist geplant, die Deponie Herfa-Neurode noch 20 Jahre mit Giftstoffen zu füllen. Falls dann weiterhin Bedarf besteht, könnte der Betrieb aber auch danach noch weitergehen.