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"Entscheidende Akteure fehlen"

Der Vorsitzende des Deutschen Kulturrates, Max Fuchs, hat das Fehlen der kulturellen Bildung auf der Agenda des Bildungsgipfels in Dresden bemängelt. Es gehe lediglich um berufliche Qualifikation im Bereich Mathematik, Naturwissenschaft und Technik. Dabei wisse man aus den PISA-Studien, dass die besten Schulen in Deutschland "ausgesprochene Kulturschulen" gewesen seien.

Max Fuchs im Gespräch mit Lothar Guckeisen | 16.10.2008
    Lothar Guckeisen: Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Leider gilt das oft auch für groß angekündigte Veranstaltungen. Zu welcher Kategorie der Bildungsgipfel nächste Woche in Dresden gehört, das muss man abwarten. Jedenfalls wird schon lange vor dem Treffen von Bundeskanzlerin, Ministerpräsidenten und Bundesbildungsministerin über die Konferenz diskutiert, und es wird auch kritisiert. Prof. Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrates, Sie gehören zu den Kritikern. Was bemängeln Sie denn, was fehlt Ihnen an der Konzeption des Treffens?

    Max Fuchs: Ja, zunächst hatten wir uns mal gefreut, dass die Kanzlerin Bildung zur Chefsache macht. Jetzt heißt das auch Bildungsgipfel, und wir dachten, all das, was über Bildung in den letzten Jahren zum Teil auch sehr gut diskutiert worden ist, findet sich zumindest ansatzweise wieder. Dazu gehört, dass all die, die für Bildungspolitik zuständig sind, unmittelbar in der Praxis auch dabei sind. Auf Bundesebene heißt das etwa, dass auch die Jugendministerin, die ja gerade für Frühförderung eine große Zuständigkeit hat, die für außerschulische Jugendbildung eine Zuständigkeit hat, mit an diesen Tisch gehören würde. Es würde dazugehören, dass die Kommunen, die ja ganz entscheidend als Schulträger auf lokaler Ebene als Träger der Jugendhilfe, als Träger der Kulturarbeit eine ganz entscheidende Rolle spielen, mitdiskutieren müssen. Und ein erster großer Mangel ist, dass entscheidende Akteure bei all dem, was man über Bildung sagen müsste, die auch Geld investieren müssten, einfach hier fehlen. Die zweite vertane Chance ist, dass es doch eine absolute Engführung gibt. Es steht zwar Bildungsgipfel drüber, aber letztlich geht es doch nur um diese Qualifikationskampagne des Bundesbildungsministeriums. Die hat ja für sich auch ihre Berechtigung. Nur wenn das jetzt unter Bildung verkauft wird, ist das ein Taschenspielertrick, da wird ein Begriff verwendet, der auf dieses schmale Segment, was da diskutiert werden soll, nicht mehr passt. Und von daher sind wir mehr als enttäuscht, denn Bildung ist Koproduktion, und alle Koproduzenten müssten dann auch zusammen diskutieren, müssen auch sagen, was sie bereit sind auszugeben.

    Guckeisen: Nun kann man ja sagen, die Stellungnahmen oder die Haltungen der einzelnen Akteure, die Sie angesprochen haben, die sind ja bekannt, die kann man ja bei so einem Gespräch auch berücksichtigen. Die Frage ist nur, wird das getan und gilt das gerade für den Bereich, den Sie vertreten? Wie ist das denn mit der kulturellen Bildung, ist das Thema auf dem Gipfel?

    Fuchs: Soweit ich weiß, findet kulturelle Bildung überhaupt nicht statt, sondern es geht um berufliche Qualifikation, es geht um Nachwuchskräfte im Bereich Mathematik, Naturwissenschaft und Technik, alles sehr sinnvoll. Aber man vermisst beispielsweise deswegen kulturelle Bildung, weil man weiß, man kann Schulen, die ja wirklich in einer schwierigen Lage sind heute, nur dann auch gut profilieren, wenn sie deutlich einen kulturellen Arbeitsschwerpunkt haben. Wir wissen aus den PISA-Studien, dass die besten Schulen in Deutschland ausgesprochene Kulturschulen waren. Auch hier gibt es auf Bundesebene etwa in dem Wettbewerb "Mixed Up", wo Frau von der Leyen die Schirmherrin ist, sehr gute Beispiele, wo man zeigen kann, es geht nicht bloß um das enge Feld einer Kompetenzvermittlung in diesem Bereich der Künste, sondern das strahlt aus auch in all die anderen Problemlagen, die wir ja im Bildungswesen haben, und das fehlt komplett.

    Guckeisen: Es gibt ja einen Lichtblick, wenn man gerade auf den Ganztag blickt, da sind ja auch viele Künstler aktiv im Ganztag nachmittags, da wird gesungen, getanzt, Theater gespielt. Ist das eine Chance, eine positive Veränderung?

    Fuchs: Natürlich, deswegen fällt der Bildungsgipfel ja auch auf den aktuellen nicht bloß Diskussionsstand, sondern auch den Stand in der Praxis hoffnungslos zurück. Ich dachte, die Kanzlerin, die hatte ja nun auch eine Bildungsreise gemacht, hat sich ja auch viele Bildungsorte angeschaut und wurde dort ja auch immer Zeugin, wie gut so was funktioniert. Dass das nun überhaupt nicht hier erwähnt wird, also dass es auch noch nicht einmal ein Ertrag der Bildungsreise ist, wo die Kanzlerin Erfahrungen gemacht hat über das aktuelle Bildungsleben in Deutschland, das ist eine Enttäuschung. Es gibt übrigens noch eine andere ganz empfindliche Sache. Ein Aspekt ist ja auch der der Integration, wie man ohne Kulturarbeit, ohne Berücksichtigung kultureller Bildung, interkulturelle Arbeit in den verschiedenen Bildungsorten machen will, ist mir völlig unklar. Und noch eigenartiger ist es, quer durch alle Parteien hat man den Bericht der Enquetekommission verabschiedet, das hat es ja ganz selten gegeben, dass es einen solch großen Konsens bei einem Problem gegeben hat. Das Kernstück dieses Enqueteberichts, kann man fast sagen, ist kulturelle Bildung. Von daher muss ich mich auch fragen, warum beispielsweise auch der Kulturstaatsminister, der ja nun sein Büro fast neben der Kanzlerin hat, nicht auch dafür gesorgt hat, dass genau dieses sein ureigenstes Feld dort irgendwo eine zumindest Randrolle spielt. Es taucht so in der Form gar nicht auf, und das ist einfach die verpasste Chance.

    Guckeisen: Sie haben ja beklagt, entscheidende Akteure sitzen nicht mit am Tisch. Tun wir mal so, es wäre anders, Sie würden mit am Tisch sitzen. Was würden Sie denn dort vertreten, was wäre für Sie ganz wichtig? Essenziell, ganz kurz zusammengefasst, was wären Ihre Wünsche, gerade für Ihren Bereich?

    Fuchs: Na ja, die guten Ansätze, die es gibt, nämlich die positive Rolle, die Kultur in den verschiedenen Bildungsorten spielt, die braucht natürlich auch Ressourcen. Man muss da auch über Geld reden. Man muss davon reden, dass die Länder, mit denen wir ja gerne verglichen werden würden, wie Schweden, was die Bildungsausgaben betrifft, etwa um eine Erhöhung von 40 Prozent der Bildungsausgaben, und zwar nicht bloß in der Schule, sondern auch im außerschulischen Bereich, im Bereich der Früherziehung nach sich ziehen müssten. Dafür müsste man kämpfen. Man müsste für die Qualifizierung der Mitarbeiter in dem gesamten Bildungsbereich kämpfen. Und was ganz aktuell ist: Wir haben ja jetzt ein Milliardenpaket zur Stützung des Finanzsektors. Dieser Finanzcrash, der wird natürlich auch Auswirkungen haben auf die Kultur- und Bildungsarbeit vor Ort. Also die ganzen Stiftungen signalisieren jetzt natürlich, dass die Erträge dort, weil die ja ihre Gewinne auch eben von Spekulationen bekommen, aus Wertpapiererträgen, dass die natürlich auch zurückgehen. Das heißt, es gibt auch Schädigungen des Kultur- und Bildungsbereichs, und man müsste einfach jetzt auch noch mal die Forderung erheben, dass diese sogenannten Kollateralschäden dieses Finanzcrashs mit erheblichen Auswirkungen auf Kultur und Bildung zumindest kompensiert werden müssten.

    Guckeisen: In "Campus & Karriere" Prof. Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrates. Danke!