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Energieversorgung in Deutschland
"Ein Risiko gibt es bei der Netzstabilität"

Die Bundesnetzagentur bemängelt einen zu langsamen Ausbau der Stromnetze. Die Stromversorgung in Deutschland sei zwar gesichert, sagte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, im Dlf. Ein Risiko gebe es jedoch bei der Netzstabilität, denn der Strom komme nicht immer da hin, wo er gebraucht werde.

Jochen Homann im Gespräch mit Georg Ehring | 04.01.2018
    Überland-Stromleitungen nahe dem nordhessischen Hofgeismar bei trübem Wetter
    Überland-Stromleitungen nahe dem nordhessischen Hofgeismar (Uwe Zucchi dpa / lhe)
    Georg Ehring: Es ist ziemlich windig in diesen Tagen, und für die Besitzer von Windrädern ist das eine gute Nachricht. Sie laufen auf vollen Touren, und das kann dazu beitragen, dass im gerade begonnenen Jahr 2018 Rekordmengen an Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wird. Im vergangenen Jahr kam deutlich mehr als ein Drittel des Stroms aus Windrädern, Solaranlagen, Wasserkraftwerken oder der Verfeuerung von Biomasse. Kopfzerbrechen bereiten diese Erfolge den Betreibern der Stromnetze. Sie müssen immer wieder Anlagen abregeln, weil die Netze sonst überlastet wären, und sie müssen immer häufiger Strom ins Ausland verschenken und manchmal dafür sogar noch eine Prämie zahlen, weil er im Inland nicht gebraucht wird. Negative Strompreise gab es 2017 während 146 Stunden. Dass ist rund zehnmal so viel wie 2008. Am Telefon begrüße ich Jochen Homann, den Präsidenten der Bundesnetzagentur. Guten Tag, Herr Homann!
    Johann Homann: Schönen guten Tag, Herr Ehring, und ein gutes neues Jahr all Ihren Zuhörern, hoffentlich mit einer sicheren Stromversorgung, die dann auch bezahlbar ist.
    Ehring: Ein gutes neues Jahr Ihnen auch. Herr Homann, sind die Stromnetze an Tagen wie diesen denn überfordert?
    Homann: Ja, es ist immer häufiger vorgekommen in den letzten Jahren schon und aktuell auch, dass die Stromnetze nicht mehr in der Lage sind, den Strom zu transportieren, der an der Börse verkauft wird. Und das ist eines der Kernprobleme im Rahmen der Energiewende.
    Ehring: Seit Jahren reden wir ja vom Ausbau der Netze. Wie kommt der denn voran?
    "Bis 2025 sollen die großen Leitungen stehen"
    Homann: Es geht etwas langsam. Das ist ja auch seit Jahren eine Klage, dass es immer wieder Widerstände gibt gegen den Netzausbau. Aktuell haben wir die großen Leitungen, die berühmten Gleichstromübertragungsleitungen in den Verfahren drin. Wir hoffen, dass wir in diesem Jahr da den einen oder anderen Fortschritt dann haben werden.
    Ehring: Und wann wird sich die Lage entspannen? Wagen Sie da eine Prognose?
    Homann: Die Lage wird sich dann entspannen, wenn der Stromnetzausbau weiter vorangeschritten ist, und da ist ja die Planung, dass bis zum Jahr 2025 die großen Leitungen stehen sollen. Ich hoffe, dass das gelingt.
    Ehring: Und es gibt ja dann auch Ausbaubedarf auf mittlerer Ebene, weil die Energiewende zum Teil auch dezentral läuft. Sind Sie da im Plan?
    Homann: Auf der Spannungsebene unterhalb der Höchstspannung, in der Tat, da im Verteilnetz muss auch reichlich ausgebaut werden. Das trifft zu. Dort findet das Ganze sehr viel geräuschloser statt. Dort gibt es ja nicht die großen Diskussionen über die Stromleitungen.
    Ehring: Gibt es denn kurzfristige Lösungen, um negative Strompreise vermeiden zu können?
    "Es wird viel Windstrom kommen"
    Homann: Erst mal, negative Strompreise an sich sind ja nicht Schlechtes, sondern sie zeigen ja eigentlich etwas an, nämlich, dass am Markt nicht genug Flexibilität im Kraftwerkspark ist. Insofern ist das schon ein wichtiges Zeichen, was da kommt. Und was natürlich getan wird, ist das, was Sie beschrieben haben. Dass man versucht, die Netze zu entlasten durch verschiedenste Maßnahmen, das Ab- und Aufregeln von Kraftwerken, das Abregeln auch von Windanlagen im Notfall. Da gibt es also eine ganze Reihe von Maßnahmen, die gemacht werden.
    Ehring: Die Forderung ist in diesen Tagen laut geworden, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu drosseln, bis die Netze fertig ausgebaut sind?
    Homann: Das passiert im Prinzip schon, denn natürlich muss immer gelten, dass das Netz dem Ausbau der Erneuerbaren folgen muss, und nicht umgekehrt, als Prinzip. Aber wir haben Situationen, wo das einfach nicht so funktioniert. Und deswegen hat die Politik ja schon vor über einem Jahr sogenannte Netzausbaugebiete beschlossen, das sind Gebiete, in denen der Ausbau der Erneuerbaren ein Stück weit gedrosselt wird, um dem Netzausbau die Chance zu geben, aufzuholen.
    Ehring: Besonders gefördert wurde ja in letzter Zeit der Ausbau von Offshore-Wind, also vor der Küste. Ist der auch betroffen?
    Homann: Ja, der ist natürlich auch betroffen, aber gerade beim Offshore-Wind gilt, dass die Ausschreibungen gezeigt haben, dass dort relativ preisgünstig inzwischen Strom erzeugt werden kann. Das heißt, der Druck wird in Zukunft dann auch noch zunehmen, weil viel Windstrom kommen wird.
    Ehring: Das heißt, der Druck auf den Netzausbau wird immer stärker. Es wird ja verschiedentlich auch diskutiert, dass man die Energiewende etwas dezentraler gestalten sollte, um den Druck davon zu nehmen.
    "Die Energiewende ist schon längst dezentral"
    Homann: Die Energiewende ist, was die Erzeugung angeht, ja schon längst dezentral. Die Windräder stehen ja überall im Land und die Fotovoltaikanlagen. Aber die Schlussfolgerung, die gelegentlich daraus gezogen wird, dass dann weniger Netzausbau benötigt wird, ist schlicht falsch. Denn Strom muss ja eingesammelt werden, wenn Sie so wollen, und muss dorthin transportiert werden, wo er gebraucht wird.
    Ehring: Ist denn die Versorgungssicherheit gefährdet, weil die Netze immer ungleichmäßiger ausgelastet sind?
    Homann: Man muss sehr aufpassen bei dieser Diskussion. Die Versorgungssicherheit im Sinne von "Haben wir genug Kapazitäten", die Stromerzeugung ist nicht gefährdet. Wo wir ein Risiko haben, ist bei der Netzstabilität, das heißt, die Frage, kann der Strom auch immer dorthin gebracht werden, wo er gebraucht wird. Und das führt wieder zu Ihrer Anfangsfrage zurück, dass die Netze an verschiedenen Stellen stark überlastet sind, täglich die Netzbetreiber Eingriffe in den Betrieb von Anlagen machen müssen, und dies hat natürlich nicht nur Kosten zur Folge, sondern ist auch auf Dauer riskant.
    Ehring: Als Verbraucher fürchtet man Stromausfälle. Ist die Befürchtung begründet?
    "Aktuell gibt es keinen Bedarf für Speicher"
    Homann: Nein, aktuell und auf Sicht nicht.
    Ehring: Eine Perspektivfrage: Wann werden auch mehr Stromspeicher gebraucht? Nicht nur Netze, sondern auch Speicher, und wann stehen die zur Verfügung?
    Homann: Sie haben es angedeutet. Das ist auch aus meiner Sicht eine Perspektivfrage. Das heißt, auf Dauer und auf längere Sicht werden wir sicherlich Speicher brauchen. Aktuell gibt es dafür keinen Bedarf, zumal ja die Speicher immer nur für einen zeitlichen Ausgleich sorgen zwischen Stromnachfrage und Stromangebot. Unser Problem ist der regionale Ausgleich, und da tragen Speicher natürlich nichts dazu bei.
    Ehring: Jochen Homann war das, der Präsident der Bundesnetzagentur. Wir sprachen über den Ausbau der Energienetze. Herzlichen Dank dafür!
    Homann: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.