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Energiewende
"Wir brauchen stabile Netze"

Der NRW-Energieminister Andreas Pinkwart warnte davor, die Kohlekraftwerke vorzeitig vom Netz zu nehmen. Wenn der Schalter zu früh umgelegt werde, verliere man Arbeitsplätze, sagte der FDP-Politiker im Deutschlandfunk. Darüber hinaus müsse die Versorgungssicherheit gewährleistet sein. Derzeit seien die Netze noch nicht stabil genug.

Andreas Pinkwart im Gespräch mit Sarah Zerback | 15.11.2017
    Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart
    Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (dpa/Federico Gambarini)
    Sarah Zerback: Deutschland als Vorreiter in Sachen Klima, mit einer Schlüsselrolle dabei, das Pariser Klimaabkommen mit Leben zu füllen. Das sind Erwartungen, die rund um die Bonner Konferenz immer wieder laut werden von internationalen Partnern, obwohl oder gerade weil die Bundesregierung die selbstgesteckten Klimaziele, die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, gar nicht erreichen würde, wenn sie so weitermacht. Und so richten sich heute alle Augen auf die deutsche Kanzlerin, die am Nachmittag in Bonn erwartet wird, in der heißen Phase kurz vor Schluss, und gemeinsam mit hochrangigen Politikern aus der ganzen Welt dann darüber spricht, wie Deutschland konkret umsteuern will, um die Erderwärmung zu stoppen.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft und Energie in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Pinkwart!
    Andreas Pinkwart: Guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: Blamiert sich die Bundesregierung da gerade in Bonn, Herr Pinkwart?
    Zerback: Ich denke, die Bundesregierung wie Deutschland insgesamt hat große Leistungen erbracht auf dem Gebiet des Klimaschutzes. Und auch, dass die COP 23 - wir gehören ja auch als Land Nordrhein-Westfalen dazu; wir veranstalten das mit – hier stattfindet und wir sehr viele sehr gute Beispiele auch zeigen können, wie Klimaschutz gelingen kann. Da muss sich keiner entschuldigen, sondern wir müssen gemeinsam daran arbeiten, alle Länder dieser Welt - das zeigt ja auch Ihr Beitrag -, dass wir die Ziele, die sehr ehrgeizigen Ziele, die wir uns insgesamt gesetzt haben, auch tatsächlich erreichen können. Und hier gilt es nicht nur Kurzschlusshandlungen zu betreiben, sondern wirklich sehr langfristig auch die Dinge anzulegen. Denn wir müssen ja in allen Teilen der Welt zusammenbringen, dass wir Klimafreundlichkeit haben, aber auch die Bezahlbarkeit der Energie mit im Blick behalten und vor allen Dingen auch die Versorgungssicherheit, was ja zentral ist für die Menschen.
    Zerback: Gut, Herr Pinkwart. Aber jetzt sieht es ja gerade nicht danach aus, als würden wir die Ziele erreichen. Die 40 Prozent bis 2020, da sind wir noch weit von entfernt. Wie soll denn das dann gelingen?
    "Die Schätzungen gehen weit auseinander"
    Pinkwart: Ja gut! Wir haben uns auch darüber natürlich unterhalten und sind da in den Abstimmungen auch zwischen allen Beteiligten. Da gehen ja die Schätzungen auch auseinander. Wir haben eben Herrn Schellnhuber gehört, der sagt jetzt, sind es zwei Grad, sind es drei Grad. Bei der Lücke gibt es Schätzungen der Bundesregierung im Projektionsbericht aus dem Frühjahr dieses Jahres. Da sind wir in der Größenordnung zwischen 30 und 60 Millionen Tonnen, die vielleicht noch an CO2 fehlen könnten. Greenpeace sagt 90 Millionen, die Grünen sagen 90 bis 120 Millionen Tonnen. Also Sie sehen, da gibt es doch sehr unterschiedliche, zum Teil weit auseinandergehende Projektionen, und viele Maßnahmen, die auch von der Bundesregierung noch eingeleitet wurden in den letzten Jahren, zuletzt erst in 2016, die sind in solchen Projektionen zum Teil auch nicht hinreichend abgebildet worden, so dass die Lücke auch ein bisschen groß gemacht wird nach meinem Eindruck.
    Zerback: Aber, Herr Pinkwart, wenn man sich jetzt noch nicht mal in der Analyse des Problems einig ist, wie soll denn dann eine gemeinsame Lösung Zustandekommen?
    Pinkwart: Na ja, gut. Man muss sich auf einen vernünftigen Pfad verständigen. Man muss sagen, wie man die Lücke definiert. Ich will noch mal sagen: Im vorigen Jahr hat die Große Koalition, Nordrhein-Westfalen damals mit Grünen und SPD, sehend, wie die Klimaentwicklung ist in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland mit Blick auf CO2 gesagt, wir müssen ein Maßnahmenpaket schnüren in der Größenordnung 70, 80 Millionen Tonnen. Daran ist gearbeitet worden, das ist verabschiedet worden und das wird jetzt umgesetzt in den nächsten Jahren. Dazu gehört zum Beispiel auch die Herausnahme von Braunkohleblöcken. Das ist alles schon beschlossen und verabredet worden und die Maßnahmen sollen sich und werden sich in den nächsten Jahren auch auswirken.
    Zerback: Stichwort Braunkohle - so richtig final beschlossen ist das ja noch nicht. Weil nur könnte dieses ehrgeizige Ziel, wie Sie es nennen, noch klappen, wenn Braunkohlekraftwerke im größeren Stil abgeschaltet werden, als das bisher geplant ist. Die größten stehen ja in NRW. Ist NRW da bereit, den Klimakiller Nummer eins in größerem Stil vom Netz zu nehmen, um dieses Ziel zu erreichen?
    Pinkwart: Wir müssen vielleicht folgendes sehen. Erst mal ganz wichtig: Es werden schon Blöcke vom Netz genommen. Damit ist schon begonnen worden.
    Zerback: Ja, fünf in NRW.
    "Wir müssen auch sagen, wer muss die Lücke schließen"
    Pinkwart: Ja, das muss man auch erst mal deutlich machen. Das Zweite, was ganz wichtig ist: Wenn wir jetzt über die Lücke reden, dann müssen wir auch sagen, wer muss die Lücke schließen. Und da geht es ja nicht nur um den Energiebereich. Die Verstromung macht nur ein Viertel des Energieverbrauchs insgesamt in Deutschland aus. Viel wichtiger ist der Wärmebereich, der macht fast die Hälfte aus. Und die Mobilität. Und in diesen Bereichen hat sich überhaupt nicht viel getan in den letzten Jahren, wo hingegen der Stromsektor massiv CO2 abgebaut hat und auch dabei ist, wenn er jetzt an der einen oder anderen Stelle - da reden wir auch drüber - noch Reduktionen durchführen wird, seine Ziele mit Blick auf 2020 sogar voll erreichen zu können.
    Zerback: Da haben Sie sicherlich recht, dass das alles wichtig ist. Aber lassen Sie uns trotzdem mal bei der Kohle bleiben. Da hat das Umweltbundesamt gestern einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Und zwar soll der lauten: mindestens zehn Kraftwerke stilllegen, die ältesten und ineffizientesten, und diejenigen, die älter als 20 Jahre sind, drosseln, plus den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen. Gehen Sie da mit als FDP?
    Pinkwart: Wir haben das Problem an der Stelle, dass wir uns über die Versorgungssicherheit klar sein müssen, wenn wir die Kompensation über die Erneuerbaren wollen.
    Zerback: Aber wer zweifelt die denn an? Das Umweltbundesamt zumindest nicht.
    Pinkwart: Ja, gut. Aber das Umweltbundesamt ist ja nun nicht alleine dafür zuständig, sondern zuständig ist die Bundesnetzagentur, und die Bundesnetzagentur sagt uns, damit wir Versorgungssicherheit in Deutschland sicherstellen können, können wir in einem Spielraum vielleicht noch um die drei bis fünf Gigawatt Leistungen bis 2023 in einem Mix noch zusätzlich vom Netz nehmen. Das ist ein ganz enger Spielraum.
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange.
    Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange. (AFP / Belga / Eric Lalmand)
    Jetzt stehen wir in Nordrhein-Westfalen vor der Herausforderung, dass wir der belgischen Regierung - weil Sie wissen, wir haben das Problem mit Tihange, den sehr kritischen Atomreaktoren an der Grenze Nordrhein-Westfalens. Wir haben der belgischen Regierung gesagt, wenn ihr sie vorzeitig abschaltet, dann könnten wir in einer Größenordnung von bis zu drei Gigawatt Belgien unterstützen, eine Versorgungssicherheit auch aufbauen zu können.
    Das heißt, wir haben auch hier Abwägungen zu treffen zwischen Sicherheitsfragen und Klimathemen. Das werden wir heute bei Herrn Macron ja auch sehen. Die Franzosen werden ihre Klimaschutzziele nur erreichen können, indem sie die Kernenergie länger laufen lassen als bisher geplant. Die Kraftwerke werden dadurch nicht sicherer. Auch das müssen wir berücksichtigen, wenn wir kurzfristig über so ehrgeizige Ziele reden.
    Zerback: Da müssen wir vielleicht noch mal ein bisschen ins Detail gehen, weil es ist ja so, dass Deutschland aktuell viel mehr produziert, als es tatsächlich selber verwendet. Allein 50 Terrawattstunden sind das, die allein fürs Ausland produziert werden. Sollte man da nicht stattdessen, Stichwort Versorgungssicherheit, besser aufhören, den klimaschädlichen Kohlestrom zu exportieren? Wir scheinen ja sogar zu viel davon zu haben.
    "Im Januar 2017 hatten wir eine Dunkelflaute, ohne Kraftwerke hätte es da keine Stromversorgung gegeben"
    Pinkwart: Nein. Ich glaube, Frau Zerback, Sie haben einen ganz wichtigen Punkt angesprochen. Das Problem ist, dass wir dann insbesondere Strom exportieren, zum Teil mit Negativpreisen, wenn der Wind besonders kräftig weht, weil unsere Netze noch gar nicht stabil genug sind, um diesen Wind aufnehmen zu können und von Nord nach Süd transportieren zu können, wo er dringend gebraucht wird. Und wir sind nicht in der Lage, dann, wenn Wind sehr stark zur Verfügung steht, oder auch Sonne, das mit Hilfe von Speichern oder Power to Gas so zu speichern, dass es dann auch hier umweltfreundlich unserer Klimabilanz zugutekommt. Stattdessen wird es dann exportiert in andere Länder, die günstig Strom einkaufen können, aber den wir hier teuer mit EEG-Umlage bezahlen, wenn ich das noch ergänzen darf. Hier ist die Energiewende leider noch nicht rund. Wir brauchen dringend stabile Netze. Wir brauchen dringend Speichertechnologien. Und wir brauchen für den Übergang auch konventionelle Energie, damit wir immer auch Strom verfügbar haben. Die letzten beiden Januar-Wochen dieses Jahres, da hatten wir die Dunkelflaute. Da lief nichts, weder beim Wind, noch bei der Sonne. Und wenn wir nicht unsere konventionellen Kraftwerke hier bis zur Reserve eingesetzt hätten, hätte es im kalten Januar keine Stromversorgung gegeben. Das müssen wir mit berücksichtigen, wenn wir so kurzfristig meinen, aus der Kernenergie, aber auch aus der Kohle aussteigen zu wollen.
    Zerback: Entschuldigung, dass ich Sie unterbrochen habe, aber das ist tatsächlich ein Horrorszenario jetzt noch im Konjunktiv. Dazu ist es noch nicht gekommen. Es redet ja auch keiner davon, jetzt von heute auf morgen den Schalter umzulegen. Aber ist nicht genau jetzt die Zeit und ist es nicht vielleicht sogar fast schon zu spät, um umzusteuern, um gerade diese ganzen langfristigen Maßnahmen auch anzugehen?
    Pinkwart: Frau Zerback, da bin ich ganz Ihrer Meinung, und da müssen wir auch viel intensiver drüber reden. Es geht doch um das Pariser Abkommen. Das Pariser Abkommen ist ab 2030 von Deutschland einzuhalten. Da haben wir noch viel höhere Verantwortung, nämlich 55 Prozent CO2-Abbau. Und das werden wir nur erreichen, wenn wir viel grundlegender die Themen angehen. Sicherlich auf der einen Seite bei der Verstromung. Da wird auch die Kohle weiter reduziert werden müssen. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wir müssen uns auch Gedanken machen, wenn wir jetzt bei der Industrie bleiben: Die energieintensive Industrie, sie muss grundlegend umgebaut werden, wenn wir sie nicht verlieren wollen. Wir haben mehr als eine Viertelmillion Arbeitsplätze alleine hier in Nordrhein-Westfalen, deutschlandweit über 700.000 in der energieintensiven Wirtschaft. Wenn wir jetzt Kurzschlusshandlungen machen, verlieren wir die Industrie. Wenn wir das langfristiger angehen und mit neuen Technologien arbeiten - es gibt ja auch tolle Ideen dort. Es gibt schon erste Prototypanlagen, wie man zum Beispiel auch Stahl mit Wasserstoff herstellen kann und nicht nur mit Kohlenstoff. Aber das müssen wir jetzt an den Start bringen. Wenn wir zu früh den Schalter jetzt umdrehen, dann verlieren wir Arbeitsplätze, statt sie zu modernisieren und in eine gute Zukunft zu führen.
    Zerback: Das hatte ich gerade auf der Zunge, Herr Pinkwart. Modernisieren statt Deindustrialisieren. So könnte man das ja auch sagen.
    Pinkwart: Genau so! - Ja, richtig.
    Zerback: Noch mal ganz kurz zum Schluss Ihre Einschätzung, weil das Thema Klima und das Thema Kohle ja in den Sondierungsgesprächen ein ganz dicker Brocken ist. Heute Abend geht es wieder darum. Könnte Jamaika jetzt auf den letzten Metern daran noch scheitern?
    Pinkwart: Ich hoffe nicht, dass wir daran scheitern, weil es ganz wichtig ist, für mich jedenfalls, auch die Gespräche mit den Grünen. Ich finde das ganz wichtig, dass wir wirklich auch über diese Zukunftsfragen reden und das wir auch ehrgeizig darüber reden. Aber es wäre schön, wenn wir das mit Vernunft und Verstand machen würden, wenn wir das langfristig anlegen würden, damit wir wirklich stolz sein können zu sagen, Deutschland ist das klimafreundlichste, modernste und auch wohlfahrtsorientierteste Land dieser Welt. Daran müssen wir arbeiten und alles drei zusammenzuhalten, könnte eine große Chance für Jamaika werden.
    Zerback: Das sagt Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft und Energie in Nordrhein-Westfalen. Besten Dank für das Interview heute Morgen, Herr Pinkwart.
    Pinkwart: Ich danke Ihnen, Frau Zerback. Einen schönen Tag Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.