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Entspannung in Sicht?

Wenn Selbstverständlichkeiten beschworen werden, kann man davon ausgehen, dass sie entweder in Vergessenheit geraten oder vernachlässigt worden sind. Lange Zeit galt es als selbstverständlich, dass die transatlantischen Beziehungen für Sicherheit und Frieden in der Welt von größter Bedeutung sind. Wenn Präsident Bush am Vorabend seiner Europareise es als sein erstes Ziel bezeichnet, Amerikaner und Europäer daran zu erinnern, dann wird er gute Gründe haben, und dann muss er gar nicht lange nachdenken.

Von Siegfried Buschschlüter | 18.02.2005
    Es gebe hin und wieder Differenzen zwischen ihnen, aber nicht, was Werte angehe wie "die gemeinsame Liebe und Achtung für die Freiheit."

    Freiheit war auch die Losung der Antrittsrede von George Bush am 20. Januar. 34 mal tauchten die Wörter frei und Freiheit in seiner viertelstündigen Ansprache auf. Die Verbreitung der Freiheit in der Welt als Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Und daraus abgeleitet die Schlussfolgerung, dass die Sicherheit zuhause zunehmend vom Erfolg der Freiheit im Ausland abhängt. Friede, Freiheit, Sicherheit, die Achse des Guten, das Fundament des politischen Katechismus dieses Präsidenten. Ein Nexus von Glaubenssätzen, die sich um ein Datum ranken, auf das er nach kurzem Zögern immer wieder zurückkommt.

    Der 11. September 2001, die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon. Für einige in Europa, so sagte Bush gestern, sei das nur ein schrecklicher Augenblick gewesen.

    "Aber für uns", so Bush, "veränderte dieser Tag unsere Außenpolitik."

    Diese Differenzen hätten dazu geführt, dass Amerikaner und Europäer gelegentlich aneinander vorbei redeten. Die große Frage am Vorabend des Bush-Besuchs in Europa ist, ob diese Bewertungsunterschiede ausgeräumt oder nur verdrängt worden sind, durch eine Charmeoffensive der neuen US-Außenministerin.

    Susan Rice, Mitarbeiterin der Brookings Institution und Staatssekretärin im US-Außenministerium unter Präsident Bill Clinton.

    Man könne durchaus vom Bemühen der Bush-Regierung sprechen, Differenzen auszubügeln und die Dinge zu glätten. Die Regierung sei sich offenbar darüber im klaren, dass im Verhältnis zu Europa einiges gekittet werden müsse. Von Reparaturen im transatlantischen Verhältnis spricht auch Charles Kupchan, Professor für internationale Beziehungen an der Georgetown University, leitender Mitarbeiter des Council on Foreign Relations und Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats in der ersten Clinton-Regierung.

    Seit der Wiederwahl von Bush sei klar gewesen, dass es eine seiner höchsten Prioritäten sei, auf die Europäer zuzugehen. Dabei handele es sich nicht nur um Rhetorik, sondern um Veränderungen der Politik, wenn auch noch zaghaft. So habe Condi Rice erklärt, dass die USA den europäischen Einigungsprozess unterstützten. Ähnlich habe sich Rumsfeld geäußert. In den letzten vier Jahren habe man so etwas von der Bush-Regierung nicht gehört. Das lasse sich wohl nicht als reine Rhetorik oder Schönreden abtun.

    Andererseits sei aber noch nicht klar, ob die Bush-Regierung bereit sei, substantielle Veränderungen ihrer Außenpolitik vorzunehmen, die die USA näher an Europa bringen würden. Er vermute, sagt Kupchan, dass die USA und Europa in vielen Fragen, in denen sie in den letzten vier Jahren nicht übereingestimmt hätten, auch in den nächsten vier Jahren nicht übereinstimmen werden.

    Genauso sieht es John Hulsman, Mitarbeiter der konservativen Heritage Foundation. Die Äußerungen von George Bush, wonach Amerikaner und Europäer die gemeinsame Liebe zur Freiheit verbinde, seien nicht ausreichend, um ihre Differenzen der letzten vier Jahre zu überwinden, aber das Schlimmste würde dadurch verhindert, meint er.

    Es sei unvermeidlich gewesen, dass Europa und Amerika mit dem Ende des Kalten Krieges und ohne das Grollen des sowjetischen Bären auseinanderdriften würden. Es gebe eben philosophische Unterschiede zwischen Amerika und Europa, z.B. wie man Wirtschaftspolitik betreibe, welche Rolle der Nationalismus in der Welt spiele, die Bedeutung des Völkerrechts, die Rolle des Militärs in der Außenpolitik. Da gebe es große Unterschiede, und die würden nicht mit einer guten oder einer schlechten Auslandsreise verschwinden.

    Zuversichtlicher, was die Ergebnisse des Bush-Besuchs angeht, ist da schon Walter Andruszyszyn. Er war bis Ende letzten Jahres im Nationalen Sicherheitsrat unter Condoleezza Rice Direktor für europäische Angelegenheiten, und da vor allem für Deutschland zuständig. In der Europareise von Condi Rice, die im US-Kongress überschwänglich als großer Erfolg gefeiert wurde, sieht er sowohl eine Charme-Offensive als auch die Ankündigung substantieller politischer Veränderungen.

    Ich glaube, es war beides. Es war eine Charme-Offensive, ein neuer Wind, und ich glaube, so haben die Europäer das aufgefasst. Tatsächlich waren es zwei substantielle Punkte: ein Neuanfang in der Nahost-Politik, das war schon vorbereitet von Colin Powell. Scharm el Scheich war ja ohne Zweifel ein Erfolg, und die zweite Sache war die Rede in Paris, die einen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen gezeigt hat. Also doch nicht nur substantiell, auch tief greifend substantiell eine wichtige Reise.

    Insgesamt, meint Andruszyszyn, seien die Unterschiede zwischen den USA und Europa heute geringer als vor noch vier Jahren. Dabei sieht er in zwei Punkten die Chance für einen Neuanfang.

    Erstens in der Frage vom Irak. Wir verlangen ja nichts von den Europäern. Allerdings ist es im Interesse der Europäer, mit uns zusammenzuarbeiten. Und zweitens, etwas, was ich glaube, doch ernsthaft in Europa besprochen werden sollte, inwieweit kann Europa dazu beitragen, dass Demokratie tastsächlich Fuß fasst in den Ländern, wo man heute sagt, es wird ja nicht stattfinden. Es ist eine sehr wichtige Frage, und ich glaube, diese Vision, die Bush in seiner Rede vor einem Monat gehalten hat, ist für Europa nicht unbedeutend. Und ich finde, dass ist gerade eine Frage, die die Europäer mehr debattieren sollten. Was können sie dazu leisten, es ist tatsächlich in deren Interesse.

    Auf größeres Interesse ist, wenn auch mit einigen Tagen Verspätung, in Washington der Vorschlag von Bundeskanzler Schröder gestoßen, die Nato zu reformieren. Es hat etwas gedauert, weil zunächst nicht klar war, was Schröder mit seiner Anregung auf der Münchener Sicherheitskonferenz genau gemeint hat. Eine Stärkung der Nato oder eine Stärkung der EU? Ein neues Forum oder eine Reform vorhandener Foren? Ein neues Bindeglied zwischen der EU und der anderen Seite des Atlantik, wie Joschka Fischer nach der Rede erläuterte, oder sogar ein neues "Grand Design". Als Condi Rice gestern im außenpolitischen Ausschuss des Repräsentantenhauses danach gefragt wurde, machte sie deutlich, dass sie auch zunächst habe nachfragen müssen. Offenbar sei Schröders Vorschlag am Tag selber, als seine Rede verlesen wurde, falsch verstanden worden.

    Was er wirklich sagen wollte, so Rice, sei, dass die NATO so stark wie möglich und ein lebensfähiges Forum bleiben solle.

    Und nachdem sie aufgezählt hatte, wie sehr sich die NATO entwickelt und wo sie sich bewährt hat, kam sie zu dem Schluss, der NATO gehe es gut, es sollte weiter in ihr lebhaft diskutiert werden, und die USA seien für alles, was die Nato weiter stärke.

    Er begrüße Schröders Ruf nach einer neuen Verbindung zwischen den USA und Europa, sagt Charles Kupchan. Die Anregung des Kanzlers treffe genau den Punkt. Die Institutionen des transatlantischen Verhältnisses hinkten hinter der Realität hinterher.

    Die Nato sei zwar die wichtigste institutionelle Verbindung, aber viele der Fragen, die Amerikaner und Europäer heute erörtern müssten, fielen nicht in den eher begrenzten Zuständigkeitsbereich der Nato.

    Im übrigen, so meint Kupchan, habe sich die EU so entwickelt, dass sie der beste Diskussionspartner der USA sei, und nicht die einzelnen Nationalstaaten. Außerdem glaubt er, dass die Bush-Regierung inzwischen eingesehen habe, dass es ein Fehler war, Europa teilen und beherrschen zu wollen, denn ein schwaches Europa sei kein guter Partner für die Vereinigten Staaten. Mit seinem divide et impera habe Bush viele europäische Eliten wie europäische Bürger vor den Kopf gestoßen. Inzwischen habe die Regierung gelernt, dass es Europa brauche, und dass ein geeintes Europa, selbst wenn es ein schwierigerer Partner sei, den USA das geben könne, was sie am meisten brauchen, nämlich konkrete Hilfe.

    Was die Idee von Joschka Fischer angehe, ein Forum zu entwickeln, in dem über die strittigen Grundsatzfragen zwischen den USA und Europa diskutiert werde, wie Todesstrafe, Internationaler Strafgerichtshof und Kyoto-Protokoll, so erwartet Kupchan solange keine Einigung, wie die Bush-Regierung im Amt ist. Es seien aber genau die Fragen wie Todesstrafe, Kampf gegen Aids, Förderung der Demokratie im Nahen Osten, über die Amerikaner und Europäer diskutieren müssten und für die sie heute kein gutes Forum hätten. USA-EU sei die richtige Ebene, vielleicht brauche man da ein neues Sekretariat, ein ständiges Organ prominenter Amerikaner und Europäer.

    Es gibt weitere der Demokratischen Partei nahestehende Publizisten und Politikwissenschaftler, die derselben Meinung sind. Andruszyszyn und Hulsman zählen nicht zu ihnen. Walter Andruszyszyn hat in Schröders Reform-Rezept einen französischen Beigeschmack entdeckt.

    Die Vorschläge waren als solche nicht neu. Wir haben das von den Franzosen schon häufig gehört. Was neu war, ist, dass es von einem deutschen Kanzler kommt. Ich glaube, das ist eindeutig für die strategische Wandlung von Deutschland in den letzten drei Jahren unter Kanzler Schröder.

    Dass er die Rolle Deutschlands anders sieht?

    Genau. Dass er im Grunde die französische Politik von einer anderen Beziehung von Europa und USA sich zu eigen gemacht hat, dass es für Deutschland eine neue strategische Wandlung ist.

    Sie meinen, dass er sich der französischen Politik angeschlossen hat.

    Genau. Das ist ja eine gaullistische Politik. Die EU sollte ein Gegenpol von der USA sein. Das kennen wir ja aus Paris, das kennen wir ja nicht aus Berlin. Das Erstaunliche für uns in Washington ist, dass Deutschland seine Position Paris gegenüber in den letzten drei Jahren sehr geändert hat und im Grunde eine gaullistische Politik übernommen hat, die meines Erachtens eigentlich deutschen Interessen nicht entspricht.

    John Hulsman sieht in Schröders Reformidee den völlig falschen Ansatz. Das Problem sei nicht die Nato, sondern das transatlantische Verhältnis. Nicht mit einer neuen Institution könne man das Problem lösen. Das sei in einer unterschiedlichen Weltsicht begründet, darin, wie man mit Macht umgeht, dass politische Macht auf wirtschaftlicher Stärke beruhe, und die sieht er weder in Deutschland noch in Frankreich oder Italien, dagegen hohe Arbeitslosigkeit und eine überalterte Gesellschaft.

    Es ist fraglich, ob Bush und Schröder nächste Woche über deutsche Wirtschaftsdaten sprechen werden. Ein Thema wird sie jedoch mit Sicherheit beschäftigen, und das ist Iran, konkret, zu verhindern, dass Teheran in den Besitz von Atomwaffen gelangt. Er werde auf seiner Europareise mit den Verbündeten nach Strategien suchen, um sicherzustellen, dass sie gegenüber dem Iran mit einer Stimme sprechen, so Bush gestern.

    In seiner Rede zur Lage der Nation hatte er Iran aufgefordert, sein Urananreicherungsprogramm sowie jegliche Wiederaufarbeitung von Plutonium aufzugeben und damit aufzuhören, den Terrorismus zu unterstützen. An das iranische Volk gewandt, erklärte er: "Wenn Ihr für Eure Freiheit einsteht, steht Amerika an Eurer Seite".

    Daraus, so Susan Rice, sprach wohl der Wunsch nach Regimewechsel. Doch sei der Regierung klar, dass sie nicht über die Mittel dafür verfüge. Und selbst wenn das Regime im Iran wechseln sollte, müsste es aus amerikanischer Sicht nicht unbedingt die bessere Wahl sein. Denn nichts deute daraufhin, dass diese Schwierigkeit in den bilateralen Beziehungen beseitigt werde, wenn die Reformer an die Macht kämen.

    Das iranische Volk zum Aufstand anzuspornen, sei eine gefährliche Idee, wenn man bedenke, dass Bush-Vater nach dem Golfkrieg die Schiiten und die Kurden im Irak in ähnlicher Weise aufgerufen, sie dann aber im Stich gelassen habe.

    "Wir wissen, was dann geschah", so Susan Rice. Was die militärischen Optionen der USA anbetrifft, so sieht sie keine realistischen Möglichkeiten außer vereinzelten Luftschlägen, solange die USA 150.000 Soldaten im Irak stationiert haben. Damit, so meint das unabhängige Iran Policy Committee, könne man bestenfalls Zeit gewinnen, vielleicht zur Destabilisierung des Regimes beitragen. Als aussichtsreichere Lösung sieht das Komitee die Unterstützung iranischer Oppositionsgruppen an. Es gebe nur eine Gruppe, die für demokratische Ideale einstehe und gleichzeitig eine Gefahr für die Mullahs darstelle, und das, sagt Raymond Tanter, Vorstandsmitglied des Komitees, seien die Mudschaheddin e Khalq, MEK.

    Die Mudschaheddin stehen auf der Terrorliste, sowohl der EU als auch des State Department, aber nur, sagt Tanter, Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat unter George Bush senior, weil auf diese Weise dem Regime in Teheran ein Zugeständnis gemacht werden sollte. Wenn USA und EU nicht dieselbe Position verträten, warnt Tanter, werde Teheran den Westen spalten.

    Anders als Raymond Tanter argumentiert Susan Rice für eine aktive Beteiligung der USA an den Verhandlungen der Europäer mit dem Iran. Sie plädiert für amerikanische Konzessionen im Gegenzug für den Verzicht Irans auf Atomwaffen. Mehr Zuckerbrot von den Amerikanern und mehr Peitsche von den Europäern für den Fall, dass die Iraner ihre Verpflichtungen nicht einhalten.

    Die Europäer sollten bereit sein, erhebliche Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zu verhängen, ob im Rahmen des UN-Sicherheitsrats oder außerhalb. So oder so müssten die USA zu direkten Verhandlungen bereit sein. Wer nicht verhandele, konzediere die Unausweichlichkeit iranischer Atomwaffen. Die beste Hoffnung, Iran zu überreden, seine nuklearen Ambitionen aufzugeben, so sagt sie, liege in Verhandlungen, die Zuckerbrot und Peitsche miteinander verbinden.