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Energieexperte mahnt zu sachlicher Debatte über Versorgungssicherheit

Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg hält Warnungen vor zeitweiligen Ausfällen in der Stromversorgung für Panikmache. Aus verschiedenen Gründen seien im vergangenen Jahr fünf deutsche Atomkraftwerke zeitgleich nicht am Netz gewesen, und es sei immer noch Strom exportiert worden. "Wir müssen über die Zukunft unseres Energiesystems reden, aber das sollten wir sachlich tun", sagte Pehnt.

27.02.2008
    Ursula Mense: Während im Bundesstaat Florida gestern tatsächlich die Lichter ausgingen und die Menschen dort mit dem massivsten Stromausfall seit fünf Jahren konfrontiert waren, entwirft die Stromwirtschaft hierzulande ein Angst machendes Szenario: In ganz Europa werde Strom knapp, weil Kraftwerke fehlten, und das schon in diesem Jahr. Es reiche dazu bereits ein heißer Sommer mit wartungsbedingten Ausfällen von Kraftwerken, ließ RWE-Konzernchef Jürgen Großmann wissen.

    Frage dazu an Dr. Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg: Stimmt das so, Herr Pehnt, können bei uns schon im Sommer die Lichter ausgehen?

    Martin Pehnt: Ja, ich glaube, wir müssen hier wirklich zweierlei Dinge trennen. Das eine sind wirkliche lokale Engpasssituationen, und das andere ist eine Debatte über die langfristige Zukunft unseres Energiesystems. Dass wir in einem heißen Sommer Atomkraftwerke herunterschalten müssen, weil zum Beispiel nicht genügend Kühlwasser da ist, ist ja eigentlich gerade ein Zeichen dafür, dass Atomkraftwerke einen fragwürdigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Und trotzdem war es eigentlich im letzten Jahr zum Beispiel so, dass wir fünf Atomkraftwerke aus verschiedenen Gründen gleichzeitig vom Netz hatten, und wir haben trotzdem immer noch Strom exportiert. Das heißt, ich warne so ein bisschen vor dieser Panikmache vor dem Blackout à la Florida und auch der angeblichen Stromlücke, die sich auftut. Wir müssen über die Zukunft unseres Energiesystems reden, aber das sollten wir sachlich tun.

    Mense: Die Kritik dahinter vonseiten der Stromversorger lautet ja, das Abschalten der AKWs ist ein Risiko, wir brauchen im Gegenteil neue und, so sagte Großmann auch, wir müssen schnell neue Leitungen bauen. Wie sehen Sie das denn?

    Pehnt: Es ist ganz klar, dass wir neue Kraftwerke brauchen. Unser jetziger Kraftwerkspark ist gehörig in die Jahre gekommen. Und ich sehe es auch so, dass wir neue Leitungen brauchen und zwar aus einer Vielzahl von Gründen, weil der Strommarkt zunimmt, weil viele der Kraftwerke nicht dort positioniert sind, wo die Verbrauchsschwerpunkte sind, und auch für erneuerbare Energien brauchen wir neue Leitungen. Ich denke da zum Beispiel an Offshore-Windkraftwerke, die dann im Meer stehen werden und deren Strom wir in das Stromnetz integrieren müssen. Also von daher bin ich da durchaus einer Meinung. Es gibt auch eine ganze Reihe von Ideen dazu. Und das muss natürlich früh angegangen und umwelt- und sozialverträglich gemacht werden.

    Mense: Als mögliche Ergänzung zum Atomstrom wird ja auch die Kohle immer wieder genannt, allerdings gibt es gegen neue Kohlekraftwerke nun auch schon hinreichend Widerstände. Dennoch, wenn doch Kohle, wie viel würden wir denn davon brauchen?

    Pehnt: Wir dürfen nicht vergessen, dass Kohlekraftwerke doppelt so viel Klimagase ausstoßen wie zum Beispiel ein modernes Gaskraftwerk. Von daher ist die Frage in der Tat, auf welche Kraftwerkstypen müssen wir in Zukunft setzen? Und der Emissionshandel, der ja Treibhausgase letztendlich in Geldmengen bemessbar macht, dieser Emissionshandel wird hier auch die Kohlekraft gehörig belasten. Das heißt, ich sehe durchaus im zukünftigen Versorgungsmix neben erneuerbaren Energien, neben einem ganz starken Schwerpunkt in der Effizienz auch das Gas wieder im Portfolio.

    Mense: Vielleicht vorher kurz noch, die Laufzeitverlängerung für das AKW Biblis steht ja an, das normalerweise im Herbst 2009 vom Netz müsste. Und auch noch andere Kraftwerke werden dann abgeschaltet, so dass wir einen Engpass haben könnten, wenn auch vielleicht durch reparaturbedingte Stillstandzeiten mehrere Meiler gleichzeitig vom Netz gehen, ein Engpass, so wird inzwischen auch schon gemutmaßt, auf den die Atomlobby sogar spekulieren könnte. Angesichts eines solchen möglichen Versorgungsnotstands im nächsten Jahrzehnt, wie könnte denn ein Gesamtenergiemanagement da aussehen?

    Pehnt: Ich hatte ja eben schon angedeutet, es gibt nicht die eine Antwort, sondern wir brauchen eine ganze Reihe von Hebeln, an denen wir ziehen müssen. Auf der einen Seite, was im letzten Jahrzehnt schon stattgefunden hat, der Zubau erneuerbarer Energien hat viele überrascht in der Größenordnung, und wir werden in 20 Jahren mehr Strom aus erneuerbaren Energien haben, als wir jetzt aus Atomkraft erzeugen. Hinzu kommt ein immenses Effizienzpotenzial, das übrigens wirtschaftlich zu erschließen ist, das also letztendlich für alle Gewinne bringt, also Stromeinsparung und eine effiziente Umwandlung. Und dann sehe ich noch eine dritte ganz wichtige Säule, und das ist die sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme, eine besonders effiziente Form der Energieerzeugung. Und da kommt in der Tat der Energieträger Gas ins Spiel.

    Mense: Und inwiefern?

    Pehnt: Wenn solche Kraftwerke schon nicht mit erneuerbaren Energien betrieben werden, ist es besonders effizient und auch klimaverträglich, sie mit Gas zu betreiben. Und dieses Gas kann man in diesen Kraftwerken sehr gut nutzen auch in kleineren Blöcken und damit die Wärme auskoppeln und zum Beispiel über Fernwärme oder Nahwärme Siedlungen gleichzeitig mit Wärme versorgen.

    Mense: Dr. Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung. Ich danke für das Gespräch.