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Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert

Vernunft braucht Sicherheit. Vielleicht ist es kein Zufall, dass das große Projekt der Aufklärung genau in jene historische Epoche fiel, in der auch die ökonomisch-technische Entwicklung mit Riesenschritten in Richtung Moderne eilte. Nachdem der dritte Stand sich zunächst politisch erhoben hatte, sicherte er sich auch ökonomisch ein Mitspracherecht. Unaufhaltsam ließen die europäischen Völker die Armut hinter sich und richteten sich in einem Leben ein, das materiell zumindest nicht mehr mit dem Allerschlimmsten rechnen musste. Und erst diese vergleichsweise komfortable Lage erlaubte es ihnen, sich nun an der neuen Göttin der Moderne, der Vernunft, hinzugeben.

Kersten Knipp | 31.03.2003
    Wie intim die Verbindung der ökonomischen und materiellen Revolution war, wie eng Planbarkeit und Vernunft, Sicherheit und Nüchternheit auch heute noch zusammenhängen, das dürfte in den vergangenen Monaten wieder besonders deutlich geworden sein: Aktiencrashs und Firmenpleiten, eine epidemische Arbeitslosigkeit und Auflösung der Solidargemeinschaft lehren die Bürger Furcht und Zittern.

    Unsicherheit, Angst, Nervosität nehmen zu. Und Begriffe wie "Wirtschaftskrieg", "Verteilungskämpfe" oder "feindliche Übernahme" deuten es an: die Gesellschaft rüstet auf, deutet das Leben als Kampf und permanenten Ausnahmezustand. Die gemütliche Solidarität früherer Jahre hat ausgedient, und mit ihr schwindet der kühle Gestus der Vernunft. Die Gemüter wappnen sich. Und wo die Macht der Verbände bröckelt, bricht sich ein neuer Typus des Interessensvertreters Bahn: der Einzelkämpfer – auch wenn er einstweilen noch unter dem weniger beunruhigenden Namen "Ich-AG" firmiert. Doch dergleichen Euphemismen dürften letzte Beruhigungsversuche sein. Denn tatsächlich, so die These der beiden Journalisten Tom Holert und Mark Terkessidis in ihrem Buch über "Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert", prägt die Sprache von Krieg und Kampf zunehmend auch die gegenwärtige Mentalität der westlichen Gesellschaften. Und es ist kein Zufall, dass ihre Mitglieder einen Typus des Einzelkämpfers zum Vorbild nehmen, der sich vornehmlich in den Kriegen des 20. Jahrhunderts entwickelte, allen voran im Vietnamkrieg und dessen nachträglicher Aufarbeitung. Mark Terkessidis:

    Das beste Beispiel dafür ist etwa der Film "First Blood" oder - wie er in Deutsch hieß - "Rambo" von Ted Cotcheff (…), wo sozusagen aus dem Vietnamkämpfer ein neues Subjekt wird, (…), nämlich der Einzelkämpfer. Und dieser Einzelkämpfer bewegt sich nun durch einen urbanen Dschungel, und das ist etwas, was wir dann weiter verfolgt haben, um zu sehen, was für eine Art von Subjektivität wird ausgebildet in der momentanen Gesellschaft. Und das ist eben dieses Subjekt Einzelkämpfer.

    Rocky mag ein Sonderling sein. Doch seine Botschaft ist deutlich: Der Krieg fand und findet nicht nur in Vietnam oder auf den anderen Schlachtfeldern der Welt statt. Längst beherrschen seine Gesetze auch den Alltag der Ersten Welt, die nur scheinbar befriedet ist. Im Vietnamkrieg, so Holert und Terkessidis, verwischten sich die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, verschwommen die Konturen des Krieges mit denen des Kinos, ging der biologische Dschungel über in den psychologischen, angeheizt durch den Konsum von Rock’ n Roll, Drogen, Filmen. Die Soldaten erlebten den Krieg auch als psychodelisch hoch aufgeladenen Trip in ein grausames, dadurch aber umso faszinierenderes Abenteuer. Und dessen nachträgliche Bearbeitung im Film, so Tom Holert, musste den Zuschauern vor allem darum so realistisch erscheinen,

    … weil diese Intensivierung des Kriegs-, des Quasikriegserlebnisses sehr eng verflochten ist mit dem, was wir das neoliberale Subjekt oder die neoliberale Subjektivität nennen würden, das ein Subjekt ist, das sich in einer permanenten kämpferischen, einzelkämpferischen Auseinandersetzung mit seiner Umwelt befindet - - und entsprechend (also das hat Mark ja bereits gesagt) (entsprechend) gewappnet, entsprechend ausgerüstet, aufgerüstet in dieser erweiterten Kampfzone wie Houellebecq es ja nennt, agieren muss.

    Seine Attraktivität in der westlichen Welt verdankt der Typus des Einzelkämpfers vor allem der Tatsache, dass er bislang vornehmlich in seiner ästhetisierten, spielerischen Variante erschien. Denn im Dschungel der Großstadt werden die Schlachten meist ohne reale Verluste, ohne den endgültigen Untergang geschlagen. Statt dessen findet der Krieg in spielerischen Formen statt: im Fitnessstudio etwa, oder hinter dem Lenkrad eines Geländewagens. Insbesondere die zunehmende Attraktivität der so genannten off-road-cars, der Geländewagen, verstehen die beiden Autoren als Indiz eines tief greifenden Mentalitätswandel. Mark Terkessidis:

    Das sind Autos, die tatsächlich eine direkte Beziehung zum Krieg haben, weil etwas der Range-Rover oder der Humwheel, den man jetzt auch zivil erwerben kann, militärische Fahrzeuge waren, die nun im Alltag gefahren werden. Und gleichzeitig suggeriert die Reklame für diese Autos, dass man sich als Subjekt Sicherheit verschafft, weil man sich ununterbrochen durch einen urbanen Dschungel bewegen muss, also durch eine gefährlich Landschaft gewissermaßen und gleichzeitig verschafft einem dieser Wagen aber auch das Gefühl, dass man die Welt erobern kann in totaler Sicherheit mit diesem Auto.

    So gesehen, ist der Einsatz von Geländewagen in der Großstadt ein ebenso vulgäres wie bedrohliches Vergnügen. Die Geländewagen rüsten die Straße auf – vor allem aber die Mentalität der Fahrer und all jener, die ihnen ausgesetzt sind. Die protzige, an Kriegfahrzeuge erinnernde Ästhetik dieser Wagen verdichtet und intensiviert die Vorstellung der Welt als eines feindlichen Terrains. Realität und Fiktion überlagern sich, im Führersitz dieses Wagens gibt sich der Fahrer einer gepflegten bürgerlichen Psychose hin.

    Das ist eine Formation, wo der Krieg hochgradig symbolisch ist und hauptsächlich dazu dient, eine neue Subjektivität hervorzubringen, und das ist eben genau der Einzelkämpfer, der sich durch ein hochgradig unsicheres Terrain, gewissermaßen durch ein Schlachtfeld bewegt.

    Erstaunlich allerdings bleibt, dass die Sorgen der Menschen sich vornehmlich in spielerischen Formen äußern. So beunruhigend die ökonomischen und sozialen Realitäten auch sind, einstweilen äußern sie sich vornehmlich auf spielerischer Ebene. Ist alles also nur halb so schlimm? Solange die Menschen Unruhe als Vergnügen ausleben, kann es mit ihrer Angst so weit doch kaum her sein Vielleicht, könnte man vermuten, haben sie ja auch gar keine.

    Also ich würde nicht sagen, dass die Leute keine Angst haben. (Also ich bin der festen Überzeugung, dass sie Angst haben Und die Menschen haben auch zu Recht Angst.) In dem Moment, wo die Mechanismen sozialer Sicherheit zurückgehen in Form von staatlicher Rückführung von Wohlfahrtsprogrammen, aber auch im Sinne von zunehmender Arbeitslosigkeit gibt es Grund für Leute, Angst zu haben. Aber das Problem ist, dass die Kulturindustrie so funktioniert, dass man den Leuten ihre eigene Angst als Unterhaltung verkauft. T 19, 0 – 0: 30 - Und das ist genau das Problem. Das erzeugt eine bestimmte Realitätsdefinition, die über die Medien geschaffen wird, dass die Welt da draußen eine Welt ist, in der man permanent Angst haben muss. Und das wiederum als Rückkoppelungseffekt wiederum ruft einen dazu auf, Einzelkämpfer zu werden.

    Da ist sie wieder: die gute alte Kritik an der Kulturindustrie. Adorno feiert fröhliche Wiederauferstehung. Fragt sich nur, ob er je gestorben ist. Denn nur in Zeiten ökonomischer Unbekümmertheit konnte man es sich leisten, die Kulturkritik für tot zu erklären. Jetzt zeigt sich, wie nötig sie ist. Denn sie könnte erheblich dazu beitragen, die kriegerische Grundstimmung der Gesellschaft zu entschärfen. Kriege nämlich, so Tom Holert, finden zu allererst im symbolischen Bereich statt.

    Wenn man sagen würde, man führt Krieg gegen den Krieg (oder bekämpft den Krieg,) den wir in der Massenkultur als massenkulturellen Krieg identifiziert haben, dann ist das ein, glaube ich, wichtiger Schritt, um auch die Mobilisierung, wie sie außenpolitisch stattfinden (und wie sie zu einer bestimmten Weltaußen- oder Weltinnenpolitik führen,) zu unterbinden – auf einer Bewusstseinsebene, wenn man so will, im Bereich des Symbolischen. Man sollte sich also diesem Mobilisierungsaufruf und diesen Appellen verweigern.

    Verweigerung – und dann? Glücklich, wer heute Rezepte wüsste. Doch viel ist schon gewonnen, durchschaut man die Mechanismen der mentalen Aufrüstung. Sie deckt das Buch anhand ebenso scharfer wie brillant geschriebener Beobachtungen gründlich auf. Beeindruckend, wie souverän die Autoren das theoretische Grundgerüst ihrer Analysen hinter sich lassen oder besser: darauf verzichten, es eigens auszubreiten. Es kommt in den Beobachtungen selbst zum Ausdruck, findet in der Darstellung der Phänomene seine diskrete, eben darum aber auch souveräne Anwendung. Auf jeder Seite ist zudem zu spüren, dass auch die Autoren einen alten europäischen Traum hegen: den vom erfolgreichen Gebrauch der menschlichen Vernunft. Politische Dissidenz – bei Holert und Terkessidis steht sie ganz im Zeichen der Aufklärung.