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Entdeckungen aus dem Bereich der Kammermusik

Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Ely. Herzlich willkommen zu zwanzig Minuten mit Entdeckungen aus dem Bereich der Kammermusik. Die Geigerin Christiane Edinger hat sich in den letzten Jahren immer wieder um das Werk des Brahms-Zeitgenossen Eduard Franck verdient gemacht. So spielte sie vor einiger Zeit das schöne D-dur-Violinkonzert ein, und ihr eigenes Quartett nahm im Sendesaal des Deutschlandfunks Kammermusik von Franck auf. Nun hat das Edinger-Quartett, entsprechend erweitert, bei dem Label audite zwei staunenswerte Streichsextette des späten Romantikers herausgebracht. In beiden Fällen handelt es sich um Ersteinspielungen. Dafür sind der Bratschist Leo Klepper und der Cellist Mathias Donderer zum Ensemble gestoßen; beide gehören dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin an.

Redaktion: Norbert Ely |
    Sowohl das Sextett Es-dur op. 41 aus dem Jahr 1882 als auch das D-dur-Werk mit der Nummer 50, dessen Entstehungsjahr unbekannt ist, stehen auf rätselhafte Weise außerhalb ihrer Zeit. Eduard Franck gehörte zu jenen Komponisten, bei denen die Zeitgenossen den Eindruck hatten, sie hätten sich eben doch schon zu Lebzeiten überlebt. Er stand fest auf dem Boden der Mendelssohn-Tradition. Aber - und das ist gerade bei den Sextetten das Aufregende - er entwickelte die immanenten formbildenden Tendenzen des Mendelssohn-Stils sehr konsequent weiter und fand so zu einer konservativen Alternative zur Linie Schumann-Brahms. Natürlich war das altmodisch. Doch heute erkennt man rückblickend, wie sehr dies durch einen eminent geistvollen Umgang mit der Form legitimiert wird. Und zugleich übertrifft die Musik Francks die der meisten akademischen Konkurrenten eben doch auch an Tiefe der Empfindung. Das hört man vor allem auch einem Satz wie dem Andante aus dem Sextett D-dur op. 50 an.

    • Musikbeispiel: Eduard Franck - 2. Satz 'Andante’ aus dem Streichsextett D-dur op. 50

    Das war der zweite Satz aus dem Streichsextett D-dur op. 50 von Eduard Franck in der Ersteinspielung durch das verstärkte Edinger Quartett. Nicht zu überhören ist, dass sich die Primaria Christiane Edinger eben doch schon seit längerer Zeit mit dem Oeuvre Francks auseinandergesetzt hat. Die spezifische Tonsprache des gebürtigen Breslauers, der etliche Jahr im Rheinischen verbrachte, ist ihr wirklich geläufig; jene Leichtigkeit, die auch im Ernst gewahrt sein muss, geht ihr ebenso sensibel von der Hand wie der Ernst im Leichten - die Scherzi Francks sind von schwererem Blut als die Mendelssohns und längst nicht so wild wie die Brahms’schen. Aber in den manchmal nur angedeuteten Portamenti zum Beispiel spürt man die erfahrene Virtuosin, die vom ersten Pult aus den präzisen und zugleich federnden Sextett-Klang steuert. Erschienen sind die beiden Sextette von Eduard Franck, wie gesagt, bei dem Label audite.

    Musik ganz anderer Art gibt es auf einer CD des Cellisten David Geringas zu entdecken. Es handelt sich um Werke litauischer Komponisten, die für Geringas geschrieben wurden, und zwar nach dem Jahr der großen Wende 1989. Geringas stammt ja aus Wilnius, lebt allerdings seit 1970 im Westen. Er selbst gab den fünf Komponisten Barkauskas, Kutavičius, Šenderovas, Balakauskas und Urbaitis die Aufträge. Den größten Teil der Werke spielte er mit seiner Gattin Tatjana Schatz ein, für "Dal vento" von Osvaldas Balakauskas und "Reminiscences" von Mindaugas Urbaitis wählte er den litauischen Pianisten Petras Geniušas zum Partner. Die Aufnahmen entstanden in Wilnius; die CD ist bei dem Label Dreyer-Gaido erschienen. Sie gibt auf beeindruckende Weise Auskunft über die gegenwärtigen intellektuellen und künstlerischen Tendenzen in Litauen. Die Musik ist erstaunlich frei von jeglichem Kalkül. Dafür außerordentlich kraftvoll, gelegentlich ungestüm und nach vorn gewandt. Sie schert sich wenig um Stil-Diskussionen, zitiert gelegentlich unbekümmert und präsentiert gleichzeitig ebenso unbekümmert das große Gefühl.

    Das ist natürlich auch alles als Musik für David Geringas gedacht. Die Scheibe trägt den Titel "My Recollections - meine Erinnerungen". Doch ebenso gut könnte sie den Titel tragen "My Visions - meine Visionen." Ein Ausschnitt aus "Dal vento" von Osvaldas Balakauskas, ein Werk aus dem Jahr 1999.

    • Musikbeispiel: Osvaldas Balakauskas - Dal vento für Violoncello und Klavier (Ausschnitt)

    Das war die neue Platte im Deutschlandfunk. Zum Schluss hörten Sie einen Ausschnitt aus "Dal vento" für Cello und Klavier von Osvaldas Balakauskas, gespielt von David Geringas und Petras Geniušas, entnommen der CD "My Recollections", die insgesamt sechs Werke litauischer Komponisten für David Geringas enthält und die bei dem Label Dreyer-Gaido erschienen ist. Außerdem machten wir Sie heute auf die Ersteinspielung zweier Streichsextette von Eduard Francks aufmerksam; diese CD ist bei audite herausgekommen. Am Mikrofon bedankt sich Norbert Ely für Ihre Aufmerksamkeit.

    CD 1:
    Titel: "Eduard Franck - String Sextets"
    Ensemble: Edinger Quartett, Leo Klepper, Viola/Mathias Donderer, Violoncello
    Label: audite
    Labelcode: LC 04480
    Bestell-Nr.: 97.501

    CD 2:
    Titel: "David Geringas - My Recollections”
    Solisten: David Geringas, Violoncello
    Tatjana Schatz, Klavier
    Petras Geniušas, Klavier
    Label: Dreyer-Gaido
    Labelcode: LC 11796
    Bestell-Nr.: 21012