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Energie-Einsparpotenziale Zuhauf

Können Industriegesellschaften nachhaltig leben? Eine optimistische Antwort auf diese Frage gibt ein Buch, geschrieben von Ernst Ulrich von Weizsäcker, in dem er verspricht, eine Formel für ein nachhaltiges Wachstum zu liefern.

Von Georg Ehring |
    Der Optimismus der Autoren hat einen durchaus realistischen Hintergrund: Auch mit heutiger Technologie ist es möglich, die Produktivität vieler Bereiche der Wirtschaft drastisch zu erhöhen und so dafür zu sorgen, dass die natürlichen Ressourcen länger reichen und die Natur nicht weiter als Müllhalde überlastet wird.

    In diesem Buch behaupten wir, dass eine Reduzierung der Umweltbelastung um den Faktor Fünf ein vernünftiges und realistisches mittelfristiges Ziel ist, das gleichwohl zu äußerst tief greifenden Veränderungen quer durch alle Industrien, Gesellschaften und Kulturen führen würde. Veränderungen, die nicht nur lebensrettend wären, sondern zugleich die Lebensqualität und aller Wahrscheinlichkeit nach das soziale Miteinander und die Gerechtigkeit erheblich verbessern würden. Und der Faktor Fünf wäre erst der Einstieg. Langfristig kann noch viel mehr erreicht werden.
    Das Werk besteht aus zwei Teilen: Das australische Autorenteam steuert einerseits Analysen bei, die drastische Einsparpotenziale belegen - quer durch die ganze Wirtschaft. Also etwa in der Stahl- und Zementindustrie, in Wirtschaftsbereichen also, die für den Löwenanteil des Energieverbrauchs verantwortlich sind. Von Weizsäcker entwickelt andererseits Rahmenbedingungen und politische Strategien für ein Gelingen des Übergangs zu höherer Ressourcenproduktivität.

    "Faktor Fünf" hat einen Vorgänger: "Faktor Vier", so hieß das Buch, das Ernst Ulrich von Weizsäcker mit Amory und Hunter Lovins 1995 veröffentlichte. Darin lieferten sie 50 Beispiele für eine ressourcenschonende Erhöhung der Produktivität. "Faktor Fünf" knüpft daran an, geht aber weiter: Analysiert werden nicht nur Möglichkeiten, einzelne Produkte sparsamer herzustellen, es geht auch um die Bedürfnisse dahinter und um die Frage, ob sie auf andere Weise intelligenter und umweltschonender zu erfüllen wären. Aber der Reihe nach: Die Darstellung der Möglichkeiten, den Energieverbrauch in den einzelnen Branchen und Bereichen zu senken, gelingt den Autoren höchst eindrucksvoll. Und besonders gut nachvollziehbar im Bereich der Gebäudetechnik. Hier können exzellente Dämmung, dichte Fenster und Wärmerückgewinnung den Energiebedarf auf nahe null drücken. Und das ohne Einbußen an Komfort. Solche Passivhauskonzepte sind ja bereits serienreif. Das Kapitel widmet sich nicht nur den Gebäuden selbst, sondern auch den Geräten, mit denen sich die Hausbewohner das Leben angenehm gestalten: Auch hier spüren die Autoren, mit viel Liebe zum Detail und manchmal auch großer Detailversessenheit Möglichkeiten auf, ressourcensparender zu leben:

    Wasserkocher verbrauchen viel mehr Energie, als man denkt. Das britische Umweltministerium sagt dazu im Land des Teekochens: Würden wir jedes Mal nur genau so viel Wasser erhitzen, wie es für eine Tasse Tee braucht, würden wir genug Strom sparen, um damit die gesamte Straßenbeleuchtung Großbritanniens zu betreiben. Die neuesten Wasserkocher unterscheiden sich durch drei Merkmale, die bis zu 80 Prozent der Energie sparen.
    Die Lektüre wird durch die Fülle an Details allerdings nicht gerade erleichtert. Die Beschreibung etwa, wie bei der Herstellung von Zement Energie gespart werden kann, ist eher für Chemiker geeignet als für Leser, die sich einen Überblick über das Große Ganze verschaffen wollen. Andererseits gilt natürlich: Der Nachweis, dass "Faktor 5" machbar ist, gelingt gerade durch das Trommelfeuer präziser Details. Warum aber werden all diese Energie-Einsparpotenziale nicht längst genutzt? Fragt sich der Leser nach den ersten 200 detailstrotzenden Seiten. Im Gegenteil - Energie- und Ressourcenverschwendung nehmen immer weiter zu. Erklärungen bietet der zweite Teil des Buchs:

    Die Energiepreise blieben auf einem verführerisch niedrigen Niveau, was eben die neue Flotte von SUVs, als PKWs frisierten Lastwagen, hervorbrachte und weltweit die Verbreitung energiefressender Gewohnheiten und Erfindungen. Nicht zuletzt in den USA, wo ja nicht gerade Armut und Mangel herrschen, fand eine gewaltige zusätzliche Landzersiedlung statt, und die Strecken der Autopendler verdoppelten sich vielerorts. Man lebte in dem Gefühl, sich das alles leisten zu können.
    Vor allem der Klimawandel führt der Welt nun vor Augen, dass dieses Gefühl täuscht. Von Weizsäcker untersucht deshalb, welche Instrumente für eine Wende sorgen können und würdigt die Beiträge von Ordnungsrecht, Umweltsteuern und Handelssystemen.

    Was wir brauchen, wenn wir die in Teil 1 skizzierte Revolution richtig in Gang setzen wollen, ist eine Rahmensetzung, bei der sich die Verbesserung der Ressourceneffizienz gewissermaßen bei jeder Entscheidung lohnt. Es genügt nicht, einen Grenzwert zu erreichen und sich dann jahrelang darauf auszuruhen. Die gewünschte Dynamik kann dadurch ausgelöst werden, dass der Verbrauch von natürlichen Ressourcen ständig teurer wird. Das ist der Kern der hier zu betrachtenden ökonomischen Instrumente.
    Zum Ordnungsrecht gehören Höchstgrenzen für Emissionen oder die Kennzeichnung effizienter Produkte, zu ökonomischen Instrumenten der Emissionshandel, bei Umweltsteuern stehen Treibstoffabgaben im Mittelpunkt. Von Weizsäcker empfiehlt alle drei Hebel: Jeder könne an der richtigen Stelle etwas bewirken, keiner sei allein das Wundermittel. Ausführlich widmet er sich dem Problem, dass eingesparte Ressourcen ohne regulierende Eingriffe für zusätzlichen Konsum an anderer Stelle genutzt werden - etwa für die Anschaffung zusätzlicher Elektrogeräte, wenn die Bestehenden sparsamer werden. Für die Umwelt ist damit nichts gewonnen. Folgerichtig kombiniert von Weizsäcker deshalb seine Demonstration der Machbarkeit einer Effizienzrevolution mit dem Appell, nicht weiter auf hemmungslosen Konsum, sondern auf genügsamere Lebensformen zu setzen:

    Befriedigung und Glück gibt es zweifellos auch jenseits des materiellen Wachstums. Wir nehmen an, dass auch die Erhöhung der Energie- und Ressourcenproduktivität Befriedigung stiftet. Man fühlt sich einfach wohler und ein wenig stolz, wenn man weiß, dass das eigene Tun von der Zerstörung und Übernutzung der Natur größtenteils abgekoppelt wird.
    Ein Rezept ist das nicht - wie andere Autoren auch - hat von Weizsäcker kein Rezept für eine genügsame Gesellschaft. Er beschränkt sich auf Denkanstöße und schildert Beispiele von Gemeinschaften, die sich einem naturverträglichen Zusammenleben widmen. Insgesamt überzeugt "Faktor Fünf" durch die sachliche Analyse der möglichen und erforderlichen großen Sprünge hin zu mehr Effizienz. Auch bei der Analyse der ökonomischen und ordnungsrechtlichen Instrumente gelingt es von Weizsäcker, viele Hebel zum einen Ziel in ihrer gemeinsamen Wirkungsmöglichkeit darzustellen. Wirklich neu sind die meisten Vorschläge zwar nicht, doch welches Instrument an welcher Stelle wie wirken kann, das arbeitet der Autor plausibel heraus. Den Stein der Weisen allerdings haben auch die Autoren dieses Buches nicht gefunden. "Die Formel für nachhaltiges Wachstum" verspricht der Untertitel. "Faktor Fünf" ist eher eine Formelsammlung. Und im Vergleich zu mathematischen Formelsammlungen von Anfang bis Ende lesenswert.

    Georg Ehring war das über Faktor Fünf – Die Formel für nachhaltiges Wachstum. Das Buch haben Ernst Ulrich von Weizsäcker, Karlson Hargroves und Michael Smith geschrieben. Es ist bei Droemer erschienen. Die 432 Seiten kosten 19,95 Euro (ISBN 978-3-426274866).