Martin Weyand: Sie müssen sehen, dass Erdgas im Wärmemarkt in den vergangen Jahren erhebliche Marktanteile gewonnen hat. 75 Prozent der Haushalte, die sich heute ein Haus bauen entscheiden sich für Erdgas. Der Wärmemarktanteil von Erdgas hat sich sehr stark erhöht. Wir gehen also weiterhin davon aus, dass wir im Haushaltsbereich, also im Wärmemarkt in der Konkurrenz zum Erdöl weiter Marktanteile hinzu gewinnen können.
Martin Weyand - Geschäftsführer des Bundesverbands Gas und Wasser und damit der Interessenvertretung der deutschen Gaswirtschaft. Er kann zufrieden sein mit der Entwicklung seiner Branche. Allein in den vergangen zehn Jahren ist der Anteil von Gasheizungen um ein Drittel gestiegen und liegt mittlerweile bei 46 Prozent - weit vor Heizöl und Kohle. Kaum ein Neubaugebiet, das heute nicht mit Gas versorgt wird. Und dem Energieträger Gas steht auch sonst eine große Zukunft bevor. Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Also es gibt auch eine immanente Tendenz in Richtung Gas. Wir haben bereits eine große Sättigung bei den privaten Haushalten und der Industrie. Wo das Gas in Deutschland heute noch eine geringe Rolle spielt, ist im Stromsektor. Da sind es nur 10 Prozent. Am Energieverbrauch sind es 23 Prozent. Das heißt beim Stromsektor ist noch viel Potential, wenn man will. Und wir haben beim Stromsektor in den nächsten Jahren die großen Entscheidungsnotwendigkeiten angesichts der ganz großen Ersatzinvestitionsnotwendigkeiten im Kraftwerkssektor. Dass bei diesen Ersatzinvestitionen das Gas eine ganz wesentliche Rolle spielen wird und ich glaube auch größeren Anteil übernehmen wird.
Mehr als die Hälfte des Kraftwerkparks in der EU muss in den kommenden 30 Jahren ersetzt werden. Atomausstieg, Verschleiß und die wachsende Nachfrage nach Strom machen den Bau von 650 Gigawatt Leistung nötig. Glänzende Aussichten für den Energieträger Gas, der vor allem aus ökologischer Sicht einen großen Vorteil gegenüber den anderen fossilen Energien wie Kohle und Öl hat.
Joachim Ziesing: Das Gas hat von allen fossilen Energieträgern den außerordentlich schönen Vorteil, dass es ein relativ kohlenstoffarmer Energieträger ist. Das heißt, es ist im Gegensatz zu den anderen Energieträgern mit relativ wenigen Emissionen verbunden. In sofern ist es unter klimaschutzpolitischen Gesichtspunkten natürlich höchst wünschenswert.
Mag es für den Klimaschutz vielleicht noch wünschenswerter sein, wenn Wind- und Solarkraft ganz ohne CO2-Emissionen an Bedeutung gewinnen. Doch bei den anstehenden Strukturveränderungen in der Energiewirtschaft wird Gas den weit größeren Zuwachs verbuchen. Gas hat gegenüber regenerativen Energien einen Vorteil: Es ist nicht nur vergleichsweise umweltfreundlich – es ist auch ohne große Subventionen wirtschaftlich.
Auch die Ölkonzerne haben den Trend zum Gas erkannt. Lange vorbei sind die Zeiten, als Erdgas nur als minderwertiges Nebenprodukt der Ölförderung einfach abgefackelt wurde. Jürgen Cuno, der Vertreter des Mineralölkonzerns BP in Berlin setzt ebenfalls auf's Gas, nennt aber gleichzeitig die Schwierigkeiten, die mit einem Wachstum beim Gasverbrauch verbunden sind.
Jürgen Cuno: Also Gas dürfte in den nächsten 20 Jahren bei uns die Bedeutung des Öls erreichen. Gleichzeitig verlieren alle Deutschland-nahen Gasquellen mehr und mehr an Bedeutung. Der zuwachsende Erdgasbedarf muss daher aus immer schwierigeren Lagerstätten und immer größeren Entfernungen an Europa und Deutschland gedeckt werden.
Die Importabhängigkeit bei Erdgas wird also in den kommenden Jahren für Deutschland und Europa dramatisch zunehmen. Derzeit kann Europa noch mehr als die Hälfte seines Gasverbrauchs selbst decken. Norwegen, Großbritannien und die Niederlande sind die großen Quellen. Doch lediglich Norwegen, das kein EU-Land ist, verfügt über Gasreserven, die auch noch in den kommenden 20 oder 30 Jahren einen nennenswerten Anteil an der Versorgung Europas leisten können.
Wenn tatsächlich Gas in Zukunft bei der Stromerzeugung eine größere Rolle spielen soll, dann dürfte der Verbrauch in Europa, so die Schätzungen der EU-Kommission, bis 2030 um ein Drittel steigen. Sehr viel stärker wird aber der Importbedarf zunehmen - selbst wenn man die Vorräte Norwegens mit berücksichtigt, um mehr als das Zweieinhalbfache. Das bedeutet, dass Europa 2030 mehr als zwei Drittel seines Gasbedarfs importieren muss.
Doch woher soll das Gas für Europas Heizungen und Kraftwerke in Zukunft kommen? Aus heutiger Sicht sind die außereuropäischen Quellen für Erdgas schnell umschrieben. Zwei Staaten sind derzeit die Gaslieferanten Europas. Da ist Algerien, das etwa ein Drittel der Importe deckt und Russland, das fast den gesamten Rest übernimmt. Hinzu kommt ein geringer Anteil an Flüssiggas, das per Schiff vor allem nach Spanien und Frankreich gelangt. Für Martin Weyand vom Bundesverband Gas und Wasser ist das kein Problem. Russland verfügt über ein Drittel der weltweiten Gasreserven und die deutsche Gaswirtschaft hat bisher nur gute Erfahrungen mit dem Partner im Osten gemacht.
Martin Weyand: Es ist sicherlich so, dass das Erdgas aus Russland einen wichtigen Anteil hat. Wir haben seit Jahrzehnten eine sichere Versorgung aus Russland unter schwierigsten Bedingungen politischer Art. Und in keinster Weise hat es bisher Probleme gegeben mit der Erdgasversorgung.
Friedemann Müller: Die Abhängigkeit von Russland ist heute schon gewaltig, viel größer als bei Erdöl oder einem anderen Energieträger. Und wenn sie noch steigt, dann ist das per se natürlich eine Bedrohung für den europäischen Markt.
...glaubt dagegen Friedemann Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Für den Wissenschaftler im außenpolitischen Thinktank der Bundesregierung spielt dabei keine Rolle, dass die Lieferungen aus Russland in den vergangenen 30 Jahren selbst in Zeiten des kalten Krieges zuverlässig an der Übergabestelle ankamen im bayrischen Waidhaus an der deutsch-tschechischen Grenze.
Friedemann Müller: Russland war immer ein verlässlicher Partner, das ist unbestritten. Aber ein Konsument ist auch dann, wenn er mit seinem Supermarkt zufrieden ist, immer interessiert, dass es auch noch andere Angebote gibt, damit er nicht in ein monopolistisches Gebaren gerät, in dem er seine Marktmacht nicht gegenüber dem Konsumenten ausnutzt.
Und das bei einem Produkt, das man nicht notfalls schnell im Supermarkt im Nachbarort besorgen kann. Gas erfordert eine Infrastruktur an Pipelines und ein Lieferantenwechsel ist nur mit großen Kosten und hohem Aufwand möglich.
Russland ist längst dabei, sich als einziger Supermarkt für den europäischen Gasmarkt zu etablieren. Bei mehreren Gelegenheiten hat Präsident Putin die Verantwortung betont, die Russland und Algerien gemeinsam für die Gasversorgung Europas haben. Und dabei eine Art Gas-Opec ins Gespräch gebracht, die den Preis für die Übernahme dieser Verpflichtung garantieren soll.
Und Russland versucht potentielle neue Anbieter vom europäischen Markt fernzuhalten. Mit den zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan, die über beträchtliche Gasreserven verfügen, hat die russische Gazprom im vergangenen Jahr langfristige Lieferverträge abgeschlossen – zu sehr vorteilhaften Bedingungen: Gazprom kauft das zentralasiatische Gas billig an der Grenze und transportiert es auf eigene Rechnung nach Europa.
Dabei hätte zentralasiatisches Gas auch direkt an europäische Abnehmer verkauft werden können - durch die Leitungen der Gazprom. Jedenfalls dann, wenn Russland einem Vertragswerk zugestimmt hätte, das seit über zehn Jahren die Standards für die Energieversorgung in Europa regeln soll: Diese Europäische Energiecharta wäre die Grundlage auch für eine Öffnung der Gasmärkte. Die Generalsekretärin der Energiecharta Ria Kemper:
Die Zielsetzung ist, den Staaten Zugang zu dem bisher ausschließlich monopolistischen russischen Netz zu beschaffen, auf das sie zur Vermarktung ihrer Ressourcen angewiesen sind. Wir reden über verhandelten Netzzugang, über vorhandene Kapazität. Mit andern Worten, wenn Turkmenistan an Gazprom ein Durchleitungsbegehren richtet, müsste Gazprom nachweisen, dass es keine Kapazitäten hat, um dieses Durchleitungsbegehren zu erfüllen, anderenfalls bestünde ein Rechtsanspruch auf Durchleitung. Ich erkenne allerdings an, dass vor dem Hintergrund der gerade geschlossenen Verträge, bei denen sich Turkmenistan ja über einen lange überschaubaren Zeitraum von 20 Jahren, seine Förderung an Gazprom unmittelbar ab Grenze zu verkaufen, das eher theoretisch ist. Ich bin aber überzeugt, wenn dieses Instrument eher zur Verfügung gestanden hätte, dann hätte Turkmenistan auch eine andere Wahlmöglichkeit in der Vermarktung seiner Ressourcen gehabt.
So wird aus dem turkmenischen und kasachischen Gas für Europa wieder Gas der Gazprom – jedenfalls für die europäischen Abnehmer. Und die sind keineswegs alle darüber unglücklich. Noch einmal Friedemann Müller:
Es gibt hier ehemalige Monopolisten, die teilweise kapitalmäßig mit dem Versorger aus Russland Gazprom verbunden sind und die durchaus an einer bevorzugten Behandlung Russlands interessiert sind. Das schlägt sich dann auch in den Verhandlungen der EU mit Russland im Energiebereich nieder.
Allen voran ist die zum E.on Konzern gehörende Ruhrgas an einer solchen bevorzugten Behandlung Russlands interessiert. Ruhrgas hält rund sechs Prozent der Anteile von Gazprom, dem staatlichen Energieriesen, der alleine für russische Gaslieferungen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion zuständig ist. Und die Ruhrgas ist mit 60 Prozent der größte Abnehmer von Gazprom.
Doch die Stellung von Gazprom ist in Russland nicht mehr unumstritten. Ölkonzerne wie Yukos oder Lukoil würden auch gerne stärker ins Gasgeschäft einsteigen und zusätzlich haben sich neben der Gazprom in Russland eine Reihe kleinerer Gasunternehmen etabliert, die auch gerne etwas von den lukrativen Exporten abhaben möchten. Petr Fedosov, der Sprecher des größten unter den kleinen Gasunternehmen, der Itera:
Das Problem besteht darin, dass an viele russische Konsumenten Gazprom sein Erdgas gegen sehr billige Preise liefert, so dass durch Lieferungen von Erdgas an Europa zu Weltmarktpreisen Gazprom diese Verluste ausgleicht. Und wir glauben, dass die unabhängigen Produzenten in dem Maße, in dem sie ihr Erdgas zu Billigpreisen an den Staatshaushaltssektor liefern, sollen auch einen Anteil an den Exporten haben ins weite Ausland bekommen. Andererseits muss auch Gazprom die Gelegenheit haben, einen Teil seines Erdgases innerhalb des Landes auf dem freien Markt abzusetzen.
Eine solche Öffnung des Russischen Energiemarktes würde allerdings auch bedeuten, dass die Energiepreise in Russland steigen. Ein Schritt, der vielleicht sinnvoll wäre, aber große soziale Folgen mit sich bringt. Lange wird deshalb bereits über diese Reform gestritten. Zu einem Höhepunkt in der Auseinandersetzung über angemessene Gaspreise ist es in der vergangenen Woche gekommen zwischen Russland und Weißrussland. 24 Stunden lang stoppten die Russen Lieferungen an den Nachbarn, betroffen war vor allem die Versorgungssicherheit in Polen, aber auch Erdgas für Deutschland fließt zu zehn Prozent durch Weißrussland. Der Lieferstopp hatte sofort politische Konsequenzen, in der Reaktion von Alexander Lukaschenko, dem Präsidenten Weißrusslands, wurde deutlich, wie schnell es beim Thema Erdgas zu politischen Verwerfungen kommen kann:
Alexander Lukaschenko: In der Nacht, als unser Land schlief, stoppte Russland die Gaslieferungen. Zu 100 Prozent. So etwas gab es seit dem zweiten Weltkrieg nicht. Damals starben unsere Leute gemeinsam mit den Russen in den Schützengräben.
Unterdessen sind die Lieferungen wieder aufgenommen worden und somit auch die Durchleitung nach Westeuropa, aber nur, weil Weißrussland sich bereit erklärte den russischen Preisforderungen nachzukommen. Bislang zahlte Weißrussland nur 41 Dollar für 1000 Kubikmeter Erdgas statt der von der Gazprom geforderten 50 Dollar. Unterdessen bemühte sich die Ruhrgas am Donnerstag darauf hinzuweisen, hierzulande sei die Versorgungssicherheit durch den Konflikt nicht gefährdet gewesen, weil ein Großteil des russischen Gases durch die Ukraine nach Deutschland geliefert werde.
Dennoch: Die großen Ölkonzerne halten Alternativen zum Pipelinegas der Gazprom bereit. Liquified Natural Gas, kurz LNG, oder Flüssiggas heißt die Technik, mit der Gas auf minus 160 Grad abgekühlt wird und komprimiert auch per Schiff aus entfernten Produzentenländern zu den Verbrauchermärkten geliefert werden kann. Für die BP ist das die Zukunft auf dem Gasmarkt.
Jürgen Cuno: Zunächst mal ist LNG zum gegenwärtigen Zeitpunkt leicht teurer als Pipelinegas. Aber die Kosten sinken permanent. Insofern sind wir der Auffassung, die Preise gehen runter für die Versorgung im LNG-Bereich und die Versorgung geht hoch. Das ist sicherlich ein Trend, der sich in den kommenden Jahren durchsetzen wird.
Spanien und Frankreich beziehen bereits Flüssiggas aus unterschiedlichsten Regionen der Welt. Auch Großbritannien beginnt damit, seine schwindenden Gasressourcen durch Flüssiggas zu ersetzen. Dort werden derzeit Milliarden in Flüssiggasterminals investiert.
Würde Flüssiggas tatsächlich große Marktanteile gewinnen, dann könnte das die Verhältnisse auf dem europäischen Gasmarkt gründlich durcheinanderbringen. Statt langfristiger Lieferverträge und Preise könnte ein Spotmarkt, an dem täglich wie bei Erdöl der Gaspreis festgelegt wird, künftig den Markt bestimmen. Doch ob sich damit die Abhängigkeit Europas von russischem Gas spürbar vermindern lässt – Experten zweifeln daran. Bernhard Hillebrand vom Rheinisch-Westfälischen-Institut für Wirtschaftsforschung:
Also dass sie über die Verflüssigungsphase Erdgas preiswerter nach Europa bringen können als über die Quellen, die aus Norwegen oder Russland angezapft werden können, das wag ich zu bezweifeln. Denn erstens ist es so, dass sie den Transport zahlen müssen, ehe sie an der Grenze sind und dann müssen sie das Gas zweimal behandeln. Erst müssen sie es verflüssigen und dann müssen sie es wieder vergasen, damit es in die Pipelines reingeht. Und dass dieser Prozess kein Geld kostet, das kann mir niemand erzählen.
Die wirtschaftlichere Alternative wäre zweifellos, dem Gas aus den russischen Röhren mit anderem Röhrengas Konkurrenz zu machen. Eine Pipeline über die Türkei sollte Europa mit dem kaspischen Raum verbinden, nicht nur, um das Gas aus den ehemaligen Sowjetrepubliken an Russland vorbei nach Europa zu führen, sondern auch, um die wirklich großen Gasvorräte in Iran und am Golf direkt anzuzapfen.
Friedemann Müller: Diese Region zusammen verfügt über mehr Erdgasreserven als Russland und hat eine Produktion und einen Export, der verschwindend gering ist.
Doch ob neue Pipelines oder Flüssiggas, das per Schiff nach Europa kommt - für den Zugang zum europäischen Markt brauchen die Unternehmen auch Zugang zu den Verteilernetzen in der EU. Jürgen Cuno von BP fordert als Newcomer auf dem deutschen Gasmarkt...
...dass Wettbewerb am Markt herrscht, Zugang zum Markt herrscht, so dass die Versorgung von dritter Seite auch vorgenommen werden kann.
Eigentlich sollte das schon längst möglich sein. Denn über fünf Jahre verhandeln Industrie und Gaswirtschaft über eine Nutzung der Netze. Doch anders als beim Strom kommt der Wettbewerb nicht voran. Joachim Ziesing vom DIW:
Der Wettbewerb ist im Gassektor im Haushaltsbereich überhaupt nicht vorangekommen. Da ist gar nichts geschehen. Wenn überhaupt etwas Wettbewerb geschehen ist zwischen den einzelnen Gasversorgungsunternehmen, dann war es bezogen auf die großen Gasabnehmer. Alle kleinen Abnehmer haben vom Wettbewerb überhaupt nichts gemerkt.
Denn was Gazprom und Russland im Großen versuchen, das praktizieren die etablierten deutschen Gasunternehmen im Kleinen. Allein auf der Ferngasstufe gibt es fast zwei Dutzend Gasgesellschaften. Die meisten sind unternehmerisch miteinander verflochten und überall haben die großen Gaslieferanten, wie die Ruhrgas, ihre Finger im Spiel. Diese Konstellation bietet viel Raum um neuen Anbietern den Zugang zum Gasmarkt abzuschneiden. Bernhard Hillebrand vom RWI fordert deshalb einen radikalen Schnitt.
Also grundsätzlich wäre die beste Trennung die echte eigentumsrechtliche Trennung. Es gibt eine Gasversorgungsgesellschaft die managt das Pipelinesystem, das ist, wenn sie so wollen der Netzbetreiber. Das ist eine eigene Gesellschaft, die ist nicht mit den großen Gasversorgungsunternehmen verflochten, weder kapital- noch personalmäßig, sondern eine ganz eigenständige Netzgesellschaft, die den Netzbetrieb organisiert. Dann holt sie ihre Gewinne nur daraus, dass sie möglichst optimal das Gassystem managt. Dann ist es völlig egal, ob das Gas von einem Gasanbieter in Norwegen oder von einem Anbieter in Ostfriesland kommt. Das ist völlig egal, sondern dann gibt es eben den Anbieterwettbewerb und die Durchleitungsbedingungen sind für jeden, der das Netz nutzt gleich.
Einen solchen gleichberechtigten Zugang zu den Gasnetzen soll jetzt die Umsetzung einer EU-Richtlinie bringen. Nach einer Meldung des Handelsblatts vom Freitag sollen die Gasunternehmen verpflichtet werden ihre Geschäftsbereiche zu entflechten und unabhängig voneinander zu führen, getrennt also nach Versorgungs- und Leitungssparten. Statt eines verhandelten Netzzugangs soll die bisherige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post die Bedingungen für die Gasdurchleitung festlegen. Eine komplette Trennung von Vertrieb und Netz allerdings wollen die etablierten Gasversorger unter keinen Umständen. Und sie sind auch nicht bereit, für die Vereinfachung des Marktzugangs eine einheitliche Regelzone zu schaffen, über die künftig das gesamte Netze gemanagt würde. Martin Weyand vom Bundesverband Gas:
Das würde sicherlich den Netzgegebenheiten und den eigentumsrechtlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden. Denn eine solche Regelzone würde Regelungen erfordern, die aus unserer Sicht eigentumsrechtlich nicht zulässig ist. Sie haben Netze, die den Leuten gehören und nicht dem Staat. Also müssen sie immer einen Ausgleich finden zwischen dem Zugang zu den Netzen gegen Entgeld und den Eigentumsrechten. Wenn sie das nicht tun, dann werden sie niemanden mehr finden, der in die Netze investieren wird.
Der Gesetzentwurf sieht vor eine Grenze von bis zu 100 000 Kunden, Unternehmen, die kleiner sind, sollen von der Entflechtung ausgenommen werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte eine Grenze von 25 000 Kunden gefordert, vor allem, um die Macht der kommunalen Gasversorger zu brechen. Wolfgang Heller vom BDI:
Also von daher entspricht der vorgelegte Entwurf nicht unseren Vorstellungen, die wir mal bei 25.000 Kunden angesetzt hatten. Wir gehen davon aus, dass der Wettbewerb in den Netzen sich nur dann voll entfalten kann, wenn das Netz von den anderen übrigen Aktivitäten von Versorgungsunternehmen getrennt ist und je weniger diese Trennung dann wirklich durchgeführt wird, umso mehr muss man befürchten, dass da der Wettbewerb drunter leidet.
Doch es gibt etwas, das der Wirtschaftsminister mehr fürchtet, als einen möglicherweise unkontrollierten Wettbewerb auf dem Gasmarkt. Die drohende Abhängigkeit vom Energieträger Erdgas.
Wolfgang Clement: Wir sind im Wärmemarkt bereits zu 80 90 Prozent vom Gas, das heißt vom importierten Gas abhängig. Das heißt, es kann nicht vernünftig sein, dass wir in die gleiche Abhängigkeit uns im Strommarkt auch noch begeben. Und deshalb haben wir es immer für vernünftig gehalten und auch so praktiziert, dass wir da ein Energiemixtum erhalten haben. Das ist übrigens auch von der Gaswirtschaft in Deutschland über viele Jahre genauso gesehen worden. Und mindestens von Teilen der Gaswirtschaft weiß ich, dass sie es auch heute noch so sieht.
Der Minister fürchtet, dass der Gasmarkt gerade durch seine Vorteile beim Klimaschutz zu schnell expandieren könnte und hat dabei ein weiteres Projekt der EU vor Augen: Den geplanten Handel mit CO2-Emissionszertifikaten. Der Zertifikatehandel, der emissionsarme Energieträger wie Gas bevorzugen könnte, ist für ihn ein Angriff auf die Versorgungssicherheit Deutschlands und den will er mit heimischer Kohle bekämpfen. Emissionshandel hin oder her, der Kohleanteil an der Stromversorgung steht nicht zur Disposition, so die Marschrichtung des Ministers. Dabei gäbe es eine viel einfachere Möglichkeit, um Versorgungssicherheit auch bei Erdgas zu erreichen. Noch einmal Friedemann Müller:
Die beste Versorgungssicherheit ist ein funktionierender Markt, in dem viele Anbieter gerne ihr Produkt auf dem Markt absetzen. Das könnte man bei Erdgas konstruieren. Es ist nicht so, dass man auf die heimische Produktion setzen muss, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. In vielen Bereichen, Obst und Gemüse ist das auch nicht der Fall. Und trotzdem fühlen wir uns sicher bei der Versorgung. Es ist schon wichtig, dass der Markt funktioniert. Aber bei Erdgas ist das allerdings so gefährlich, weil die Infrastruktur dafür da sein muss, dass ein wirklicher Angebotswettbewerb entstehen kann.
Dass ein solcher Wettbewerb tatsächlich stattfindet, dafür muss die Politik sorgen. Sie muss den Rahmen setzen für den Wettbewerb im heimischen Gasmarkt und politisch die Signale geben. Der Name der neuen Regulierungsbehörde wird schon einmal geändert, im Hörfunk ist der Unterschied allerdings schwer darzustellen. Aus dem bisherigen Namen "RegTP" - Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, wird "REG TP" - nun allerdings sind das E und das G groß geschrieben und stehen für "Elektrizität" und "Gas".
Martin Weyand - Geschäftsführer des Bundesverbands Gas und Wasser und damit der Interessenvertretung der deutschen Gaswirtschaft. Er kann zufrieden sein mit der Entwicklung seiner Branche. Allein in den vergangen zehn Jahren ist der Anteil von Gasheizungen um ein Drittel gestiegen und liegt mittlerweile bei 46 Prozent - weit vor Heizöl und Kohle. Kaum ein Neubaugebiet, das heute nicht mit Gas versorgt wird. Und dem Energieträger Gas steht auch sonst eine große Zukunft bevor. Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
Also es gibt auch eine immanente Tendenz in Richtung Gas. Wir haben bereits eine große Sättigung bei den privaten Haushalten und der Industrie. Wo das Gas in Deutschland heute noch eine geringe Rolle spielt, ist im Stromsektor. Da sind es nur 10 Prozent. Am Energieverbrauch sind es 23 Prozent. Das heißt beim Stromsektor ist noch viel Potential, wenn man will. Und wir haben beim Stromsektor in den nächsten Jahren die großen Entscheidungsnotwendigkeiten angesichts der ganz großen Ersatzinvestitionsnotwendigkeiten im Kraftwerkssektor. Dass bei diesen Ersatzinvestitionen das Gas eine ganz wesentliche Rolle spielen wird und ich glaube auch größeren Anteil übernehmen wird.
Mehr als die Hälfte des Kraftwerkparks in der EU muss in den kommenden 30 Jahren ersetzt werden. Atomausstieg, Verschleiß und die wachsende Nachfrage nach Strom machen den Bau von 650 Gigawatt Leistung nötig. Glänzende Aussichten für den Energieträger Gas, der vor allem aus ökologischer Sicht einen großen Vorteil gegenüber den anderen fossilen Energien wie Kohle und Öl hat.
Joachim Ziesing: Das Gas hat von allen fossilen Energieträgern den außerordentlich schönen Vorteil, dass es ein relativ kohlenstoffarmer Energieträger ist. Das heißt, es ist im Gegensatz zu den anderen Energieträgern mit relativ wenigen Emissionen verbunden. In sofern ist es unter klimaschutzpolitischen Gesichtspunkten natürlich höchst wünschenswert.
Mag es für den Klimaschutz vielleicht noch wünschenswerter sein, wenn Wind- und Solarkraft ganz ohne CO2-Emissionen an Bedeutung gewinnen. Doch bei den anstehenden Strukturveränderungen in der Energiewirtschaft wird Gas den weit größeren Zuwachs verbuchen. Gas hat gegenüber regenerativen Energien einen Vorteil: Es ist nicht nur vergleichsweise umweltfreundlich – es ist auch ohne große Subventionen wirtschaftlich.
Auch die Ölkonzerne haben den Trend zum Gas erkannt. Lange vorbei sind die Zeiten, als Erdgas nur als minderwertiges Nebenprodukt der Ölförderung einfach abgefackelt wurde. Jürgen Cuno, der Vertreter des Mineralölkonzerns BP in Berlin setzt ebenfalls auf's Gas, nennt aber gleichzeitig die Schwierigkeiten, die mit einem Wachstum beim Gasverbrauch verbunden sind.
Jürgen Cuno: Also Gas dürfte in den nächsten 20 Jahren bei uns die Bedeutung des Öls erreichen. Gleichzeitig verlieren alle Deutschland-nahen Gasquellen mehr und mehr an Bedeutung. Der zuwachsende Erdgasbedarf muss daher aus immer schwierigeren Lagerstätten und immer größeren Entfernungen an Europa und Deutschland gedeckt werden.
Die Importabhängigkeit bei Erdgas wird also in den kommenden Jahren für Deutschland und Europa dramatisch zunehmen. Derzeit kann Europa noch mehr als die Hälfte seines Gasverbrauchs selbst decken. Norwegen, Großbritannien und die Niederlande sind die großen Quellen. Doch lediglich Norwegen, das kein EU-Land ist, verfügt über Gasreserven, die auch noch in den kommenden 20 oder 30 Jahren einen nennenswerten Anteil an der Versorgung Europas leisten können.
Wenn tatsächlich Gas in Zukunft bei der Stromerzeugung eine größere Rolle spielen soll, dann dürfte der Verbrauch in Europa, so die Schätzungen der EU-Kommission, bis 2030 um ein Drittel steigen. Sehr viel stärker wird aber der Importbedarf zunehmen - selbst wenn man die Vorräte Norwegens mit berücksichtigt, um mehr als das Zweieinhalbfache. Das bedeutet, dass Europa 2030 mehr als zwei Drittel seines Gasbedarfs importieren muss.
Doch woher soll das Gas für Europas Heizungen und Kraftwerke in Zukunft kommen? Aus heutiger Sicht sind die außereuropäischen Quellen für Erdgas schnell umschrieben. Zwei Staaten sind derzeit die Gaslieferanten Europas. Da ist Algerien, das etwa ein Drittel der Importe deckt und Russland, das fast den gesamten Rest übernimmt. Hinzu kommt ein geringer Anteil an Flüssiggas, das per Schiff vor allem nach Spanien und Frankreich gelangt. Für Martin Weyand vom Bundesverband Gas und Wasser ist das kein Problem. Russland verfügt über ein Drittel der weltweiten Gasreserven und die deutsche Gaswirtschaft hat bisher nur gute Erfahrungen mit dem Partner im Osten gemacht.
Martin Weyand: Es ist sicherlich so, dass das Erdgas aus Russland einen wichtigen Anteil hat. Wir haben seit Jahrzehnten eine sichere Versorgung aus Russland unter schwierigsten Bedingungen politischer Art. Und in keinster Weise hat es bisher Probleme gegeben mit der Erdgasversorgung.
Friedemann Müller: Die Abhängigkeit von Russland ist heute schon gewaltig, viel größer als bei Erdöl oder einem anderen Energieträger. Und wenn sie noch steigt, dann ist das per se natürlich eine Bedrohung für den europäischen Markt.
...glaubt dagegen Friedemann Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Für den Wissenschaftler im außenpolitischen Thinktank der Bundesregierung spielt dabei keine Rolle, dass die Lieferungen aus Russland in den vergangenen 30 Jahren selbst in Zeiten des kalten Krieges zuverlässig an der Übergabestelle ankamen im bayrischen Waidhaus an der deutsch-tschechischen Grenze.
Friedemann Müller: Russland war immer ein verlässlicher Partner, das ist unbestritten. Aber ein Konsument ist auch dann, wenn er mit seinem Supermarkt zufrieden ist, immer interessiert, dass es auch noch andere Angebote gibt, damit er nicht in ein monopolistisches Gebaren gerät, in dem er seine Marktmacht nicht gegenüber dem Konsumenten ausnutzt.
Und das bei einem Produkt, das man nicht notfalls schnell im Supermarkt im Nachbarort besorgen kann. Gas erfordert eine Infrastruktur an Pipelines und ein Lieferantenwechsel ist nur mit großen Kosten und hohem Aufwand möglich.
Russland ist längst dabei, sich als einziger Supermarkt für den europäischen Gasmarkt zu etablieren. Bei mehreren Gelegenheiten hat Präsident Putin die Verantwortung betont, die Russland und Algerien gemeinsam für die Gasversorgung Europas haben. Und dabei eine Art Gas-Opec ins Gespräch gebracht, die den Preis für die Übernahme dieser Verpflichtung garantieren soll.
Und Russland versucht potentielle neue Anbieter vom europäischen Markt fernzuhalten. Mit den zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan, die über beträchtliche Gasreserven verfügen, hat die russische Gazprom im vergangenen Jahr langfristige Lieferverträge abgeschlossen – zu sehr vorteilhaften Bedingungen: Gazprom kauft das zentralasiatische Gas billig an der Grenze und transportiert es auf eigene Rechnung nach Europa.
Dabei hätte zentralasiatisches Gas auch direkt an europäische Abnehmer verkauft werden können - durch die Leitungen der Gazprom. Jedenfalls dann, wenn Russland einem Vertragswerk zugestimmt hätte, das seit über zehn Jahren die Standards für die Energieversorgung in Europa regeln soll: Diese Europäische Energiecharta wäre die Grundlage auch für eine Öffnung der Gasmärkte. Die Generalsekretärin der Energiecharta Ria Kemper:
Die Zielsetzung ist, den Staaten Zugang zu dem bisher ausschließlich monopolistischen russischen Netz zu beschaffen, auf das sie zur Vermarktung ihrer Ressourcen angewiesen sind. Wir reden über verhandelten Netzzugang, über vorhandene Kapazität. Mit andern Worten, wenn Turkmenistan an Gazprom ein Durchleitungsbegehren richtet, müsste Gazprom nachweisen, dass es keine Kapazitäten hat, um dieses Durchleitungsbegehren zu erfüllen, anderenfalls bestünde ein Rechtsanspruch auf Durchleitung. Ich erkenne allerdings an, dass vor dem Hintergrund der gerade geschlossenen Verträge, bei denen sich Turkmenistan ja über einen lange überschaubaren Zeitraum von 20 Jahren, seine Förderung an Gazprom unmittelbar ab Grenze zu verkaufen, das eher theoretisch ist. Ich bin aber überzeugt, wenn dieses Instrument eher zur Verfügung gestanden hätte, dann hätte Turkmenistan auch eine andere Wahlmöglichkeit in der Vermarktung seiner Ressourcen gehabt.
So wird aus dem turkmenischen und kasachischen Gas für Europa wieder Gas der Gazprom – jedenfalls für die europäischen Abnehmer. Und die sind keineswegs alle darüber unglücklich. Noch einmal Friedemann Müller:
Es gibt hier ehemalige Monopolisten, die teilweise kapitalmäßig mit dem Versorger aus Russland Gazprom verbunden sind und die durchaus an einer bevorzugten Behandlung Russlands interessiert sind. Das schlägt sich dann auch in den Verhandlungen der EU mit Russland im Energiebereich nieder.
Allen voran ist die zum E.on Konzern gehörende Ruhrgas an einer solchen bevorzugten Behandlung Russlands interessiert. Ruhrgas hält rund sechs Prozent der Anteile von Gazprom, dem staatlichen Energieriesen, der alleine für russische Gaslieferungen außerhalb der ehemaligen Sowjetunion zuständig ist. Und die Ruhrgas ist mit 60 Prozent der größte Abnehmer von Gazprom.
Doch die Stellung von Gazprom ist in Russland nicht mehr unumstritten. Ölkonzerne wie Yukos oder Lukoil würden auch gerne stärker ins Gasgeschäft einsteigen und zusätzlich haben sich neben der Gazprom in Russland eine Reihe kleinerer Gasunternehmen etabliert, die auch gerne etwas von den lukrativen Exporten abhaben möchten. Petr Fedosov, der Sprecher des größten unter den kleinen Gasunternehmen, der Itera:
Das Problem besteht darin, dass an viele russische Konsumenten Gazprom sein Erdgas gegen sehr billige Preise liefert, so dass durch Lieferungen von Erdgas an Europa zu Weltmarktpreisen Gazprom diese Verluste ausgleicht. Und wir glauben, dass die unabhängigen Produzenten in dem Maße, in dem sie ihr Erdgas zu Billigpreisen an den Staatshaushaltssektor liefern, sollen auch einen Anteil an den Exporten haben ins weite Ausland bekommen. Andererseits muss auch Gazprom die Gelegenheit haben, einen Teil seines Erdgases innerhalb des Landes auf dem freien Markt abzusetzen.
Eine solche Öffnung des Russischen Energiemarktes würde allerdings auch bedeuten, dass die Energiepreise in Russland steigen. Ein Schritt, der vielleicht sinnvoll wäre, aber große soziale Folgen mit sich bringt. Lange wird deshalb bereits über diese Reform gestritten. Zu einem Höhepunkt in der Auseinandersetzung über angemessene Gaspreise ist es in der vergangenen Woche gekommen zwischen Russland und Weißrussland. 24 Stunden lang stoppten die Russen Lieferungen an den Nachbarn, betroffen war vor allem die Versorgungssicherheit in Polen, aber auch Erdgas für Deutschland fließt zu zehn Prozent durch Weißrussland. Der Lieferstopp hatte sofort politische Konsequenzen, in der Reaktion von Alexander Lukaschenko, dem Präsidenten Weißrusslands, wurde deutlich, wie schnell es beim Thema Erdgas zu politischen Verwerfungen kommen kann:
Alexander Lukaschenko: In der Nacht, als unser Land schlief, stoppte Russland die Gaslieferungen. Zu 100 Prozent. So etwas gab es seit dem zweiten Weltkrieg nicht. Damals starben unsere Leute gemeinsam mit den Russen in den Schützengräben.
Unterdessen sind die Lieferungen wieder aufgenommen worden und somit auch die Durchleitung nach Westeuropa, aber nur, weil Weißrussland sich bereit erklärte den russischen Preisforderungen nachzukommen. Bislang zahlte Weißrussland nur 41 Dollar für 1000 Kubikmeter Erdgas statt der von der Gazprom geforderten 50 Dollar. Unterdessen bemühte sich die Ruhrgas am Donnerstag darauf hinzuweisen, hierzulande sei die Versorgungssicherheit durch den Konflikt nicht gefährdet gewesen, weil ein Großteil des russischen Gases durch die Ukraine nach Deutschland geliefert werde.
Dennoch: Die großen Ölkonzerne halten Alternativen zum Pipelinegas der Gazprom bereit. Liquified Natural Gas, kurz LNG, oder Flüssiggas heißt die Technik, mit der Gas auf minus 160 Grad abgekühlt wird und komprimiert auch per Schiff aus entfernten Produzentenländern zu den Verbrauchermärkten geliefert werden kann. Für die BP ist das die Zukunft auf dem Gasmarkt.
Jürgen Cuno: Zunächst mal ist LNG zum gegenwärtigen Zeitpunkt leicht teurer als Pipelinegas. Aber die Kosten sinken permanent. Insofern sind wir der Auffassung, die Preise gehen runter für die Versorgung im LNG-Bereich und die Versorgung geht hoch. Das ist sicherlich ein Trend, der sich in den kommenden Jahren durchsetzen wird.
Spanien und Frankreich beziehen bereits Flüssiggas aus unterschiedlichsten Regionen der Welt. Auch Großbritannien beginnt damit, seine schwindenden Gasressourcen durch Flüssiggas zu ersetzen. Dort werden derzeit Milliarden in Flüssiggasterminals investiert.
Würde Flüssiggas tatsächlich große Marktanteile gewinnen, dann könnte das die Verhältnisse auf dem europäischen Gasmarkt gründlich durcheinanderbringen. Statt langfristiger Lieferverträge und Preise könnte ein Spotmarkt, an dem täglich wie bei Erdöl der Gaspreis festgelegt wird, künftig den Markt bestimmen. Doch ob sich damit die Abhängigkeit Europas von russischem Gas spürbar vermindern lässt – Experten zweifeln daran. Bernhard Hillebrand vom Rheinisch-Westfälischen-Institut für Wirtschaftsforschung:
Also dass sie über die Verflüssigungsphase Erdgas preiswerter nach Europa bringen können als über die Quellen, die aus Norwegen oder Russland angezapft werden können, das wag ich zu bezweifeln. Denn erstens ist es so, dass sie den Transport zahlen müssen, ehe sie an der Grenze sind und dann müssen sie das Gas zweimal behandeln. Erst müssen sie es verflüssigen und dann müssen sie es wieder vergasen, damit es in die Pipelines reingeht. Und dass dieser Prozess kein Geld kostet, das kann mir niemand erzählen.
Die wirtschaftlichere Alternative wäre zweifellos, dem Gas aus den russischen Röhren mit anderem Röhrengas Konkurrenz zu machen. Eine Pipeline über die Türkei sollte Europa mit dem kaspischen Raum verbinden, nicht nur, um das Gas aus den ehemaligen Sowjetrepubliken an Russland vorbei nach Europa zu führen, sondern auch, um die wirklich großen Gasvorräte in Iran und am Golf direkt anzuzapfen.
Friedemann Müller: Diese Region zusammen verfügt über mehr Erdgasreserven als Russland und hat eine Produktion und einen Export, der verschwindend gering ist.
Doch ob neue Pipelines oder Flüssiggas, das per Schiff nach Europa kommt - für den Zugang zum europäischen Markt brauchen die Unternehmen auch Zugang zu den Verteilernetzen in der EU. Jürgen Cuno von BP fordert als Newcomer auf dem deutschen Gasmarkt...
...dass Wettbewerb am Markt herrscht, Zugang zum Markt herrscht, so dass die Versorgung von dritter Seite auch vorgenommen werden kann.
Eigentlich sollte das schon längst möglich sein. Denn über fünf Jahre verhandeln Industrie und Gaswirtschaft über eine Nutzung der Netze. Doch anders als beim Strom kommt der Wettbewerb nicht voran. Joachim Ziesing vom DIW:
Der Wettbewerb ist im Gassektor im Haushaltsbereich überhaupt nicht vorangekommen. Da ist gar nichts geschehen. Wenn überhaupt etwas Wettbewerb geschehen ist zwischen den einzelnen Gasversorgungsunternehmen, dann war es bezogen auf die großen Gasabnehmer. Alle kleinen Abnehmer haben vom Wettbewerb überhaupt nichts gemerkt.
Denn was Gazprom und Russland im Großen versuchen, das praktizieren die etablierten deutschen Gasunternehmen im Kleinen. Allein auf der Ferngasstufe gibt es fast zwei Dutzend Gasgesellschaften. Die meisten sind unternehmerisch miteinander verflochten und überall haben die großen Gaslieferanten, wie die Ruhrgas, ihre Finger im Spiel. Diese Konstellation bietet viel Raum um neuen Anbietern den Zugang zum Gasmarkt abzuschneiden. Bernhard Hillebrand vom RWI fordert deshalb einen radikalen Schnitt.
Also grundsätzlich wäre die beste Trennung die echte eigentumsrechtliche Trennung. Es gibt eine Gasversorgungsgesellschaft die managt das Pipelinesystem, das ist, wenn sie so wollen der Netzbetreiber. Das ist eine eigene Gesellschaft, die ist nicht mit den großen Gasversorgungsunternehmen verflochten, weder kapital- noch personalmäßig, sondern eine ganz eigenständige Netzgesellschaft, die den Netzbetrieb organisiert. Dann holt sie ihre Gewinne nur daraus, dass sie möglichst optimal das Gassystem managt. Dann ist es völlig egal, ob das Gas von einem Gasanbieter in Norwegen oder von einem Anbieter in Ostfriesland kommt. Das ist völlig egal, sondern dann gibt es eben den Anbieterwettbewerb und die Durchleitungsbedingungen sind für jeden, der das Netz nutzt gleich.
Einen solchen gleichberechtigten Zugang zu den Gasnetzen soll jetzt die Umsetzung einer EU-Richtlinie bringen. Nach einer Meldung des Handelsblatts vom Freitag sollen die Gasunternehmen verpflichtet werden ihre Geschäftsbereiche zu entflechten und unabhängig voneinander zu führen, getrennt also nach Versorgungs- und Leitungssparten. Statt eines verhandelten Netzzugangs soll die bisherige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post die Bedingungen für die Gasdurchleitung festlegen. Eine komplette Trennung von Vertrieb und Netz allerdings wollen die etablierten Gasversorger unter keinen Umständen. Und sie sind auch nicht bereit, für die Vereinfachung des Marktzugangs eine einheitliche Regelzone zu schaffen, über die künftig das gesamte Netze gemanagt würde. Martin Weyand vom Bundesverband Gas:
Das würde sicherlich den Netzgegebenheiten und den eigentumsrechtlichen Gegebenheiten nicht gerecht werden. Denn eine solche Regelzone würde Regelungen erfordern, die aus unserer Sicht eigentumsrechtlich nicht zulässig ist. Sie haben Netze, die den Leuten gehören und nicht dem Staat. Also müssen sie immer einen Ausgleich finden zwischen dem Zugang zu den Netzen gegen Entgeld und den Eigentumsrechten. Wenn sie das nicht tun, dann werden sie niemanden mehr finden, der in die Netze investieren wird.
Der Gesetzentwurf sieht vor eine Grenze von bis zu 100 000 Kunden, Unternehmen, die kleiner sind, sollen von der Entflechtung ausgenommen werden. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hatte eine Grenze von 25 000 Kunden gefordert, vor allem, um die Macht der kommunalen Gasversorger zu brechen. Wolfgang Heller vom BDI:
Also von daher entspricht der vorgelegte Entwurf nicht unseren Vorstellungen, die wir mal bei 25.000 Kunden angesetzt hatten. Wir gehen davon aus, dass der Wettbewerb in den Netzen sich nur dann voll entfalten kann, wenn das Netz von den anderen übrigen Aktivitäten von Versorgungsunternehmen getrennt ist und je weniger diese Trennung dann wirklich durchgeführt wird, umso mehr muss man befürchten, dass da der Wettbewerb drunter leidet.
Doch es gibt etwas, das der Wirtschaftsminister mehr fürchtet, als einen möglicherweise unkontrollierten Wettbewerb auf dem Gasmarkt. Die drohende Abhängigkeit vom Energieträger Erdgas.
Wolfgang Clement: Wir sind im Wärmemarkt bereits zu 80 90 Prozent vom Gas, das heißt vom importierten Gas abhängig. Das heißt, es kann nicht vernünftig sein, dass wir in die gleiche Abhängigkeit uns im Strommarkt auch noch begeben. Und deshalb haben wir es immer für vernünftig gehalten und auch so praktiziert, dass wir da ein Energiemixtum erhalten haben. Das ist übrigens auch von der Gaswirtschaft in Deutschland über viele Jahre genauso gesehen worden. Und mindestens von Teilen der Gaswirtschaft weiß ich, dass sie es auch heute noch so sieht.
Der Minister fürchtet, dass der Gasmarkt gerade durch seine Vorteile beim Klimaschutz zu schnell expandieren könnte und hat dabei ein weiteres Projekt der EU vor Augen: Den geplanten Handel mit CO2-Emissionszertifikaten. Der Zertifikatehandel, der emissionsarme Energieträger wie Gas bevorzugen könnte, ist für ihn ein Angriff auf die Versorgungssicherheit Deutschlands und den will er mit heimischer Kohle bekämpfen. Emissionshandel hin oder her, der Kohleanteil an der Stromversorgung steht nicht zur Disposition, so die Marschrichtung des Ministers. Dabei gäbe es eine viel einfachere Möglichkeit, um Versorgungssicherheit auch bei Erdgas zu erreichen. Noch einmal Friedemann Müller:
Die beste Versorgungssicherheit ist ein funktionierender Markt, in dem viele Anbieter gerne ihr Produkt auf dem Markt absetzen. Das könnte man bei Erdgas konstruieren. Es ist nicht so, dass man auf die heimische Produktion setzen muss, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. In vielen Bereichen, Obst und Gemüse ist das auch nicht der Fall. Und trotzdem fühlen wir uns sicher bei der Versorgung. Es ist schon wichtig, dass der Markt funktioniert. Aber bei Erdgas ist das allerdings so gefährlich, weil die Infrastruktur dafür da sein muss, dass ein wirklicher Angebotswettbewerb entstehen kann.
Dass ein solcher Wettbewerb tatsächlich stattfindet, dafür muss die Politik sorgen. Sie muss den Rahmen setzen für den Wettbewerb im heimischen Gasmarkt und politisch die Signale geben. Der Name der neuen Regulierungsbehörde wird schon einmal geändert, im Hörfunk ist der Unterschied allerdings schwer darzustellen. Aus dem bisherigen Namen "RegTP" - Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, wird "REG TP" - nun allerdings sind das E und das G groß geschrieben und stehen für "Elektrizität" und "Gas".