Freitag, 29. März 2024

Archiv


Entfremdung innerhalb der Familie

In den Romanen von Jo Kyung Ran ist der Abbruch von menschlichen Beziehungen ein Schlüsselthema für ihre literarische Welt. Die Entfremdung innerhalb der Familie ist in ihrem ersten Roman "Zeit zum Toastbacken" sehr intensiv dargestellt: Anstelle von Liebe bindet ein schwer durchschaubares Systen die unversöhnlichen Familienmitglieder aneinander.

Von Astrid Nettling | 05.12.2005
    "Es gibt eine schöne Geschichte: Ein Mann dachte, er sei ein Spiegelei, und deswegen konnte er sich niemals hinsetzen, weil er Angst hatte, dabei kaputt zu gehen. Dann suchte er einen Arzt auf, und der gab ihm den Rat, er solle immer ein Stück Toast bei sich haben, und wenn er sich setzen wolle, sollte er sich darauf setzen. Seitdem konnte er sich überall hinsetzen – für mich ist das Schreiben so etwas wie ein Stück Toast."

    Erzählt Kyung Ran Jo, die der jüngeren Autorengeneration Koreas angehört, nicht ohne Augenzwinkern. Ein passendes Gleichnis ist es auf jeden Fall, trägt doch ihr erster, auf Anhieb preisgekrönter Roman den Titel "Zeit zum Toastbacken". 1996 in Korea veröffentlicht, ist er jetzt auch auf Deutsch erschienen. Was aber hat es mit dem Toast und dem Toastbacken auf sich? Unter diesem zunächst harmlos klingenden Titel geht es um vier Jahre im Leben der Ich-Erzählerin Yochin, einer jungen Frau, die sich ihrem dreißigsten Lebensjahr nähert und seit einiger Zeit einen Backkurs belegt hat, um sich als Bäckerin ausbilden zu lassen.

    Auch dies ist, von außen betrachtet, nicht sonderlich spektakulär, so unauffällig wie auch ihr sonstiges Leben, das sie mit ihrem verschlossenen Vater und der ungeliebten Tante teilt, die seit dem Tod der Mutter bei ihnen lebt. Umso bemerkenswerter dagegen die Innensicht der Ich-Erzählerin, durch die der Leser nach und nach ihre Lebenswirklichkeit kennen lernt, die sich immer mehr als von ausgesprochen verstörender Beschaffenheit erweist und der Protagonistin längst jede Grundsicherheit im Leben und für das Leben genommen hat.

    Yochins Überlebensstrategie lautet deshalb: Rückzug aus der Welt und auf sich selbst, bei dem ihr fragiles Ich gleichsam Platz nimmt an ihrem inneren Fenster, durch das sie die Heillosigkeit der Außenwelt umso genauer beobachten und reflektieren kann.

    Kyung Ran Jo erweist sich bereits in ihrem ersten Roman als wahre Meisterin solch distanzierter Durchsichten. Mit akribischer Aufmerksamkeit und feiner Sensibilität vermag die Autorin auf diese Weise, den scheinbar belanglosen Angelegenheiten des Lebens wie dem Backen, Wohnen, dem Essen, Baden, Taxifahren ungeahnte Dimensionen abzugewinnen und die zum Teil bedrohlichen Untiefen sichtbar zu machen, die im heutigen Korea nicht zuletzt durch eine sich teils überschlagende Moderne sowie das Auseinanderbrechen traditioneller Beziehungsformen unter der vermeintlich intakten Oberfläche menschlichen Miteinanders schlummern.

    Das alles ist in gekonnt knapper, pointierter Prosa geschrieben, verhaltenen Tonfalls, introvertiert, leise und in beiläufig distanzierter Sprechweise, mit der die Ich-Erzählerin von ihrem inneren Fenster aus – gleichsam am Nullpunkt menschlicher Kommunikation – über ihre Erfahrungen berichtet. Am Nullpunkt ebenso ihrer bisherigen Lebensbezüge, wenn Yochin nicht nur den Verlust einer Liebesbeziehung zu verschmerzen hat, sondern ebenso den Selbstmord ihres Vaters sowie am Schluss des Romans die Tatsache, dass die ungeliebte Tante, die Schwester ihrer verstorbenen Mutter, ihre eigentliche Mutter ist.

    "Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah zum Fenster hinaus. Meine Mutter war an einer Krankheit gestorben. Mein Vater hatte mich verlassen, indem er sich das Leben nahm. Nun galt es, den letzten Schritt zu tun und sich von der Frau zu verabschieden, die da vor mir saß. Wie sie gesagt hatte, musste ich mich ohnehin darauf einstellen, mich von nun an ganz alleine um meine Angelegenheiten zu kümmern. Es war kurz nach drei, als ich aufstand und ging."

    Gleichwohl stellt dies keinen Endpunkt dar, denn für Yochin ist es jetzt "Zeit zum Toastbacken", d.h. Zeit, durch die Eröffnung einer Bäckerei, die selbstbewusst ihren eigenen Namen tragen soll, ein größeres Fenster zum Leben hin aufzumachen und wieder eine Verbindung mit ihrer Um- und Mitwelt herzustellen.

    "Dass die Protagonistinnen in meinen Erzählungen und Romanen entweder Brot backen oder einen Schöpflöffel besitzen möchten, ist ein Versuch, mit der Welt zu kommunizieren. Ich glaube, es ist eine Aufgabe der Autoren, zwischen den Individuen eine Kommunikation herzustellen, nicht eine Schlussfolgerung zu ziehen. Und meine Erzählungen und Romane haben zwar meistens ein trauriges Ende, aber das besagt nicht, dass es nur eine tragische Geschichte ist, sondern ich lasse immer eine Hoffnung am Ende offen. Zum Beispiel durch die Wärme eines Brotes oder durch den Duft von einem Brot, das könnte eine Hoffnung symbolisieren. Also, wenn man ein Licht fotografieren will, braucht man eine Dunkelheit als Gegensatz, um eine Hoffnung darzustellen, braucht man vorher eine Darstellung des Unglücks. "