NS-Raubkunst
Beratende Kommission für Rückgabe von NS-Raubkunst wird neu aufgestellt

Die "Limbach-Kommission" soll sich um die Rückgabe von Kulturgütern kümmern, die von den Nationalsozialisten – vor allem aus jüdischem Besitz – entzogen wurden. Diese Beratende Kommission soll nun grundlegend reformiert werden.

    Eine junge Frau betrachtet "Madame Soler" von Pablo Picasso.
    Berühmter Streitfall, wenn es um NS-Raubkunst geht: "Madame Soler" von Pablo Picasso. (Picture Alliance / Felix Hörhager)
    Die Rückgabe von Raubkunst an ihre ursprünglichen Besitzer gewinnt weltweit immer mehr an Bedeutung. Zuletzt war das Thema durch die internationale Debatte rund um die Restitution der Benin-Bronzen an Nigeria in aller Munde. Während der NS-Zeit hat der deutsche Staat etwa 600.000 Kunstwerke aus überwiegend jüdischem Besitz gestohlen. Wollen die Nachfahren der ehemaligen Besitzer die Werke aus öffentlichen Einrichtungen in Deutschland zurückfordern, das Museum weigert sich aber, müssen sie sich an die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, wenden.
    Seit Jahren fordern Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland eine Reform des 2003 gegründeten Gremiums. Ihr größter Kritikpunkt: Die Beratende Kommission darf nur tätig werden, wenn auch das betroffene Museum der Provenienzforschung, also der Bestimmung der tatsächlichen Herkunft eines Kunstwerks, zustimmt. Die Angeklagten durften bislang so selbst entscheiden, ob über sie geurteilt werden darf oder nicht.
    Nun soll die Reform endlich kommen. Das haben nach Informationen des Deutschlandfunks die Kulturminister der Länder und die Behörde von Kulturstaatsministerin Claudia Roth am Mittwoch in Berlin beschlossen. Im Oktober sollen die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder dies bestätigen.

    Überblick

    Was ist die Aufgabe der Beratenden Kommission?

    Die Beratende Kommission soll bei strittigen Fällen von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken, die sich heute in öffentlichen Museen befinden, eine Empfehlung aussprechen. Am Ende eines solchen Verfahrens soll eine "gerechte und faire Lösung" stehen. Dies fordert seit 1998 die Selbstverpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen, die in Deutschland die öffentlichen Museen betreiben.
    Die erste Kommissionsvorsitzende war die 2016 verstorbene frühere Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach. Daher wird das Gremium bis heute auch "Limbach-Kommission" genannt.
    Zurzeit ist sie ein zehnköpfiges Gremium, deren Mitglieder ehrenamtlich tätig sind. Sie werden von der Kulturstaatsministerin im Einvernehmen mit der Kultusministerkonferenz und den kommunalen Spitzenverbänden ernannt.

    Was sind die Hauptkritikpunkte an der Beratenden Kommission?

    Die Kommission darf bislang nur tätig werden, wenn auch das betroffene Museum zustimmt. Vor allem jüdische Familien mussten deshalb vor deutschen Schreibtischen zum Teil jahrelang darum bitten, dass ihr Verfolgungsschicksal anerkannt und über die ihnen gestohlenen Bilder gesprochen wurde. Nur wenn der Träger – Bund, Länder oder Kommunen – sein Einverständnis gab, wurde ein Verfahren eröffnet. Manche NS-Verfolgte erlebten deshalb nicht mehr, dass sie ihr ehemaliges Eigentum zurückerhielten.

    Intransparentes Verfahren

    Die Verfahren waren lange Zeit intransparent. Anhörungen fanden hinter verschlossenen Türen statt. Dokumente, auf denen Empfehlungen beruhen, wurden bis heute nicht veröffentlicht. Die Begründung: Datenschutz. Es gab auch Fälle, bei denen der berechtigte Eindruck entstehen konnte, ein Urteil habe schon vor Beginn des Verfahrens festgestanden. Dadurch wurde das Vertrauen in die Kommission und ihre Unabhängigkeit nachhaltig beschädigt.
    Durch öffentlichen Druck aus dem In- und Ausland hat sich die ablehnende Einstellung seitens der Museen und ihren Trägern gegenüber der Kommission zwar zum Positiven verändert. Doch es gibt immer noch prominente Fälle wie das Picasso-Gemälde "Madame Soler". Dieses ist im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München.

    Bayerns Umgang mit jüdischen Nachfahren

    Die Nachfahren der Bankiersfamilie Mendelssohn sehen sich als rechtmäßige Besitzer und sagen, es wurde gestohlen. Bayern betrachtet es jedoch nicht als NS-Raubkunst, deshalb ruft das Land die Kommission nicht an. Bei einer internationalen Konferenz in Washington und einer Anhörung des Bundestags-Kulturausschusses wurde kürzlich erneut massive Kritik daran geübt.
    Oft zitiert wird, dass die Kommission seit ihrem Bestehen erst über 23 Fälle entschieden hat. Allerdings gibt es zahlreiche Fälle, die stillschweigend geklärt wurden, dank der Hilfe von Provenienzforscherinnen und -forschern in den Museen selbst.

    Welche Neuerungen wird es bei der Beratenden Kommission geben?

    Die Kommission soll zukünftig von sich aus eigene Verfahren einleiten können, damit solche Weigerungen wie im Fall "Madame Soler" nicht mehr zur Blockade der Provenienzforschung und der etwaigen Rückgabe führen. Eine Neuaufstellung wird auch eine personelle Neubesetzung nach sich ziehen: transparent, mit mehr Fachleuten und weniger Politikerinnen und Politikern. Eine zweite Instanz kann künftig die Empfehlung der Kommission überprüfen.
    Vor allem aber wird die neue Beratende Kommission Vertrauen zurückgewinnen müssen. Ein großes Problem kann aber auch sie nicht lösen: Wie geht dieses Land der Täter mit jenen gestohlenen Kunstwerken um, die sich nicht in Museen befinden – sondern in privaten Sammlungen? Für die nämlich sind in Deutschland alle Rückgabefristen seit Jahrzehnten abgelaufen.

    sko / pj