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Entwicklung von Ökosprit
Emissionsfreier Flugverkehr bis 2050?

Mit dem Power-to-Liquid-Verfahren ließe sich bis 2050 emissionsfreier Flugverkehr realisieren - davon ist der Nachhaltigkeitsexperte des Umweltbundesamts, Harry Lehmann, überzeugt. Um das zu erreichen, müsse man allerdings sofort mit der Markteinführung des Verfahrens starten, sagte Lehmann im Dlf.

Harry Lehmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 27.10.2017
    Ein Flugzeug hinterlässt Kondensstreifen vor einem blauen und wolkenlosen Himmel.
    "Technisch geht es." Harry Lehmann sagt, es sei möglich, einen Treibstoff für den Flugverkehr aus erneuerbaren Energiequellen zu entwickeln (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Ralf Krauter: In Bonn beginnt in zehn Tagen der nächste Weltklimagipfel. Und wie so oft im Vorfeld, gibt's da jetzt schon die ersten Expertentreffen, zwecks Agenda-Setting. Gestern zum Beispiel, trafen sich in Bonn die Freunde und Befürworter eines nachhaltigeren Luftverkehrs zur Konferenz 'Greener Skies Ahead', bei der es um nachhaltig erzeugtes Kerosin ging. Genauer gesagt, um "Power-to-Liquid", um Flugzeugtreibstoff also, der aus Wasser und Luft erzeugt wird, und zwar mittels Strom aus erneuerbaren Energien. Erklärtes Ziel der Veranstaltung war es, im Vorfeld des Klimagipfels das Signal auszusenden, dass auch Flugzeuge in absehbare Zukunft weitgehend CO2-neutral unterwegs sein könnten.
    Dr. Harry Lehmann, Fachbereichsleiter für Nachhaltigkeitsstrategien beim Umweltbundesamt in Dessau, war gestern in Bonn dabei. Ich habe ihn vorhin gefragt: Wie klar ist diese Botschaft rübergekommen?
    Harry Lehmann: Die Botschaft war sehr klar von allen zu vernehmen, aber nicht nur in Bonn. Es ist klar, dass ab 2020 der Luftverkehr nicht mehr mit seinen Treibhausgasemissionen steigen darf. Es ist auch so, wenn wir das Paris Agreement erreichen wollen, dann muss die Luftfahrt bis 2050 deutlich ihre CO2- oder Treibhausgasemissionen senken, und das ist überall inzwischen anerkannt.
    "Elektromobilität hat in der Luftfahrt keine Zukunft"
    Krauter: Der Druck ist da, aber der Weg dahin ja noch ein bisschen unklar. Beim Autoverkehr ist es ja so, dass der Weg in die nachhaltige Zukunft eigentlich vorgezeichnet scheint. Da wird man sich wahrscheinlich auf Elektromobilität einigen. Wie sieht das bei Flugzeugen aus? Dass Passagierjets in den nächsten 20 Jahren mit Elektroantrieb fliegen werden, das glauben nur ganz wenige Fachleute. Welche alternativen Technologien sind da am Start und könnten den Weg weisen zum nachhaltigeren Luftverkehr?
    Lehmann: Aus unserer Sicht ist es so, dass Elektromobilität innerhalb der Luftfahrt absehbar keine Zukunft hat. Deswegen haben wir uns danach umgeschaut, ob es eine Möglichkeit gibt, den Treibstoff der Luftfahrt mit einem synthetischen Treibstoff, der aus erneuerbaren Energien gewonnen werden kann, zu ersetzen. Dieser synthetische Treibstoff wird "Power-to-Liquid" genannt, und dieser ermöglicht, dass man, beginnend möglichst heute, so schnell wie möglich den Treibstoff aus erneuerbaren Energien gewinnt. Dieser Treibstoff aus erneuerbaren Energien basiert nicht auf Biofuels, sondern es ist halt Strom, Wasserstoff und ich sage mal: chemisches Voodoo, mit dem man das dann am Ende hinbekommt.
    "Wir müssen heute anfangen"
    Krauter: Man braucht also regenerativ erzeugten Strom aus Wind- oder Solarenergie. Man braucht Wasser und CO2, was man typischerweise aus der Luft fängt für diese Power-to-Liquid-Verfahren. Die wurden ja auch schon so im Pilotanlagenmaßstab durchaus demonstriert, auch von deutschen Unternehmen, aber taugt das Verfahren denn wirklich für so eine großskalige Anwendung, also tausende Tonnen von Kerosin für die Luftfahrt zu erzeugen?
    Lehmann: Ja, das denken wir. Egal, es gibt ja verschiedene Pfade. Ob es Methanol ist oder Fischer-Tropsch-Verfahren oder katalytische Verfahren - alle diese sind in Vergangenheit in Teilen davon auch schon großtechnisch eingesetzt worden. Was man noch nicht gemacht hat ist, die Kombination von Wind, Fotovoltaik, Wasserstoff, Hydrolyseur und Fischer-Tropsch-Verfahren - und dann das Ganze in Luftfahrt hineinzutun. Deswegen sind wir überzeugt davon, dass dieses machbar ist, auch in dieser Skala, aber wir müssen heute anfangen, denn wenn wir die Ziele 2050 erreichen wollen, dann müssen wir jetzt anfangen, die Technologien einzuführen, die Lernkurve durchzugehen, und wir müssen heute auch anfangen, damit der Markt entsteht, um diese Power-to-Liquid einzuführen.
    Eine Aufgabe für die Großchemie
    Krauter: Wie groß müssten denn solche Anlagen sein, also Stichwort Fischer-Tropsch-Synthese - haben Sie ja schon gesagt, das sind riesige Reaktoren letztlich, die eben auch viel regenerativen Strom brauchen -, wie groß müssten die Anlagen sein, und würde man diesen grünen Strom nicht viel besser nutzen, um zum Beispiel den Stromsektor oder den Automobilverkehr zu decarbonisieren?
    Lehmann: Also erst mal, das sind Raffineriengrößen, das ist Großchemie. Natürlich hat erst mal in Deutschland Priorität, den Stromsektor möglichst grün zu gestalten, aber wir müssen gleichzeitig die Infrastruktur aufbauen. Wir können nicht warten, bis in Deutschland der Strom schon komplett auf erneuerbaren Energien beruht, sondern wir müssen heute damit anfangen. Wir müssen des Weiteren anfangen, auch im Ausland Windenergie, Fotovoltaik und andere erneuerbaren Energiequellen auszubauen und diese Power-to-Liquid zu produzieren. Der Punkt ist: Wir müssen noch nicht mal so viel produzieren, sondern überhaupt mal anfangen, weil Power-to-Liquid die großen Vorteile hat, dass es ein sogenanntes Drop-in-Fuel ist, das heißt, man kann es mit ein, zwei, drei, vier Prozent in den vorhandenen fossilen Treibstoff reinmischen, hat die gleichen chemischen Bedingungen wie fossil erzeugtes Kerosin.
    Plädoyer für frühe Markteinführung
    Krauter: Das heißt, man könnte das heute verwendete Kerosin sozusagen strecken mit diesem klimaneutralen synthetischen Sprit.
    Lehmann: Ja, das ist richtig, und damit könnte man schrittweise erst mal einen Überschussstrom benutzen. Es gibt viele Einführungsstrategien dafür, die klimaneutral sind, aber wir können nicht warten, bis wir irgendwo bei 100 Prozent Strom angekommen sind, um die Technologie einzuführen, weil es ja auch einer Markteinführung bedarf. Wir kennen das ja aus der Geschichte der Fotovoltaik. Wenn man wartet, dann verpasst man die Entwicklung. Die Fotovoltaik ist heute so billig, weil sie zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in den Markt eingeführt worden ist und die Lernkurve durchlaufen konnte. Dasselbe müssen wir jetzt mit Power-to-Liquid machen.
    Krauter: Nun ist die Luftfahrtbranche ja sehr konservativ, auch wegen der aufwendigen Zulassungsverfahren. Was glauben Sie denn, bis wann könnte ein Passagierflugzeug komplett emissionsfrei abheben, also mit 100 Prozent klimaneutralem Synthesesprit?
    Lehmann: Da sind wir überzeugt, dass das sicherlich bis Mitte des Jahrhunderts geht. Heute ist es schon möglich, 50 Prozent Power-to-Liquid beizumischen, und die Ingenieure sagen, dass das in den normalen Zyklus der Weiterentwicklung von Turbinenähnlichem drin ist. Das hängt natürlich nicht davon ab, ob die Technik geht, weil technisch geht es. Es hängt davon ab, welche Rahmenbedingungen gesetzt werden, welche gesetzlichen Zwänge geschaffen werden, dieses PTL einzuführen, und wie die Luftfahrtindustrie insgesamt das Ganze aufnimmt, aber bisher sehen wir keinen anderen Weg dazu, um die Luftfahrtindustrie, was diesen Teil der Klimaeffekte angeht, sauber zu gestalten. Die Luftfahrt hat immer noch andere Klimaeffekte wie Wasserdampf und andere Dinge. Also damit kann man einen Teil lösen. Nicht alles, aber das wäre schon viel, was man damit machen könnte.
    "Wir müssen uns entscheiden, wie viel wir fliegen"
    Krauter: Jetzt arbeiten Sie ja für das Umweltbundesamt, befassen sich mit dem Thema Nachhaltigkeit. Müsste man der Luftfahrtindustrie, bis das alles wirklich einsatzreif ist, nicht eigentlich raten, nicht weiter zu wachsen und den Menschen weniger zu fliegen, wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint?
    Lehmann: Also noch mal: Das ist heute einsetzbar. Man muss nur eine Markteinführungsstrategie machen. Die andere Frage bejahe ich natürlich. Es ist absurd zu denken, dass wir ein Wachstum von vier bis fünf Prozent pro Jahr in den nächsten 30 Jahren in der Luftfahrt haben. Das ist nicht machbar. Das betrifft aber auch uns als Menschen zu entscheiden, ob oder ob nicht wir wie viel fliegen. Da reagiert die Luftfahrt im Prinzip nur auf eine Nachfrage. Wir als Bürger und als Touristen oder auch als Reisende zu allen möglichen Konferenzen müssen die Frage stellen, wie viel ist eigentlich genug, und wir müssen die Frage stellen, welche dieser Verkehre lassen sich vermeiden durch Telemobilität, lassen sich vermeiden durch Züge. Die Chinesen machen das mit Hochgeschwindigkeitszügen. In Amerika geht das jetzt auch los. Also ja, man muss nachfragen, wie viel ist eigentlich genug in der Luftfahrt an Lufttransport.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.