Zig Jahre alte Schränke, Tische. Kisten voller Schlüssel, Beschläge, Scharniere. Der Laden nahe dem Bahnhof Ludwigshafen riecht nach Patina. An diesem Morgen kommt ein älterer Herr in das weiträumige Geschäft mit den alten Möbeln. Er kauft einen Bildband aus den 60ern, aus einem ganzen Stapel davon. Der grauhaarige Billy Hutter, lässig in Sweatshirt und Schnürstiefeln, wie ein Rockfan, stimmt mich gleich ein aufs Grundthema: Überall nur Wehmut. Gerade bei solchen Sammlern!
"Die gehen seit Jahren auf alte Flohmärkte und suchen nach der alten Postkarte von Neustadt, und wenn sie ein bisschen Geld haben, könnten sie das in einem Abend im Netz erledigen. Denen wird ja das Leben zerstört durch Ebay, ja!"
Hutter entrümpelt seit 30 Jahren. Und findet dabei immer wieder dasselbe, vor allem Zeitungsausschnitte. "Todesanzeigen von Verwandten beispielsweise... Das ist der Kennedymord, das von Kaiserslautern gegen Bayern..."
Was finanziellen Wert hatte, haben die Verwandten meist mitgenommen. Und die ideellen Perlen kann Hutter kaum vom Alltagskram unterscheiden, wenn er eine Wohnung betritt, erzählt er. Skurrile Schätze und Hobbys aber fallen immer ins Auge.
"Schäferhundekram: als Leistungsschauplaketten, Porzellanfigürchen... Ein Leben für den Schäferhund! Das war ganz deutlich, ja. Eine Mappe, da finden Sie die Versicherungsschäden der Ludwigshafener Straßenbahnen von den 20er- und 30er-Jahren. Einmal geht es um ein totgefahrenes Schwein, beispielsweise..."
Früher gab's mehr Nippes
Das, was zurückbleibt, hat sich gewandelt: Früher gab es wenige, dafür besondere Fotos von Autos, Urlauben und Familienfesten. Heute seien die Wohnungen geordneter, weniger zugemüllt mit Nippes.
"Glatte Oberflächen, weiße Wände... Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Leute sehr viel häufiger ihr Lebensumfeld wechseln."
Gerade Möbel vererben sich deshalb nicht mehr weiter – auch Billy Hutter gab irgendwann den Küchentisch seiner Oma weg. Wegwerfgesellschaft, vielleicht der Wohlstand, vermutet er. Viele Angehörige können sich auch um nichts kümmern.
"Also einerseits ist es schon relativ häufig so, dass Verwandte weit entfernt wohnen. Oder dass etwas Dramatisches passiert ist, Selbstmord, und man mag sich nicht drum kümmern."
Vier bis fünf Koffer eines Verstorbenen jedoch faszinierten Billy Hutter besonders: Karlheinz. Ein Bewahrer, dessen ganzes Leben Billy Hutter rekonstruieren konnte: Hitlerjugendurkunde, Impfschein, Zeugnisse, Schulaufsätze, Familiendias zeigen einen verschlossenen, ewigen Junggesellen, der heimlich Pornos schaute, bei Mutti wohnte und die Welt durchs Horten beherrschbar machte.
"Karlheinz war ein pünktlicher Mensch, 5 bis 6 Wecker liegen da im Koffer..."
"Was hat der Mann mit 30 Regenmänteln gemacht, weil er sie noch nicht mal ausgepackt hatte..."
Billy Hutter veröffentlichte jüngst sogar ein Buch über Karlheinz. Man fragt sich beim Lesen bang, wie das eigene Leben aussähe, rekonstruierte jemand es aus dem, was in diesem Augenblick zurückbliebe. Möglicherweise hat ihm Karlheinz am Ende Kontinuität gegeben inmitten dieses ständigen Zerstörens, wie er seinen Beruf einmal nennt: Das Meiste landet auf dem Müll.
Und am Ende – muss auch Billy Hutter gehen. Irgendwann nach diesen Schubladen, die er nachbaut.
"Das ist das vorletzte Stück, das ich in meinem Leben bearbeiten werde, ein Tischlein aus den 20ern..."
Denn zum Ende des Jahres macht Billy Hutter seinen Laden dicht. Die Preise haben sich durch das Überangebot in den vergangenen 15 Jahren halbiert. Sein Beruf erscheint ihm plötzlich selbst vergänglich.
"Der Entrümpler entrümpelt sich natürlich selbst. Das ist eher ein Gefühl der Befreiung. Ich freue mich, wenn der Raum leer ist. Wenn ich die Tür zuschließen kann."
Und dann? Was bleibt? Zumindest kein Trödel. Sein Job hat ihn gelehrt, sich auf das Wichtigste zu konzentrieren.
"Ich hab' zu Ordnung gefunden. Irgendwann hatte ich mal 5.000 Bücher zu Hause. Jetzt habe ich noch 500, das sind die wichtigen. "
Viele Bücherschätze hat er in der Arbeiterstadt Ludwigshafen sowieso nicht gefunden: Kitschromane, veraltete Lexika, BASF-Bildbände hatte er zu Hunderten, vereinzelt "Nazischeiß". Am Ende kommt alles weg. Der Entrümpler rettet die Dinge nicht für die Ewigkeit, er hält die Dinge nur kurz fest.