Freitag, 19. April 2024

Archiv

Entscheidung im Fall Gurlitt
Das Kunstmuseum Bern nimmt die vererbte Sammlung an

Mehr als zwei Jahre nach dem Schwabinger Kunstfund gibt es endlich eine Entscheidung: Unter Raubkunstverdacht stehende Werke bleiben in Deutschland, der Rest geht nach Bern. Damit seien - fast - alle Fragen beantwortet, meint Kulturredakteur Stefan Koldehoff.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Karin Fischer | 24.11.2014
    Das Kunstmuseum in Bern von außen.
    Das Kunstmuseum Bern will das Erbe von Cornelius Gurlitt annehmen. (picture alliance / dpa - Gian Ehrenzeller)
    Karin Fischer: Das Kunstmuseum Bern hat erklärt, die Erbschaft anzutreten. Über den Nachlass von Cornelius Gurlitt gibt es einen Vertrag zwischen Berlin, München und Bern. Die Bundesregierung betont bei all dem ihre moralische Verantwortung. Das ist das Ergebnis einer über zwei Jahre währenden, überaus heiklen Prozedur, bei der alle Beteiligten nicht nur gut aussahen: Die Staatsanwaltschaft Augsburg, weil sie die Beschlagnahme der Sammlung Gurlitt geheim hielt. Der Sohn von Hildebrand Gurlitt, weil er wie der Zwerg Alberich über seinen Schatz wachte. Die Bundesregierung, weil ihre Taskforce viel zu langsam überhaupt reagierte. Seit Monika Grütters Kulturstaatsministerin wurde, hat die Sache an Fahrt aufgenommen und mit dem heutigen Tag wird wohl das vorläufige Ende des Falls Gurlitt eingeläutet. Frage an meinen Kollegen Stefan Koldehoff, der heute in Berlin für uns dabei war: Ist jetzt alles gut?
    Stefan Koldehoff: Na ja, es ist jedenfalls alles auf dem richtig guten Wege. Das muss man schon sagen. Bern hat erklärt, dass man das Erbe annimmt. Deutschland hat erklärt, dass man die finanzielle und die moralische Verantwortung übernimmt, sprich die Aufarbeitung weiter bezahlt, aber auch etwaige Rechtshändel, wenn denn jemand das Kunstmuseum Bern auf Herausgabe von Werken verklagt. Damit sind eigentlich die meisten Fragen beantwortet.
    Einige allerdings bleiben noch offen, beispielsweise: Was macht das Kunstmuseum Bern mit den Werken der entarteten Kunst, die ja nicht jüdischen Sammlern gestohlen worden sind, sondern 1937/38 aus deutschen Museen entfernt wurden. Und es ist eigentlich auch immer noch ungeklärt, was denn mit der Familie Gurlitt, mit einem Teil der Familie Gurlitt ist, die erklärt hat, man möchte gerne prüfen lassen, ob das Testament denn überhaupt rechtskräftig zustande gekommen ist.
    Ohne Wenn und Aber
    Fischer: Dann lassen Sie uns noch mal in die Einzelheiten gehen, Herr Koldehoff. Das Kunstmuseum Bern ist eine private Stiftung. Es will NS-Raubkunst aus dem Gurlitt-Nachlass restlos und ohne Wenn und Aber an die Erben der einstigen jüdischen Besitzer zurückgeben; darüber wurde jetzt eine Vereinbarung mit Bayern und dem Bund geschlossen. Was bedeutet das genau?
    Koldehoff: Das bedeutet - und das hat heute der Präsident des Stiftungsrates hier in Berlin noch mal ganz deutlich gesagt -, man will kein einziges, mit Raubkunstverdacht behaftetes Werk auch nur in die Nähe des Kunstmuseums Bern kommen lassen. Sprich: Diese Werke bleiben weiterhin im Depot in München, werden dort von der Taskforce, die extra gegründet wurde, um die Sammlung Gurlitt aufzuarbeiten, untersucht, und erst wenn der blitzblanke, blütenreine, weiße Persilschein tatsächlich ausgestellt ist, dann wird dieses Werk auch nach Bern gebracht. Und da kam dann wieder Monika Grütters ins Spiel, die an der Stelle dann noch mal sagen konnte, das ist unsere Aufgabe, weil Deutschland Verursacher dieses ganzen Raubkunstproblems war, und dieser Verantwortung sind wir uns bewusst.
    Fischer: Es zeigt sich aber doch immer wieder, dass die Klärung einer Herkunft nicht zweifelsfrei möglich ist, und bislang sind für entsprechende Beweise, die es häufig nicht geben kann, immer die Erben der ehemaligen Besitzer zuständig. Wie wird diese Schwierigkeit gehandhabt, und wie lange wird insgesamt über die Herkunft gerätselt? Ist eine schnelle Klärung in diesen 500 Zweifelsfällen absehbar?
    "Massive Kritik an der Arbeit der Taskforce"
    Koldehoff: Das ist die zentrale große Frage, Frau Fischer, die sich hier viele nach der Pressekonferenz, bei der übrigens keine Fragen gestellt werden durften, dann anschließend auch gestellt haben. Sie haben das Tempo angesprochen. Es gibt massive Kritik an der Arbeit dieser Taskforce, die sich im Wesentlichen bisher mit sich selbst und mit den Materialien, aber nicht mit konkreter Forschung beschäftigt hat. Da ist hinter den Kulissen zu hören, dass das jetzt alles beschleunigt werden soll, dass beispielsweise die Taskforce verpflichtet werden soll, künftig in regelmäßigen Abständen Tätigkeitsberichte vorzulegen und auch ihre Forschungen zu einzelnen Werken dann zu veröffentlichen.
    Die andere Frage, die da wesentlich mit reinspielt: Es geht ja nicht nur um die Kunstwerke; es geht auch um Geschäftsunterlagen, es geht um Korrespondenzen, aus denen vielleicht hervorgehen könnte, wem ein Werk denn mal gehört hat, bevor es zu Hildebrand Gurlitt, dem Vater von Cornelius Gurlitt, gekommen ist. Und auch da konnte Frau Grütters verkünden: Ein Teil dieser Geschäftsunterlagen ist bereits heute ins Internet gestellt worden unter www.lostart.de, eine zentrale Forderung der Erbenvertreter. Und weiteres: Die private Korrespondenz nämlich soll demnächst folgen. Und ein dritter Punkt noch: Man will nicht nur dann restituieren, wenn zu 100 Prozent geklärt ist, sondern auch dann, wenn es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass ein Werk Raubkunst mal gewesen ist. Das ist insofern vorbildlich, als sich viele deutsche Museen noch anders verhalten. Hier spielt dann die Sammlung Gurlitt sozusagen eine Vorreiterrolle.
    Fischer: Ist das jetzt eine win-win-win-Situation, oder nur deshalb so gut gegangen, weil einer der Betroffenen, nämlich Cornelius Gurlitt selbst, nicht mehr lebt?
    Koldehoff: Na ja. Vor allen Dingen, weil Cornelius Gurlitt als Privatmann gesagt hat, als er noch lebte, ich unterwerfe mich diesem ganzen Prozedere, obwohl ich das eigentlich gar nicht müsste. Das hat heute der bayerische Justizminister Bausback in der Pressekonferenz noch mal betont. Der Fall, der ist jetzt relativ glücklich zu Ende gegangen, wie gesagt noch mit den Unwägbarkeiten, was denn der Einspruch von Teilen der Familie Gurlitt eventuell verzögern könnte. Aber man hat immer noch keine Lösung gefunden, die eine grundsätzliche wäre. Er hat gefragt, was, wenn morgen in Hamburg, Berlin, Frankfurt oder München die nächste Raubkunstsammlung auftaucht, und deswegen angekündigt, dass man weiterhin auch nach einem neuen Gesetz, nach einer neuen Lösung für alle solche Fälle suchen will.
    Fischer: Herzlichen Dank an Stefan Koldehoff für diese Einschätzungen zu einem möglichen guten Ende des Falls Gurlitt. Das Kunstmuseum Bern tritt sein Erbe an, will aber NS-Raubkunst restlos restituieren.