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Enteignung jüdischer Gebäude für "Germania"

Der monströse Umbau Berlins zur "Welthauptstadt Germania" durch die Nazi-Stadtplaner wurde zwar nie vollendet, kostete aber viele jüdische Hausbesitzer ihr Eigentum. Die Ausstellung "Geraubte Mitte" im Berliner Ephraim-Palais arbeitet die Zusammenhänge zwischen Stadtumbau und Grundstücksraub in Berlin-Mitte heraus.

Benedikt Goebel im Gespräch mit Michael Köhler | 04.09.2013
    Michael Köhler: Sogenannte Entjudung - sie war während der NS-Zeit von Hamburg bis Wien, Aachen bis Dresden in deutschen Großstädten üblich. Wohneigentum wurde entzogen, "arisiert" und geraubt. Aber nicht nur Wohneigentum, Geschäfte, Kaufhäuser und anderes waren bevorzugtes Raubgut. - Ich habe Benedikt Goebel gefragt, Kurator der Ausstellung im Berliner Ephraim Palais: Sie haben sich einem besonderen Aspekt der "Arisierung" in Ihrer Ausstellung "Geraubte Mitte" zugewandt, im Berlin zwischen 1933 und 1945. Welchem genau?

    Benedikt Goebel: Wir fokussieren uns in unserer Ausstellung "Geraubte Mitte" auf den Zusammenhang zwischen dem Stadtumbau in der Nazizeit in der Berliner Mitte und der Beraubung des jüdischen Grundbesitzes, und beide hingen sehr, sehr eng zusammen.

    Köhler: Woran tun Sie das? Ich habe anhand eines Einleitungskapitels gesehen: Sie versuchen es exemplarisch an der Geschichte einzelner Familien, einzelner Straßenzüge und einzelner Grundstücke?

    Goebel: Ja. Wir zeigen den Stadtumbau im gesamten Stadtkern. Da gab es so monomentale Neubauprojekte wie die Erweiterung der Reichsbank, in der heute das Auswärtige Amt unseres Landes sitzt, oder die Reichsbank am Mühlendamm und am Molkenmarkt.

    Und die Ostachse, die Verlängerung der Westachse, das entsprechende Pendant zur Nordsüdachse Albert Speers, die ja jedem ein Begriff sein dürfte. Es gab auch noch ein Altstadtforum, ein Forum der Stadt Berlin, das mitten in der Altstadt ganze Häuserblöcke unter sich begraben hat, und wir zeigen all diese Umbauten.

    Und von dem jüdischen Grundbesitz - der war ja recht gleichmäßig verteilt über diesen ganzen Stadtkern. Der Stadtkern in Berlin umfasste 1200 Häuser. von den 1200 Häusern waren exakt 225 in jüdischem Besitz im Jahre 1933 und im Laufe der nächsten zehn Jahre haben alle jüdischen Eigentümer ihren Besitz verloren - großteils an den Staat, ein kleinerer Teil an private Aviseure.

    Köhler: Was haben diese Grundstücke mit dem Stadtumbau zu tun? Was änderte die Machtergreifung des Jahres 1933 auf dem Weg zur Welthauptstadt Germania?

    Goebel: Im gesamten Deutschen Reich, in allen besetzten Gebieten mussten alle Juden all ihren Besitz hergeben. Wir fokussieren hier aber auf einen besonderen Bereich, in dem die normale Habgier der privaten christlichen Deutschen nicht so zum Tragen kam, sondern der Raubmord des Deutschen Reiches, des Staates selbst an den jüdischen Mitbürgern. In diesem zentralen Bereich Berlins wollte das Deutsche Reich mehrheitlich Verwaltungsgebäude errichten, Verwaltungsgebäude für den Oberfinanzpräsidenten, für die Industrie- und Handelskammer, für Dienststellen des Magistrats von Berlin. Und für diesen Stadtumbau im Rahmen der Germania-Planung Albert Speers wurden sozusagen die jüdischen Grundstücke als erstes herangezogen. Die jüdischen Grundeigentümer waren der schwächste Teil der gesamten Grundbesitzeigentümer, und deswegen mussten sie als Erstes ihren Besitz hergeben.

    Köhler: Weil im Zuge der Gesetze zur "Arisierung" und der Entrechtung und so weiter das ja dann auch zunehmend "leichter" fiel.
    Eins ist mir noch unklar: Sprechen Sie von bebauten, oder von unbebauten Grundstücken?

    Goebel: Im Jahre 1933 waren alle Grundstücke der Berliner Altstadt bebaut. Von diesen 1200 Häusern haben etwa 60 den Krieg überlebt. 1140 Häuser sind zerstört worden im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit. Durch diesen gewaltigen Aderlass an Bebauung ist es auch so, dass von den 225 ehemals jüdischen Häusern nur noch 15 stehen und 210 Grundstücke, die ehemals bebaut waren und Juden gehörten, sind heute unbebaut.

    Köhler: Herr Goebel, gab es - und das ist, glaube ich, auch eine wichtige Stoßrichtung Ihrer Ausstellung - nach Ende des Zweiten Weltkrieges oder sogar noch später, nach der Wiedervereinigung so etwas wie eine Wiedergutmachung dafür?

    Goebel: Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten nur in Westdeutschland Anträge auf Entschädigung für verlorenes Grundeigentum gestellt werden.

    In Ostberlin ging das nicht, weder für die Verfolgten oder ihre Erben, die in der DDR wohnen blieben, was ein sehr kleiner Teil war, noch für die, die im Ausland lebten, in Westdeutschland, in den USA oder Israel. Innerhalb der DDR war das so, ganz drastisch formuliert vom Finanzministerium der DDR, dass die "Arisierung" des jüdischen Eigentums nur ein Vorgriff auf die Verstaatlichung, Sozialisierung allen Privateigentums darstellt. Das änderte sich dann 1990, nach der Wiedervereinigung.

    Da ist dieser Grundeigentumsverlust entschädigungsfähig. Es gilt die offiziell ausgegebene Parole Rückgabe vor Entschädigung. Die Praxis sah genau gegenteilig aus. Von diesen unbebauten Grundstücken in der Berliner Mitte sind 1,4 Prozent zurückgegeben worden und 98,6 verblieben im Besitz des Landes Berlin.

    Köhler: ..., sagt Benedikt Goebel, Stadthistoriker und Kurator zur Ausstellung im Berliner Ephraim Palais über "Geraubte Mitte".


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.