Sprecher 1: alter Mann
Sprecher 2: Mann
Sprecher 1 Was um alles in der Welt, junger Mann...?!
Sprecher 2 ihn unterbrechend: Es wird mein Schicksal sein, daß ihr mich, noch wenn ich fünfzig bin, einen jungen Autor nennt...
Sprecher 1 Wir werden halt älter...
Sprecher 2 ... alt... ja, das ist gerecht, daß meine Kritiker vergreisen müssen. - Aber Ihre Frage bitte.
Sprecher 1 Was um alles bewegt Sie, einen Unterhaltungsroman auf den zunehmend raren Sendeplätzen für Literatur zu besprechen?! Die Autorin Anne Rice gehört zu den meistgelesenen der Welt...
Sprecher 2 ... und schreibt kein gutes Deutsch...
Sprecher 1 Sie meinen Englisch...
Sprecher 2 ... wenn ich mal von der Übersetzung aufs Original rückschließen darf...
Sprecher 1 Diese Rhetorik! Die Stelzungen! Ich hab ja nur ein bißchen geschmökert in dem "Engel der Verdammten", aber die narrativen Anschlüsse und dieser erzählpubertäre Gestus sind wirklich öde.
Sprecher 2 Ich will Ihnen nicht widersprechen. Ein Dämon, der von "seinem Frust" redet, ist auf ziemlich jugendbewegte Weise komisch. Zumal diesen Roman Politische Korrektheiten durchseuchen: Kein Unheil unserer Gegenwart, zu dem die Autorin nicht moralisch Position bezöge...
Sprecher 1 Also: Warum?
Sprecher 2 ...was man jedenfalls "pc" nennt... Fantastische Literatur hingegen ist prinzipiell grenzüberschreitend. Nur deshalb wollte ich Anne Rice’s neuen Roman lesen.
Sprecher 1 Ich verstehe vielleicht noch nicht.
Sprecher 2 Sie verstehen sehr wohl. Die Fantastische Literatur ist die einzige, die prinzipiell Normen unterlaufen muß.
Sprecher 1 Sie irren sich. Gerade der Unterhaltungsroman hängt an den Normen einer nach Millionen zählenden Lesergemeinschaft...
Sprecher 2 ... oder hat das Potential, verdrängte Fantasien herauszukitzeln und sozial erzwungene Verdrängungen aufzuheben. Mit der Fantastischen Literatur aus Ostblockländern haben Sie und Ihre Kollegen übrigens nie ein Problem gehabt...
Sprecher 1 Weil sich im Gewand des Fantastischen die Politische Zensur umgehen läßt.
Sprecher 2 Man kann im Gewand des Fantastischen auch die Zensur des Bewußtseins umgehen...
Sprecher 1 Wie meinen Sie das?
Sprecher 2 Verbotene Fantasien beschreiben, die ja als verdrängte wirksam bleiben und dann scheinbar unmittelbar als reales Unheil ausbrechen können.
Sprecher 1 leicht höhnisch: Und davon erzählt dieses Buch?
Sprecher 2 Nein, leider nicht. Eher ist dieser Roman ein politisch korrekter Religionskrieg. Es gehört der fantastischen Literatur nicht an, auch wenn ich das nach dem zu Recht gerühmten "Interview mit dem Vampir" anders erwartet habe. Anne Rice's "Engel der Verdammten" ist vielmehr ein später Nachfolger englisch-protestantischer Erbauungsliteratur aus dem Geiste John Bunyans, nicht mehr ganz so prüde, doch dafür weniger formvollendet.
Sprecher 1 Wie bitte?
Sprecher 2 Die Fabel geht so: Zur Zeit Kyros des Großen, also um 545 v. C., wird ein junger Mann namens Asrael – typischerweise ist er seiner jüdischen Herkunft untreu - zu einem Geist gemacht, der fortan immer, wenn ihn jemand aus seinen konservierten Knochen ruft...
Sprecher 1 ...daher der englische Titel "Servant of the Bones"... Wissen Sie, warum der Verlag das Buch "Engel der Verdammten" genannt hat?
Sprecher 2 abfällig: Nö. – fortsetzend: ... der jedem, der ihn ruft, zu Diensten sein muß. Allerdings gelingt es ihm in den 90ern unsres Jahrhunderts, aus eigener Kraft aus den Knochen zu fahren. Wieso allerdings, wird nie erzählt... allenfalls läßt es sich aus der Widmung ahnen, die Frau Rice ihrem Roman vorangestellt hat.
Sprecher 1 Furchtbar, ja! liest vor: "Dieses Buch ist Gott gewidmet".
Sprecher 2 Unser Geist Asrael verhindert nun, daß eine teuflische Sekte die Welt vernichtet und bleibt auch fortan, über den Romanschluß hinaus, als sozusagen astraler und durch kein Kryptonit bannbarer Superman zum Weltwohl tätig: arbeitet als Hilfskraft während einer Cholera-Epidemie, verfolgt die Mörder Yitzhak Rabins... und sofern wir einen Zweiten Teil dieses inversen Schulmädchenreportes lesen könnten, beobachteten wir gewiß, wie Asrael mit Saddam Husseïn ein kurzes Ende machte...
Sprecher 1 Wo finden Sie herrjeh! bei alledem Ihre Grenzüberschreitung?
Sprecher 2 In den Fantasien, die mitgeschwemmt, allerdings auch umgeleugnet werden: Der große Böse des Romans will das Elend durch Vernichtung der Dritten Welt beheben. Einzig die USA, als terrane Arche Noah, sollen unbehelligt bleiben. Wenn ich mir außerdem anschaue, mit welcher Freude Frau Rice ihren Helden morden läßt... lacht: gar keine Frage, da zeigen die Verdrängungen schon ihre Hörner.
Sprecher 1 Das sind natürlich jetzt keine literarischen Kriterien...
Sprecher 2 spöttisch: Ach nein? ernst: Es sind die Untergründe... nicht bewußte Gestaltungsziele, da gebe ich Ihnen recht. Ich sagte ja: Es handelt sich hier nicht um Fantastische Literatur, sondern um Morallehre. Die ist verräterisch allemal. Sieh dir an, was die Millionen lesen, und du weißt, was sie antreibt. noch ernster, wie ein Fluchen: Unsere sogenannte Ernste Literatur sollte sich da orientieren. Wie ich das in meinen Romanen tue.
Sprecher 1 Keine Selbstwerbung bitte!
Sprecher 2 Wenn sonst keiner wirbt..? – ungerührt weiter: Ich habe in "Thetis. Anderswelt" solche Elemente aus Science Fiction, Fantasy und gothic novel als Module...
Sprecher 1 Ich bitte Sie nochmals! Wir rezensieren hier Anne Rice’s "Engel der Verdammten", nicht Alban Nikolai Herbsts dubiose Literaturauffassung.
Sprecher 2 Ach nein? – Rezensierend
Sprecher 2: Mann
Sprecher 1 Was um alles in der Welt, junger Mann...?!
Sprecher 2 ihn unterbrechend: Es wird mein Schicksal sein, daß ihr mich, noch wenn ich fünfzig bin, einen jungen Autor nennt...
Sprecher 1 Wir werden halt älter...
Sprecher 2 ... alt... ja, das ist gerecht, daß meine Kritiker vergreisen müssen. - Aber Ihre Frage bitte.
Sprecher 1 Was um alles bewegt Sie, einen Unterhaltungsroman auf den zunehmend raren Sendeplätzen für Literatur zu besprechen?! Die Autorin Anne Rice gehört zu den meistgelesenen der Welt...
Sprecher 2 ... und schreibt kein gutes Deutsch...
Sprecher 1 Sie meinen Englisch...
Sprecher 2 ... wenn ich mal von der Übersetzung aufs Original rückschließen darf...
Sprecher 1 Diese Rhetorik! Die Stelzungen! Ich hab ja nur ein bißchen geschmökert in dem "Engel der Verdammten", aber die narrativen Anschlüsse und dieser erzählpubertäre Gestus sind wirklich öde.
Sprecher 2 Ich will Ihnen nicht widersprechen. Ein Dämon, der von "seinem Frust" redet, ist auf ziemlich jugendbewegte Weise komisch. Zumal diesen Roman Politische Korrektheiten durchseuchen: Kein Unheil unserer Gegenwart, zu dem die Autorin nicht moralisch Position bezöge...
Sprecher 1 Also: Warum?
Sprecher 2 ...was man jedenfalls "pc" nennt... Fantastische Literatur hingegen ist prinzipiell grenzüberschreitend. Nur deshalb wollte ich Anne Rice’s neuen Roman lesen.
Sprecher 1 Ich verstehe vielleicht noch nicht.
Sprecher 2 Sie verstehen sehr wohl. Die Fantastische Literatur ist die einzige, die prinzipiell Normen unterlaufen muß.
Sprecher 1 Sie irren sich. Gerade der Unterhaltungsroman hängt an den Normen einer nach Millionen zählenden Lesergemeinschaft...
Sprecher 2 ... oder hat das Potential, verdrängte Fantasien herauszukitzeln und sozial erzwungene Verdrängungen aufzuheben. Mit der Fantastischen Literatur aus Ostblockländern haben Sie und Ihre Kollegen übrigens nie ein Problem gehabt...
Sprecher 1 Weil sich im Gewand des Fantastischen die Politische Zensur umgehen läßt.
Sprecher 2 Man kann im Gewand des Fantastischen auch die Zensur des Bewußtseins umgehen...
Sprecher 1 Wie meinen Sie das?
Sprecher 2 Verbotene Fantasien beschreiben, die ja als verdrängte wirksam bleiben und dann scheinbar unmittelbar als reales Unheil ausbrechen können.
Sprecher 1 leicht höhnisch: Und davon erzählt dieses Buch?
Sprecher 2 Nein, leider nicht. Eher ist dieser Roman ein politisch korrekter Religionskrieg. Es gehört der fantastischen Literatur nicht an, auch wenn ich das nach dem zu Recht gerühmten "Interview mit dem Vampir" anders erwartet habe. Anne Rice's "Engel der Verdammten" ist vielmehr ein später Nachfolger englisch-protestantischer Erbauungsliteratur aus dem Geiste John Bunyans, nicht mehr ganz so prüde, doch dafür weniger formvollendet.
Sprecher 1 Wie bitte?
Sprecher 2 Die Fabel geht so: Zur Zeit Kyros des Großen, also um 545 v. C., wird ein junger Mann namens Asrael – typischerweise ist er seiner jüdischen Herkunft untreu - zu einem Geist gemacht, der fortan immer, wenn ihn jemand aus seinen konservierten Knochen ruft...
Sprecher 1 ...daher der englische Titel "Servant of the Bones"... Wissen Sie, warum der Verlag das Buch "Engel der Verdammten" genannt hat?
Sprecher 2 abfällig: Nö. – fortsetzend: ... der jedem, der ihn ruft, zu Diensten sein muß. Allerdings gelingt es ihm in den 90ern unsres Jahrhunderts, aus eigener Kraft aus den Knochen zu fahren. Wieso allerdings, wird nie erzählt... allenfalls läßt es sich aus der Widmung ahnen, die Frau Rice ihrem Roman vorangestellt hat.
Sprecher 1 Furchtbar, ja! liest vor: "Dieses Buch ist Gott gewidmet".
Sprecher 2 Unser Geist Asrael verhindert nun, daß eine teuflische Sekte die Welt vernichtet und bleibt auch fortan, über den Romanschluß hinaus, als sozusagen astraler und durch kein Kryptonit bannbarer Superman zum Weltwohl tätig: arbeitet als Hilfskraft während einer Cholera-Epidemie, verfolgt die Mörder Yitzhak Rabins... und sofern wir einen Zweiten Teil dieses inversen Schulmädchenreportes lesen könnten, beobachteten wir gewiß, wie Asrael mit Saddam Husseïn ein kurzes Ende machte...
Sprecher 1 Wo finden Sie herrjeh! bei alledem Ihre Grenzüberschreitung?
Sprecher 2 In den Fantasien, die mitgeschwemmt, allerdings auch umgeleugnet werden: Der große Böse des Romans will das Elend durch Vernichtung der Dritten Welt beheben. Einzig die USA, als terrane Arche Noah, sollen unbehelligt bleiben. Wenn ich mir außerdem anschaue, mit welcher Freude Frau Rice ihren Helden morden läßt... lacht: gar keine Frage, da zeigen die Verdrängungen schon ihre Hörner.
Sprecher 1 Das sind natürlich jetzt keine literarischen Kriterien...
Sprecher 2 spöttisch: Ach nein? ernst: Es sind die Untergründe... nicht bewußte Gestaltungsziele, da gebe ich Ihnen recht. Ich sagte ja: Es handelt sich hier nicht um Fantastische Literatur, sondern um Morallehre. Die ist verräterisch allemal. Sieh dir an, was die Millionen lesen, und du weißt, was sie antreibt. noch ernster, wie ein Fluchen: Unsere sogenannte Ernste Literatur sollte sich da orientieren. Wie ich das in meinen Romanen tue.
Sprecher 1 Keine Selbstwerbung bitte!
Sprecher 2 Wenn sonst keiner wirbt..? – ungerührt weiter: Ich habe in "Thetis. Anderswelt" solche Elemente aus Science Fiction, Fantasy und gothic novel als Module...
Sprecher 1 Ich bitte Sie nochmals! Wir rezensieren hier Anne Rice’s "Engel der Verdammten", nicht Alban Nikolai Herbsts dubiose Literaturauffassung.
Sprecher 2 Ach nein? – Rezensierend