"Guter Geist ist trocken." Das Lebens-Motto von Niklas Luhmann charakterisiert auch sein Werk "Die Politik der Gesellschaft": Kompliziert, nüchtern, und in vielem quer zum Alltagsverständnis. Als das Buch im Jahr 2000 posthum erschien, war klar, dass es kein Bestseller werden würde. "Die Politik der Gesellschaft" ist vielmehr eine Enttäuschung - allerdings in beiden Dimensionen des Wortes! Einerseits werden diejenigen enttäuscht, die etwas über zupackende Politik-"Macher" oder "durchgreifende" Regierungen lesen möchten. Denn Luhmann zeigt, dass diese Vorstellungen mit der modernen Realität nicht mehr vereinbar sind. Politik pendele stattdessen stets zwischen Überschätzung und Resignation:
"So reproduziert sie Hoffnungen und Enttäuschungen und lebt davon, dass die Themen, an denen dies geschieht, hinreichend rasch ausgewechselt werden können."
Andererseits hat Luhmann die Ent - Täuschung über Politik beabsichtigt: Er möchte aufklären über die Täuschungen, die von falschen Vorstellungen herrühren und erklärt deshalb die "Soziologische Aufklärung" zu seinem Ziel. Das versucht er durch eine grundlegend neu ansetzende Sichtweise auf die moderne Gesellschaft zu erreichen. Mit Blick auf seinen Amtsantritt an der Universität Bielefeld erklärte Luhmann lapidar:
"Mein Projekt lautete damals und seitdem: Theorie der Gesellschaft;
Laufzeit: 30 Jahre;
Kosten: keine."
Niklas Luhmann, 1927 in Lüneburg geboren, also Angehöriger der desillusionierten Flakhelfergeneration, hatte zunächst Jura studiert und dann als Verwaltungsbeamter gearbeitet. 1960 ergriff er die Chance zu einem Studien-Aufenthalt in den USA. An der Harvard University lernte er den renommierten Soziologen und Systemtheoretiker Talcott Parsons kennen und begann anschließend mit der Ausarbeitung seiner eigenen systemischen Sozialtheorie.
Zunächst benötigte er eine Grundlage, von der aus er seine Beobachtungen der modernen Gesellschaft anstellen konnte. Dieses abstrakte Fundament entwickelte er in seinem Werk "Soziale Systeme" von 1984. Darin formulierte Luhmann die Begriffe, mit denen er sich anschließend verschiedenen sozialen Teilbereichen zuwendete, zum Beispiel der Wirtschaft, der Kunst, dem Recht, der Wissenschaft - und eben auch der "Politik der Gesellschaft".
Luhmanns Ausgangspunkt ist die Komplexität unserer Welt. Denn diese besteht aus derart vielen Elementen, dass von keinem Standpunkt aus mehr alle überschaut, geschweige denn miteinander in Verbindung gesetzt werden könnten. Das wiederum zwingt zur Auswahl: So muss beispielsweise jeder Mensch für sich entscheiden, was wichtig ist und was nicht, was besprochen werden soll und was unthematisiert bleiben kann.
Und dieser Zwang zur "Selektion" gilt, laut Luhmann, genauso für die unterschiedlichen Teilbereiche der Gesellschaft wie etwa Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft: Jedes dieser Teilsysteme erfüllt eine besondere Funktion und wählt mit Blick auf diese Funktion aus, was es bearbeiten will und was nicht; wofür es sich zuständig erklärt, und wofür es eben keine Verantwortung übernimmt.
Da jedes Teilsystem eine einzigartige Funktion erfüllt, gibt es für Luhmann keine Rangordnung: Die Politik steht nicht an der Spitze oder im Zentrum der Gesellschaft - derartige Vorstellungen sind für ihn lediglich Überbleibsel "alteuropäischen" Denkens. Politik kann sich zwar durchaus für Vieles interessieren, kann aber kein anderes Teil-System mehr vollständig steuern.
"Somit ist es wenig sinnvoll, dem politischen System eine gesellschaftliche Sonderposition, eine Art Führungsrolle oder eine Pauschalverantwortung für die Lösung von Problemen zuzuweisen ... Es kann nur machbare Politik machen, und die Bedingungen der Machbarkeit müssen im System selbst geregelt und gegebenenfalls geändert werden."
Diese - nicht nur für Politiker - ernüchternden Einschätzungen haben teils große Zustimmung, teils aber auch schroffe Ablehnung erfahren: Während die einen das Gesamt-Werk als Glasperlenspiel ohne Praxisbezug brandmarkten, feierten andere Luhmanns Darlegungen als Neu-Gründung der Gesellschaftstheorie auf der Höhe der Zeit.
Wie auch immer: Gerade in der jetzigen Situation, in der Politiker wieder in Versuchung geraten, sich als Retter in der Weltwirtschaftskrise zu präsentieren und ein zukünftiger US-Präsident geradezu als Messias gefeiert wird, sind derart abwägende Positionen des wohl größten Denkers des letzten Jahrhunderts vielleicht ein nützliches Korrektiv - so unambitioniert sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen.
Niklas Luhmann: Die Politik der Gesellschaft. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Frankfurt/Main 2002. Euro 14,00.
"So reproduziert sie Hoffnungen und Enttäuschungen und lebt davon, dass die Themen, an denen dies geschieht, hinreichend rasch ausgewechselt werden können."
Andererseits hat Luhmann die Ent - Täuschung über Politik beabsichtigt: Er möchte aufklären über die Täuschungen, die von falschen Vorstellungen herrühren und erklärt deshalb die "Soziologische Aufklärung" zu seinem Ziel. Das versucht er durch eine grundlegend neu ansetzende Sichtweise auf die moderne Gesellschaft zu erreichen. Mit Blick auf seinen Amtsantritt an der Universität Bielefeld erklärte Luhmann lapidar:
"Mein Projekt lautete damals und seitdem: Theorie der Gesellschaft;
Laufzeit: 30 Jahre;
Kosten: keine."
Niklas Luhmann, 1927 in Lüneburg geboren, also Angehöriger der desillusionierten Flakhelfergeneration, hatte zunächst Jura studiert und dann als Verwaltungsbeamter gearbeitet. 1960 ergriff er die Chance zu einem Studien-Aufenthalt in den USA. An der Harvard University lernte er den renommierten Soziologen und Systemtheoretiker Talcott Parsons kennen und begann anschließend mit der Ausarbeitung seiner eigenen systemischen Sozialtheorie.
Zunächst benötigte er eine Grundlage, von der aus er seine Beobachtungen der modernen Gesellschaft anstellen konnte. Dieses abstrakte Fundament entwickelte er in seinem Werk "Soziale Systeme" von 1984. Darin formulierte Luhmann die Begriffe, mit denen er sich anschließend verschiedenen sozialen Teilbereichen zuwendete, zum Beispiel der Wirtschaft, der Kunst, dem Recht, der Wissenschaft - und eben auch der "Politik der Gesellschaft".
Luhmanns Ausgangspunkt ist die Komplexität unserer Welt. Denn diese besteht aus derart vielen Elementen, dass von keinem Standpunkt aus mehr alle überschaut, geschweige denn miteinander in Verbindung gesetzt werden könnten. Das wiederum zwingt zur Auswahl: So muss beispielsweise jeder Mensch für sich entscheiden, was wichtig ist und was nicht, was besprochen werden soll und was unthematisiert bleiben kann.
Und dieser Zwang zur "Selektion" gilt, laut Luhmann, genauso für die unterschiedlichen Teilbereiche der Gesellschaft wie etwa Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft: Jedes dieser Teilsysteme erfüllt eine besondere Funktion und wählt mit Blick auf diese Funktion aus, was es bearbeiten will und was nicht; wofür es sich zuständig erklärt, und wofür es eben keine Verantwortung übernimmt.
Da jedes Teilsystem eine einzigartige Funktion erfüllt, gibt es für Luhmann keine Rangordnung: Die Politik steht nicht an der Spitze oder im Zentrum der Gesellschaft - derartige Vorstellungen sind für ihn lediglich Überbleibsel "alteuropäischen" Denkens. Politik kann sich zwar durchaus für Vieles interessieren, kann aber kein anderes Teil-System mehr vollständig steuern.
"Somit ist es wenig sinnvoll, dem politischen System eine gesellschaftliche Sonderposition, eine Art Führungsrolle oder eine Pauschalverantwortung für die Lösung von Problemen zuzuweisen ... Es kann nur machbare Politik machen, und die Bedingungen der Machbarkeit müssen im System selbst geregelt und gegebenenfalls geändert werden."
Diese - nicht nur für Politiker - ernüchternden Einschätzungen haben teils große Zustimmung, teils aber auch schroffe Ablehnung erfahren: Während die einen das Gesamt-Werk als Glasperlenspiel ohne Praxisbezug brandmarkten, feierten andere Luhmanns Darlegungen als Neu-Gründung der Gesellschaftstheorie auf der Höhe der Zeit.
Wie auch immer: Gerade in der jetzigen Situation, in der Politiker wieder in Versuchung geraten, sich als Retter in der Weltwirtschaftskrise zu präsentieren und ein zukünftiger US-Präsident geradezu als Messias gefeiert wird, sind derart abwägende Positionen des wohl größten Denkers des letzten Jahrhunderts vielleicht ein nützliches Korrektiv - so unambitioniert sie auf den ersten Blick auch erscheinen mögen.
Niklas Luhmann: Die Politik der Gesellschaft. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Frankfurt/Main 2002. Euro 14,00.