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Entspannt auf die Kreuzfahrt

Medizin. - Was haben eine Kreuzfahrt auf dem Nil und der Einsatz auf einem Kriegsschiff gemeinsam? Zu beiden Gelegenheiten schlägt regelmäßig das Norovirus zu. Es löst eine gefährliche Magen-Darm-Grippe aus, ist auf der ganzen Welt verbreitet und hochansteckend. Eine Impfung gibt es zurzeit nicht, Forscher einer US-amerikanischen Pharmafirma arbeiten aber daran. Über ihre Fortschritte berichten sie auf dem World Vaccine Congress, der heute in Washington beginnt.

Von Marieke Degen | 21.04.2010
    März 2003. Die ersten britischen und amerikanischen Truppen machen sich auf den Weg in den Irak und müssen sich gleich nach ihrer Ankunft schon geschlagen geben: Magenkrämpfe, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen. Das Norovirus hat die Soldaten in die Knie gezwungen. Immer wieder legt die Magen-Darm-Grippe ganze Kompanien lahm, zu Hause oder im Einsatz. Und so beauftragt das Verteidigungsministerium eine kleine Firma in den Rocky Mountains damit, endlich einen Impfstoff gegen Noroviren zu entwickeln.

    "Eine Impfung ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, das Virus in den Griff zu bekommen. Noroviren machen schwer krank, sie sind hochansteckend und extrem langlebig, man kann sie nicht einfach wegwischen."

    Charles Richardson leitet die Forschungsabteilung von Ligocyte Pharmaceuticals. Er glaubt, dass viele von einer Impfung profitieren könnten: Kindergartenkinder, Klinikärzte, ältere Menschen in Pflegeheimen, überall dort, wo die Viren am liebsten zuschlagen. Aber einen Impfstoff zu entwickeln ist extrem schwierig. Erstens gibt es viele verschiedene Noroviren. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt, und pro Gruppe sind es noch einmal mindestens 20 verschiedene Typen, die sich auch noch ständig verändern. Es kommt eigentlich nie vor, dass ein und derselbe Virus-Typ in einer Region zweimal zuschlägt. Zweitens: Die Viren sind nur schwer zu erforschen, weil man sie nicht - wie andere Erreger - im Labor züchten kann. Noroviren können praktisch nur im menschlichen Körper existieren. Deshalb gibt es auch keine geeigneten Versuchstiere.

    "Das ist schon eine Herausforderung, einen Impfstoff zu entwickeln, wenn man noch nicht einmal das Virus für den Impfstoff im Labor nachzüchten geschweige denn den Impfstoff in Tierversuchen testen kann."

    Die Forscher haben es trotzdem geschafft, mit ein paar biotechnischen Tricks: Sie stellen nur die Hüllen von Noroviren her, also nur die Verpackung, ohne den krankmachenden Inhalt, das Erbgut der des Virus. Das geht im Labor ganz gut. Die Forscher haben sich dabei auch erstmal nur auf einen Virustyp konzentriert.

    "Das Immunsystem reagiert auf die Verpackung genauso wie auf das echte Virus und bildet Antikörper, die dann hoffentlich auch vor der Krankheit schützen. "

    Charles Richardson und seine Kollegen haben die Virenhüllen in einem Puder verpackt, der durch die Nase inhaliert wird. Rund 100 Probanden haben die Impfung bislang bekommen, sie haben den Impfstoff gut vertragen. Richardson:

    "Im Moment machen wir Folgendes: Wir haben einige Freiwillige nach der Impfung mit dem Norovirus infiziert. Nur so können wir überprüfen, ob die Impfung tatsächlich auch den Brechdurchfall verhindert."

    Das Ganze ist eine Doppelblindstudie. Das heißt, ein Teil der Probanden wurde vorher tatsächlich geimpft, die anderen haben nur ein Placebo bekommen. Und keiner, auch nicht der Studienleiter weiß, wer in welche Gruppe gehört.

    "Einige haben eine Magen-Darm-Grippe bekommen, andere nicht. Die Auswertung läuft noch, im Moment können wir noch nicht sagen, wer von ihnen tatsächlich geimpft war und wer nicht."

    Nur wenn die geimpften Probanden tatsächlich gesund geblieben sind, dann könnte die Impfung eine Chance haben. Dann würde Richardson als Nächstes versuchen, mehrere Virus-Hüllen in einen Impfstoff zu packen:

    "Wenn wir in unserem Impfstoff einen Virustyp aus der Gruppe I mit einem Virus-Typ aus der Gruppe II kombinieren, dann, so hoffen wir, könnten wir eine sehr wirksame Impfung haben."

    Ob zwei Virustypen ausreichen, um wirklich gegen alle Noroviren immun zu sein, das kann heute noch keiner sagen. Im besten Fall könnte die Impfung in fünf Jahren auf dem Markt sein, im schlimmsten Fall nie. Für Charles Richardson und sein Team heißt es jetzt: Einfach weitermachen.