Archiv


Englisch als "seltene Sprache"

Englisch, sollte man meinen, ist mittlerweile Allerweltssprache. Aber ausgerechnet in Brüssel, bei der Europäischen Union, wird Englisch als "seltene Sprache" eingestuft. Der Europäischen Kommission gehen nämlich die Dolmetscher aus, besonders in Englisch, Französisch und Deutsch. Deshalb hat die Behörde nun eine umfassende Werbeaktion gestartet. Als Nachwuchs begehrt sind auch Absolventen aus Deutschland.

Von Ruth Reichstein |
    So beginnt ein Internet-Werbespot der Europäischen Kommission. Er soll helfen, das Problem zu lösen, erklärt Ian Andersen von der für Dolmetscherei zuständigen Generaldirektion der Brüsseler Behörde:

    "Wir haben uns die Zusammensetzung unseres Dolmetscherdienstes angeschaut und festgestellt, dass die Alterspyramide einen Einbruch hat. Viele Leute sind in den späten 70er- und den frühen 80er-Jahren eingestellt worden und all diese gehen jetzt oder in den kommenden zehn Jahren in Rente. Das gilt vor allem für Englisch, aber auch für Französisch, Deutsch, Niederländisch und Italienisch."

    Ingesamt arbeiten rund 1500 freiberufliche und festangestellte Dolmetscher für die Europäische Kommission. Aber es werden immer weniger, hat die Kommission nun in einer Studie festgestellt. Beispiel Englisch:

    "Im Durchschnitt kam in den vergangenen Jahren für jeden Dolmetscher der ging, ein neuer Dolmetscher. Wenn wir jetzt nichts tun, dann verlieren wir im Jahr vier Dolmetscher, aber es wird weiterhin nur einer kommen."

    Bisher hatte die Kommission vor allem Probleme, Dolmetscher für die Sprachen der neuen Mitgliedsstaaten zu finden, zum Beispiel für Estnisch oder Rumänisch, aber nun gibt es auch Nachwuchsprobleme für die eigentlich gängigen Sprachen.

    Die Kommission sieht dafür zwei Gründe: Einerseits ist vielen Hochschulabsolventen der Arbeitsplatz Brüssel unbekannt; andererseits gibt es zu wenige Abiturienten, die sich für Fremdsprachen begeistern.

    Gerald Dichtl ist einer von 56 verbeamteten deutschen Dolmetschern in Brüssel. Er rechnet damit, dass allein in seiner Sprache in den kommenden Jahren bis zu zehn Dolmetscherposten frei werden. Er sieht den Hauptgrund für den fehlenden Nachwuchs im Auswahlverfahren der Europäischen Kommission. Die Kandidaten müssen einen sogenannten Concours, eine Aufnahmeprüfung, durchlaufen:

    "Das ist eine eintägige Prüfung. Die Kommission ist stark geprägt vom französischen Prüfungssystem. Da kommt es sehr auf die Tagesform an. Man muss die verschiedenen Dolmetsch-Disziplinen durchmachen in allen Sprachen. Und da ist jeder Dolmetschteil ausschließend. Wenn man einen Teil nicht besteht, dann ist es vorbei"."

    Eigentlich sind die Voraussetzungen aber gar nicht so unüberwindbar. Pflicht sind lediglich ein abgeschlossenes Hochschulstudium, gute Kenntnisse in mindestens zwei Fremdsprachen und Fertigkeit in den Übersetzungstechniken.

    Um den Nachwuchs zu ermutigen, besucht Dichtl regelmäßig Schulen, darunter auch sein eigenes ehemaliges Gymnasium. Die Fragen dort drehen sich nicht nur um den Dolmetscher-Beruf an sich, weiß Dichtl:

    ""Da kommen schon Fragen nach den finanziellen Verhältnissen oder nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Frauen fragen, was passiert, wenn das erste Kind kommt, ob man den Beruf dann ganz aufgeben muss, weil man ja auch viel reist. Das sind die Dinge, die die Leute so wissen wollen."

    Aber diese Besuche allein reichen nicht mehr aus. Nun will die Kommission mit neuen Internet-Werbespots noch mehr potenzielle Dolmetscher anlocken. So, hofft Ian Andersen, könnten die Löcher schon bald gestopft werden. Denn immerhin kann die Kommission schon auf positive Erfahrungen mit solchen Werbefilmchen zurückblicken:

    "Wir haben das schon in Lettland ausprobiert und es hat gut funktioniert: Die Zahl der Kandidaten an der Universität von Riga hat sich vervierfacht. Auch in der Tschechischen Republik haben wir eine solche Werbekampagne gefahren und sehr gute Erfahrungen gemacht."