Schmetterlingssammler, sollte man annehmen, schreiben andere Musik. Diese klingt nach Fuchsjagd. Vorneweg galoppiert ein Klavier, und das Fagott stolpert hinterdrein.
"Vivace molto scherzando" steht über dem Finale des 1919 komponierten B-Dur-Quintetts von Walter Gieseking. Die Kriegsjahre hatte er als Regimentsmusiker auf Borkum verbracht. Komponieren war sein Hobby, neben der Insektenforschung, die er als Sohn eines Zoologen mit Leidenschaft betrieb. Aber berühmt wurde er als Pianist mit einer Vorliebe fürs französische Repertoire, besonders Debussy, den er unnachahmlich spielte. Sein Quintett mag keine Weltsensation und auch keine Ersteinspielung sein. Aber eine Entdeckung ist es auf jeden Fall. Und es ist nicht die einzige in der heutigen Ausgabe der Neuen Platte.
Walter Gieseking, Allegro moderato (1. Satz aus: Quintett B-Dur [1919])
Da war er wieder: Debussy bei der Fuchsjagd! Aber Gieseking lässt ihn nicht einfach losstürmen, sondern schickt mit sanfter Oboenkantilene über leicht gekräuseltem Klaviersatz ein Miniatur-Naturschauspiel voraus. Horn, Fagott und Klarinette treten nach und nach hinzu. Es ist eine Besetzung nach dem Vorbild des Quintetts von Wolfgang Amadeus Mozart, das auf dieser Aufnahme ebenfalls zu finden ist. 4.1 nennt sich das Ensemble.
Das klingt ein bisschen gewollt hipsterhaft und unkonventionell. Wer dann im Booklet von Bierdurst in Pakistan und trunkenen Nächten beim Berliner Schnitzeldöner liest, muss glauben, hier sei eine Spaßtruppe am Werk, die es gern mal richtig krachen lässt. Der Hör-Eindruck ist ein ganz anderer. Geschmackvoller, als es diese Vier-und-ein-Musikerfreunde tun, kann man das spätimpressionistische Gieseking-Quintett schwerlich in Szene setzen.
Die Beteiligten und ihre Instrumente, wie sie sich im Klavierlack spiegeln, zieren die Rückseite des Beihefts und der Hülle. Das Bild ist übertragbar: Der freie gestalterische Atem der Bläser projiziert sich aufs Tasteninstrument und strömt von dort, wie durch einen Katalysator verwandelt, wieder aus. Die Führung wechselt je nach Solostimme, aber die Klangregie behält Pianist Thomas Hoppe in der Hand. Welche Freude es ihm macht, dem Bad in Bläserklängen einige Streicher-Farben und Schlagzeug-Akzente hinzumischen zu dürfen, wie er im Booklet schreibt – man glaubt es ihm sofort.
Vom "Fantastischen" bis zum "recht Interessanten"
In der Einschätzung des Repertoires bleibt er Realist: Die Spanne, meint er, reiche vom "Fantastischen" bis zum "recht Interessanten". Letzteres könnte auf Theodoor Verhey gemünzt sein, dessen Namen man in den meisten Lexika vergebens sucht. Er war ein holländischer Schüler von Woldemar Bargiel und über diesen der Schumann-Brahms-Richtung verbunden, umgewendet allerdings ins leicht Betuliche – und gern mit dezenter Walzernote wie im Intermezzo seines Es-Dur-Quintetts.
Theodoor Verhey, Intermezzo - Allegretto con moto (3. Satz aus: Quintett Es-Dur, op. 20)
Als Mutter aller Quintette für Bläser und Klavier gilt ein Werk, das Wolfgang Amadeus Mozart zusammen mit befreundeten Musikern im Frühjahr 1784 im Wiener Burgtheater präsentierte und für sich selbst nicht nur als Höhepunkt des Programms, sondern seines gesamten Schaffens verbuchte: "das beste was ich noch in meinem leben geschrieben habe". Im Grunde ist es ein Klavierkonzert ohne Streicher, dafür aber mit emanzipierten Bläsern, die auch in Mozarts Opern und Orchesterwerken von da an eine immer wichtigere Rolle spielen. Gern wird es mit Beethovens Quintett in der gleichen Besetzung und bläserfreundlichen Tonart Es-Dur gekoppelt. Dass 4.1 zwei minder bedeutenden Werken den Vorzug gibt, muss jedoch kein Nachteil sein: Beethoven läuft ja nicht weg, und das Etikett "Weltersteinpielung" macht sich, Verhey sei Dank, auf einer Debüt-CD besonders gut. "Origins – Ursprünge" heißt sie. Das verweist einerseits auf Mozart, andererseits darauf, dass es die hier versammelten Werke waren, denen 4.1 seine Gründung verdankt. Oder vielmehr die Erkenntnis, um es mit den Worten des Hornisten zu sagen, "dass diese fünf Gestalten miteinander Spaß hatten" und beschlossen, den Sprung in die Ensemble-Existenz zu wagen.
Wolfgang Amadeus Mozart, Allegretto con moto (1. Satz aus: Quintett Es-Dur, KV 452)
Die Ensemble-Harmonie und Hingabe an die Musik kommt allen Werken gleich zugute, auch wenn sie bei Mozart naturgemäß die größte Wirkung zeitigt. Die Aufnahmetechnik trägt ihren Teil dazu bei, dass kein Detail verlorengeht. Vereinzelte Rumpelgeräusche waren bei der Produktion im Bremer Sendesaal offenbar nicht zu unterdrücken. Einige sind wohl auch ungebremster Musizierfreude geschuldet, was den hervorragenden Gesamteindruck aber nicht erschüttert.
Vom sehr sonoren Klavierklang warm grundiert, entfalten sich die Bläser in ihrer jeweiligen Charakteristik und beginnen zu leuchten, ohne sich zu überstrahlen. Auch darin zeigt sich das freundschaftliche Miteinander, wie schon bei der Ur-Besetzung.
Erstaufführung des Quintetts zu Mozarts Zeit
Wenn Mozart seinem Vater noch ganz ergriffen von der Konzerttaufe des Quintetts berichtete: "Ich wollte wünschen sie hätten es hören können! – und wie schön es aufgeführt wurde", galt die Bewunderung ja nicht nur ihm selbst, sondern auch seinen Spezln, allen voran dem Klarinettisten Anton Stadler. Er warf sich jedes Mal so ins Zeug, dass er die Gesichtsfarbe wechselte und den Spitznamen "Ribisl" verpasst bekam. 4.1 wird Mozarts Partitur ohne erkennbare Anstrengung gerecht. Oder lässt es so aussehen. "Sprezzatura" hätte man es früher genannt. Heute heißt es: ziemlich cool.
Das war aus einer beim Label Arcantus unter dem Titel "Origins – Ursprünge" erschienenen Neu-Aufnahme der Schlussteil des ersten Satzes aus Mozarts Quintett für Klavier und Bläser in Es-Dur, Köchelverzeichnis 452. Es ist die überaus gelungene Debüt-CD des Ensembles 4.1 mit Jörg Schneider (Oboe), Alexander Glücksmann (Klarinette), Fritz Pahlmann (Horn), Christoph Knitt (Fagott) und Thomas Hoppe (Klavier).