Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Energie
Studie: Kohlekraftwerke stoßen zu viel Quecksilber aus

Das Minamata-Übereinkommen gibt Grenzwerte für die Quecksilber-Emission von Kraftwerken vor. Deutschland hat das völkerrechtliche Abkommen noch nicht ratifiziert. Die deutschen Kraftwerke würden die Vorgaben im Moment auch gar nicht erfüllen, weil sie zu viel Quecksilber ausstoßen, zeigt eine Studie im Auftrag der Grünen.

Jürgen Döschner im Gespräch mit Jule Reimer | 02.05.2014
    Ein Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde, Brandenburg (Foto von 2014)
    Kohlekraftwerke stoßen einen Großteil des Quecksilbers in Deutschland aus. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Jule Reimer: "Quecksilber ist eine giftige Chemikalie mit bedeutenden Auswirkungen im Hirn und im Nervensystem." Dies ist ein Zitat. So wird der völkerrechtliche Vertrag der Quecksilber-Konvention aus dem Jahr 2013 begründet, mit dem Quecksilber in der Umwelt weltweit eingedämmt werden soll. Wie giftig es wirkt, zeigte sich unter anderem ab den 1950er-Jahren in der japanischen Hafenstadt Minamata. Dort hatte ein japanischer Chemiekonzern quecksilberhaltiges Wasser ins Meer geleitet und so bei 17.000 Menschen massive Quecksilber-Vergiftungen verursacht, an denen etwa 3000 Menschen starben, weshalb die Quecksilber-Konvention auch Minamata-Übereinkommen genannt wird. Das Problem ist also weltweit erkannt.
    Allerdings weist jetzt eine neue Studie darauf hin, dass die Quecksilber-Emissionen auch aus Kohlekraftwerken noch viel schädlicher sind als gedacht. Mein Kollege und ARD-Energieexperte Jürgen Döschner kennt Details. Herr Döschner, wer hat denn die Studie verfasst und was gibt es da an wirklich neuen Erkenntnissen?
    Jürgen Döschner: Diese Studie wurde verfasst von einer privaten Firma, BZL Kommunikation und Projektsteuerung heißt sie genau. Das ist eine Firma, die sich im Wesentlichen damit beschäftigt, öffentliche Einrichtungen, Behörden und Regierungen zu beraten bei Themen der Abfallwirtschaft, Klimaschutz oder Chemie. Diese Studie hat zutage gefördert, dass die Belastungen durch Quecksilber insbesondere auf die Energieerzeugung zurückgeht. Das ist nicht ganz so neu. Man weiß, dass insbesondere Kohlekraftwerke im Wesentlichen verantwortlich sind dafür, wie viel Quecksilber in Deutschland ausgestoßen wird. Insgesamt ist der Energiebereich für 70 Prozent verantwortlich.
    Das Neue an dieser Studie ist, dass man hier diese Daten oder diese Vorgaben von dieser Konvention, die Sie gerade erwähnt haben, verglichen hat mit dem, was denn deutsche Kohlekraftwerke an Quecksilber ausstoßen, und da ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass die deutschen Kraftwerke, die Kohlekraftwerke insgesamt eigentlich überhaupt nicht diese neuen Vorgaben erfüllen würden, wenn denn diese dadurch vorgegebenen Grenzwerte hier in Deutschland gelten würden. Das einzige Land, das ja bisher die Minamata-Konvention auch ratifiziert und umgesetzt hat oder dabei ist, diese umzusetzen, sind die USA. Ansonsten haben sämtliche fast 100 Unterzeichnerstaaten bisher nichts unternommen, um in Wirklichkeit dann auch die Gesetze entsprechend anzupassen, das heißt, die Grenzwerte auch zu verschärfen.
    USA Vorreiter bei der Reduzierung von Quecksilber
    Reimer: Wenn ich nur auf Deutschland gucke, insgesamt die Einträge Quecksilber in die Umwelt, wie hoch ist dann der Anteil der Energieerzeugung von Kohlekraftwerken?
    Döschner: Die Energieerzeugung insgesamt ist mit etwas mehr als 70 Prozent daran beteiligt, hat also hier den größten Anteil an der Quecksilber-Emission. Im internationalen Durchschnitt sieht das etwas anders aus. Da sind es nur 25 Prozent, weil auf Weltmaßstab im Wesentlichen die Goldschürfer, die Goldgewinnung für den Quecksilber-Eintrag verantwortlich ist, aber das haben wir ja nun in Deutschland nicht und insofern spielen hier die Kraftwerke eine ganz besondere Rolle und hier wiederum die Braunkohlekraftwerke, die im Wesentlichen etwa 40 Prozent des Quecksilber-Eintrags in Deutschland in die Luft und damit dann auch in Boden und Gewässer ausmachen.
    Reimer: Wie kommt das, dass die USA so fortschrittlich sind und Deutschland so hinterher?
    Döschner: Da kann man eigentlich nur spekulieren. Es gibt die Möglichkeit, dass die USA, die ansonsten nicht unbedingt als Vorreiter in Sachen Umweltschutz gelten, hier es etwas leichter haben, weil sie ja "nur" oder im Wesentlichen Steinkohlekraftwerke haben und es deshalb etwas einfacher ist, weil dort die Quecksilber-Emissionen nicht ganz so hoch sind wie bei der Braunkohle. Es gibt auch eine gewisse Konkurrenz zwischen insbesondere den neuen Gaskraftwerken, die jetzt einen Schub bekommen haben in den letzten Jahren durch das Fracking und durch den Gasüberschuss, und dass hier sich offenbar die eine Fraktion der Energiewirtschaft, die Gasfraktion versucht, zu Lasten der Kohlefraktion auch durchzusetzen.
    Die dritte Variante oder Erklärungsmöglichkeit wäre in der Tat schlicht, dass man erkannt hat, dass die Belastung durch Quecksilber auch nicht nur Gesundheitsgefahren darstellt, sondern manchmal braucht man ja auch ein ökonomisches Argument. In den USA haben Wissenschaftler ausgerechnet, dass durch die hohe Belastung durch Quecksilber die Volkswirtschaft in den USA jährlich mit etwa zehn Milliarden Dollar belastet wird, einfach durch die verminderte Leistungsfähigkeit derer, die durch Quecksilber belastet sind.
    Reimer: Wir haben noch fast eine halbe Minute, aber nicht mehr. Wenn die Warnungen ernst genommen werden, was heißt das für die Energiewende in Deutschland?
    Döschner: Das heißt, dass man eigentlich noch schneller aus der Kohleindustrie, aus der Kohleverstromung aussteigen sollte. Das ist jedenfalls der Schluss, den die Grünen als Auftraggeber dieser Studie daraus ziehen. Aber man kann auch kurzfristig sagen, man muss eigentlich schneller diese Grenzwerte anwenden. Es gibt ja technische Möglichkeiten, den Quecksilber-Austrag zu verringern, durch die Verwendung von anderen Kohlesorten und durch entsprechende Filtermaßnahmen.
    Reimer: Die Quecksilber-Emissionen aus deutschen Braunkohlekraftwerken, aber auch aus Steinkohlekraftwerken sind gefährlicher als gedacht - unser ARD-Energieexperte Jürgen Döschner informierte. Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.