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"Entspannung der Ungleichverteilung"

Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist aus Sicht des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nur noch ein Vorurteil. Die Behauptung, Einkommen und Vermögen seien zunehmend ungleich verteilt, sei nicht haltbar, sagte IW-Direktor Michael Hüther bei der Vorstellung einer Studie.

Von Gerhard Schröder | 13.05.2013
    Der soziale Ausgleich in Deutschland funktioniert, die Kluft zwischen Arm und Reich wird nicht größer. Das ist die Kernbotschaft der Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, kurz IW. Die Behauptung, die Einkommen und Vermögen seien zunehmend ungleich verteilt, sei nicht haltbar, sagte Michael Hüther, der Direktor des Instituts:

    "Beim Einkommen ist es eindeutig, dass der Gini-Koeffizient von 2005 bis jetzt rückläufig ist. Das heißt, wir haben eine Entspannung der Ungleichverteilung. Das ist ganz eindeutig. Das hat damit zu tun mit der steigenden Erwerbsintegration, die seit 2005 stattgefunden hat."
    Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – kurz OECD - dagegen hat in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen seit den 90er Jahren in kaum einem anderen Industrieland so stark gewachsen sei wie in Deutschland.

    Hüther dagegen betont, der Trend habe sich zuletzt leicht abgeschwächt. Nach Schweden, Dänemark, Finnland, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich weise Deutschland die niedrigste Armutsquote in Europa auf und liege damit im oberen Mittelfeld. Der IW-Chef führt das auf die sinkende Arbeitslosigkeit und die steigende Beschäftigung in Deutschland zurück. Die Behauptung, in der Aufschwungphase seit 2005 seien vor allem prekäre, nicht existenzsichernde Arbeitsplätze entstanden, sei nicht richtig:

    "Niedriglohnbeschäftigung ist nicht gleichbedeutend mit Armut. Beschäftigte im Niedriglohnbereich haben mit 17 Prozent eine geringere Armutsgefährdungsquote als Nicht-Erwerbstätige sowie Schüler und Studenten. Auch hier gilt der Satz: In den Arbeitsmarkt integriert zu sein, ist in jedem Fall eine günstigere Situation, um sich weiter in der gesellschaftlichen Position zu entwickeln, als wenn man außerhalb steht."

    22 Prozent der Beschäftigten arbeiteten für Niedriglöhne, ein Wert, der seit über fünf Jahren stagniere, sagte Hüther. Die Zahl der vollzeitarbeitenden Aufstocker, die zusätzlich zu ihrem Lohn oder Gehalt staatliche Hilfen brauchten, sei seit 2007 leicht gesunken. Auch hätten – anders als oft behauptet – Mini- und Teilzeit-Jobs keine Vollzeitstellen verdrängt.

    Hüther sprach sich auch erneut gegen die Einführung eines allgemeinen Mindestlohnes aus. Eine Lohnuntergrenze von 8 Euro 50, die für alle Branchen gleichermaßen gelten solle, werde mehr schaden als nutzen, warnte er:

    "Ein Mindestlohn von 8 Euro 50 würde 18 Prozent aller Beschäftigten treffen. Das ist im europäischen Vergleich ein sehr hoher Wert. Deswegen gehen wir davon aus, dass es hier erhebliche negative Beschäftigungseffekte geben würde. Ein Instrument, das sein Ziel also gar nicht erreichen kann."

    Von Armut betroffen seien vor allem Migranten, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Arbeitslose. Sie seien am stärksten auf staatliche Hilfen angewiesen. Im unteren Einkommensbereich machten Transferleistungen über 60 Prozent des Nettoeinkommens aus. Für Hüther ein Beleg für eine funktionierende Umverteilung von oben nach unten:

    "Deutschland hat nicht nur einen hohen Umfang von Abgaben und Transfers, sondern sie wirken auch zielgerichtet. Die Umverteilungswirkung ist im internationalen Vergleich hoch. Durch das Umverteilungssystem sinkt die Ungleichverteilung der Markteinkommen um über 40 Prozent."

    Auch das Bildungssystem sei durchlässiger geworden, hat das IW ermittelt, immer mehr Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten machten Abitur. 20 Prozent der Kinder aus Nicht-Akademiker-Haushalten hätten inzwischen einen Hochschulabschluss, 25 Prozent mehr als in den 90er-Jahren. Auch das ein Hinweis, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdrifte, so Hüther.