Freitag, 29. März 2024

Archiv

Entschädigung für NS-Raubgut
Historische Ohrfeige

Zum ersten Mal seit ihrer Gründung hat die so genannte "Limbach-Kommission" eine Besitzerin von mutmaßlichem NS-Raubgut aufgefordert, ihre Entscheidung zu befolgen. Bei dem Fall geht es um eine wertvolle Guarneri-Geige.

Von Stefan Koldehoff | 19.01.2021
eine Geige in Großaufnahme, die gerade gespielt wird.
Die Limbach-Kommission erwartet die Entschädigung der Vorbesitzer für den Entzug einer Geige (picture alliance / dpa / Adamek Ladislav)
Schon 2016 hatte die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz" entschieden, dass es sich bei dem Musikinstrument im Besitz der "Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung" um NS-Raubgut handele. Der ehemalige Besitzer, der Speyerer Musikalienhändler Felix Hildesheimer hatte sich als verfolgter Jude im August 1939 das Leben genommen. Seiner Witwe war vor der drohenden Deportation in ein Vernichtungslager die Flucht aus dem französischen Internierungslager Gurs gelungen. Ihr Hab und Gut wurde von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert, so die Kommission.
"Angesichts dieser Tatsachen ist nicht ersichtlich, wie Felix Hildesheimer die Geige auf eine Weise verloren haben könnte, die heute nicht zur Restitution verpflichten würde", erinnert die Kommission nun noch einmal. "Die Beratende Kommission ist in ihrer Empfehlung deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Geige um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut … handeln müsse."

Entschädigung nicht gezahlt

Die Stiftung, deren Mitgründerin Sophie Hagemann das Instrument 1974 erworben hatte, sollte nach der Entscheidung der Kommission die Erb*innen von Felix Hildesheimer mit dem Marktwert von 150.000 Euro – abzüglich 50.000 €, die die Stiftung für eine Restaurierung aufgewendet hatte – entschädigen. Mit diesem Vorgehen hatten sich beide Seiten einverstanden erklärt. Trotzdem habe die Stiftung "bis heute die empfohlene Entschädigungszahlung an die Erben weder ganz noch teilweise geleistet", stellt die Beratende Kommission nun fest – und äußert sich damit zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu einem eigentlich abgeschlossenen Fall. Das Gremium gilt Kritiker*innen als nicht besonders durchsetzungsstark.
Die Limbach-Kommission, offiziell die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, beschäftigt sich auf Bitten von Betroffenen mit Fragen der Restitution von Raubkunst. Ihren Namen erhielt sie nach dem ihrer ersten Vorsitzenden, der inszwischen gestorbenen Jutta Limbach. Sie wurde 2003 gegründet als Schlichtungsstelle im Sinne der Washingtoner Erklärung. Die Kommission ist unabhängig, kann aber nur tätig werden, wenn auch die Besitzer möglicher Raubkunstobjekte einer Untersuchung zustimmen. Ihre Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend. Mehrfach gab es Forderungen nach einer Ausweitung der Kompetenzen der Kommission.
"Ihr Unvermögen hat die Hagemann Stiftung zunächst mit stiftungsrechtlichen Schwierigkeiten begründet", heißt es nun aber erstaunlich offen und kritisch. "Es ist jedoch nicht zu erkennen, inwieweit die Hagemann Stiftung gegenüber der Stiftungsaufsicht den ernsthaften Willen zum Ausdruck gebracht hat, der Empfehlung der Beratenden Kommission nachzukommen. Auch andere Wege, die Entschädigungssumme aufzubringen, wurden nicht mit der gebotenen Anstrengung verfolgt. Außerdem änderten angebliche neue Erkenntnisse, nach denen Felix Hildesheimer nicht 1937, sondern erst 1939 sein Geschäft habe verkaufen müssen, nichts an der Einschätzung:
"Die Hagemann Stiftung sieht sich deshalb dazu berechtigt, keine Anstrengungen zur Umsetzung der Empfehlung mehr zu unternehmen. Damit setzt sie sich nicht nur in Widerspruch zu den geltenden Grundsätzen zur Restitution von NS-Raubgut, wie sie in den Washington Principles und der Handreichung niedergelegt sind, sondern ignoriert auch den gesicherten Kenntnisstand über das Leben im nationalsozialistischen Deutschland, insbesondere nach dem 9. November 1938."

Kritik auch den Behörden

Kritik äußert das Gremium auch den zuständigen Aufsichtsbehörden: "Die Beratende Kommission bedauert, dass sich keine der beteiligten öffentlichen Institutionen dazu imstande gesehen hat, die Hagemann Stiftung zu veranlassen, der Empfehlung der Beratenden Kommission Folge zu leisten, und sie dabei zu unterstützen. Der Erbengemeinschaft, deren deutsche Vorfahren unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwerer Verfolgung ausgesetzt waren, wird seit vier Jahren der Eindruck vermittelt, einer Wiedergutmachung historischen Unrechts stünden in Deutschland politischer Unwille und bürokratische Hürden im Weg. Dass die Hagemann Stiftung dabei unverändert für sich in Anspruch nimmt, ihr Umgang mit der Angelegenheit mache die Geige zu einem "Instrument der Verständigung", hält die Beratende Kommission für besonders unangebracht."