Eine Videokamera hatte den ganzen Vorfall festgehalten. Blöd gelaufen - oder blöd gemacht? An der Nahtstelle zwischen schlichtem Pech und kapitaler Dummheit nistet die Schadenfreude. Mit Hingabe pflegt der Volksmund deshalb Ostfriesen-, Schwaben- oder Blondinenwitze. Jede Nation verfügt über einen mythischen Ort, an dem sich die Dummheit ballt und die herrlichsten Blüten treibt. In Deutschland heißt dieser Ort Schilda.
Als die Schildbürger im Tal ein neues Rathaus bauen wollten, fällten sie auf einem Hügel Baumstämme und trugen sie mühsam den Hang hinunter. Einer der Stämme fielen ihnen aus den Händen und rollte von allein hinunter. So geht es ja viel leichter, freuten sich die Schildbürger und trugen flugs alle Stämme wieder den Berg hinauf, um sie auf die neue Weise hinunter zu befördern. Diese Anekdote zeigt: Gehobene Blödheit setzt schon wieder Intelligenz voraus. Allerdings nicht zu viel.
Schilda ist überall, und um der grassierenden Dummheit beschreibend Herr zu werden, ist ein enzyklopädischer Ansatz nötig. Bisher hat sich die Literatur um dieses zentrale Thema weitgehend herumgedrückt, Die Morologie (von morus = närrisch) steckt noch in Babysöckchen, eine Systematik scheint unmöglich. Als gescheitert gelten kann jedenfalls der Versuch des Pfarrers und Goethe-Freundes Johann Caspar Lavater, der Dummheit ein wissenschaftliches Gesicht zu geben; seine "physiognomischen Fragmente", die etwa eine fliehende Stirn mit mangelnder Intelligenz kurzschließen, sind etwa so treffgenau wie die heute gern praktizierte Gleichsetzung von Glatzen und Hohlköpfen.
Gescheitert ist auch der größte Kartograph der Dummheit: der französische Romancier Gustave Flaubert. Sein "Lexikon der Gemeinplätze", das die ganze, ihm zutiefst verhasste Krämerzivilisation des 19. Jahrhunderts in seinen Phrasen kenntlich machen wollte, blieb unvollendet liegen. Der holländische Autor Matthijs van Boxsei ist kein Sammler des laufenden Flachsinns, sondern Philosoph und Deuter desselben. Seit zehn Jahren studiert er das Phänomen in allen Aspekten. Jetzt hat er mit einer "Enzyklopädie der Dummheit" den Stier bei den ) Hörnern, pardon: den Esel bei den Ohren gepackt.
Boxsels überraschender Ansatz: Er betrachtet Dummheit nicht als Mangel, sondern als eigene Qualität. Natürlich nicht im Sinne christlicher Tradition, der die Einfalt immer heilig war und der Arme im Geiste erster Anwärter auf das Himmelreich. Nein, für Boxsel ist Dummheit die Voraussetzung der Zivilisation, ja ihr "mystisches Fundament". Weil der Mensch von Natur aus ein Dussel ist, musste er Intelligenz entwickeln, um zu überleben; diese Intelligenz wird aber ihre dusselige Herkunft nicht los. Kultur ist nichts anderes als "der Versuch, unsere Dummheit in . den Griff zu bekommen" - mit durchaus begrenztem Erfolg.
Dumm ist vor allem falsch angewandte Intelligenz: Das haben schon Henri Bergson und Sigmund Freud erkannt und als ewig sprudelnde Quelle der Komik ausgemacht. Aber während sie, wie fast alle Trottelforscher, die Dummheit von außen betrachten (und ihr Wesen deshalb verfehlen), setzt sich Boxsel ihr mutig aus. Wer meint, er sei nicht dumm, hat schon das Gegenteil bewiesen, während das Eingeständnis "Ich bin dumm" sich selbst dementiert, weil es durch Einsicht von Weisheit zeugt. Nur auf solch paradoxe Weise, meint Boxsel mit Recht, kann man sich dem Phänomen überhaupt nähern.
Ein fruchtbares Terrain für Deppologen ist die Politiken einem leider allzu langen Essay, der die ganze zweite Hälfte des Buches ausmacht, stellt Boxsel eine erbliche Beschränkheit des holländischen Königshauses fest (weshalb der Thronfolger bereits "Wilhelm der Dumme" genannt werde). Eben diese Beschränktheit macht die Oranier überaus geeignet für die konstitutionelle Monarchie: "Mit dem König zelebrieren wir die Dummheit der Demokratie", sagt Boxsel.
Deutschland hat keine königlichen Dummheiten zu bieten. s/ [Präsidiale Leistungen wie das legendäre Lübke-Englisch waren ein schwacher bürgerlicher Ersatz. Und der frühere Kanzler Kohl hat die gegen ihn gerichteten Birnen-Witze einfach ausgesessen - eine Erfahrung, die den neuen US-Präsidenten Bush beruhigen dürfte. Wer sich letztlich als der Dumme erweist, ist eben nicht nur eine Frage des Standpunktes, sondern auch der Ausdauer.
In früheren Zeiten, da man Tugenden und Laster gern als schöne Frauen darstellte, hatte auch die Dummheit ihre Gestalt, ihre Attribute und eine weitverzweigte Verwandtschaft: Der spanische Barockschriftsteller Baltasar Gracian gab ihr den Wahn zur Schwester, die Lüge zur Mutter und die Unwissenheit zur Großmutter. (Sein Landsmann Jüan Perez de Moya entwickelt gar einen ganzen "Stammbaum der Trottel", in der aus der Verbindung von "Verlorene Zeit" und "Unwissenheit" ein Heer von Dusseln und Dübeln, Dämlacks und Dösbaddels entsteht, dessen Mitglieder allesamt die Namen von Phrasen und Ausreden tragen. Mit solchen Stereotypen hat die Dummheit die ganze Welt angesteckt - ein Virus, der unheilbar ist, zum Glück aber auch unschädlich für alle vitalen Funktionen.
Auch philosophisch ist die Dummheit unbesiegbar, meint Boxsel. Denn an den Kern der Sache kommt niemand heran. Eine erkannte Dummheit ist bloß eine weitere Weisheit, also keine Dummheit mehr. Wenn Sokrates sagt "Ich weiß, dass ich nichts weiß" - dann weiß er schon deshalb nicht mehr nichts. Die Dummheit unserer Intelligenz, das wiederholt Boxsei in seinem anregenden und reich bebilderten Buch immer wieder, besteht darin, dass wir die Dummheit nicht begreifen. Dummheit ist unerreichbar - jedenfalls für den Verstand. Wer wirklich zum Wesen der Dummheit vordringen will, müsste verstummen, weil verdummen.
Mit der Dummheit, wusste schon Schiller, kämpfen selbst Götter vergebens. Warum dann nicht auch ein niederländischer Privatgelehrter? Boxsei jedenfalls zieht aus seinem dialektischen Schattenboxkampf nur den Schluss: "Lasst uns die Dummheit zu unserer stärksten Seite machen." Überaus viele, scheint es, haben seinen Ruf schon vernommen.
Als die Schildbürger im Tal ein neues Rathaus bauen wollten, fällten sie auf einem Hügel Baumstämme und trugen sie mühsam den Hang hinunter. Einer der Stämme fielen ihnen aus den Händen und rollte von allein hinunter. So geht es ja viel leichter, freuten sich die Schildbürger und trugen flugs alle Stämme wieder den Berg hinauf, um sie auf die neue Weise hinunter zu befördern. Diese Anekdote zeigt: Gehobene Blödheit setzt schon wieder Intelligenz voraus. Allerdings nicht zu viel.
Schilda ist überall, und um der grassierenden Dummheit beschreibend Herr zu werden, ist ein enzyklopädischer Ansatz nötig. Bisher hat sich die Literatur um dieses zentrale Thema weitgehend herumgedrückt, Die Morologie (von morus = närrisch) steckt noch in Babysöckchen, eine Systematik scheint unmöglich. Als gescheitert gelten kann jedenfalls der Versuch des Pfarrers und Goethe-Freundes Johann Caspar Lavater, der Dummheit ein wissenschaftliches Gesicht zu geben; seine "physiognomischen Fragmente", die etwa eine fliehende Stirn mit mangelnder Intelligenz kurzschließen, sind etwa so treffgenau wie die heute gern praktizierte Gleichsetzung von Glatzen und Hohlköpfen.
Gescheitert ist auch der größte Kartograph der Dummheit: der französische Romancier Gustave Flaubert. Sein "Lexikon der Gemeinplätze", das die ganze, ihm zutiefst verhasste Krämerzivilisation des 19. Jahrhunderts in seinen Phrasen kenntlich machen wollte, blieb unvollendet liegen. Der holländische Autor Matthijs van Boxsei ist kein Sammler des laufenden Flachsinns, sondern Philosoph und Deuter desselben. Seit zehn Jahren studiert er das Phänomen in allen Aspekten. Jetzt hat er mit einer "Enzyklopädie der Dummheit" den Stier bei den ) Hörnern, pardon: den Esel bei den Ohren gepackt.
Boxsels überraschender Ansatz: Er betrachtet Dummheit nicht als Mangel, sondern als eigene Qualität. Natürlich nicht im Sinne christlicher Tradition, der die Einfalt immer heilig war und der Arme im Geiste erster Anwärter auf das Himmelreich. Nein, für Boxsel ist Dummheit die Voraussetzung der Zivilisation, ja ihr "mystisches Fundament". Weil der Mensch von Natur aus ein Dussel ist, musste er Intelligenz entwickeln, um zu überleben; diese Intelligenz wird aber ihre dusselige Herkunft nicht los. Kultur ist nichts anderes als "der Versuch, unsere Dummheit in . den Griff zu bekommen" - mit durchaus begrenztem Erfolg.
Dumm ist vor allem falsch angewandte Intelligenz: Das haben schon Henri Bergson und Sigmund Freud erkannt und als ewig sprudelnde Quelle der Komik ausgemacht. Aber während sie, wie fast alle Trottelforscher, die Dummheit von außen betrachten (und ihr Wesen deshalb verfehlen), setzt sich Boxsel ihr mutig aus. Wer meint, er sei nicht dumm, hat schon das Gegenteil bewiesen, während das Eingeständnis "Ich bin dumm" sich selbst dementiert, weil es durch Einsicht von Weisheit zeugt. Nur auf solch paradoxe Weise, meint Boxsel mit Recht, kann man sich dem Phänomen überhaupt nähern.
Ein fruchtbares Terrain für Deppologen ist die Politiken einem leider allzu langen Essay, der die ganze zweite Hälfte des Buches ausmacht, stellt Boxsel eine erbliche Beschränkheit des holländischen Königshauses fest (weshalb der Thronfolger bereits "Wilhelm der Dumme" genannt werde). Eben diese Beschränktheit macht die Oranier überaus geeignet für die konstitutionelle Monarchie: "Mit dem König zelebrieren wir die Dummheit der Demokratie", sagt Boxsel.
Deutschland hat keine königlichen Dummheiten zu bieten. s/ [Präsidiale Leistungen wie das legendäre Lübke-Englisch waren ein schwacher bürgerlicher Ersatz. Und der frühere Kanzler Kohl hat die gegen ihn gerichteten Birnen-Witze einfach ausgesessen - eine Erfahrung, die den neuen US-Präsidenten Bush beruhigen dürfte. Wer sich letztlich als der Dumme erweist, ist eben nicht nur eine Frage des Standpunktes, sondern auch der Ausdauer.
In früheren Zeiten, da man Tugenden und Laster gern als schöne Frauen darstellte, hatte auch die Dummheit ihre Gestalt, ihre Attribute und eine weitverzweigte Verwandtschaft: Der spanische Barockschriftsteller Baltasar Gracian gab ihr den Wahn zur Schwester, die Lüge zur Mutter und die Unwissenheit zur Großmutter. (Sein Landsmann Jüan Perez de Moya entwickelt gar einen ganzen "Stammbaum der Trottel", in der aus der Verbindung von "Verlorene Zeit" und "Unwissenheit" ein Heer von Dusseln und Dübeln, Dämlacks und Dösbaddels entsteht, dessen Mitglieder allesamt die Namen von Phrasen und Ausreden tragen. Mit solchen Stereotypen hat die Dummheit die ganze Welt angesteckt - ein Virus, der unheilbar ist, zum Glück aber auch unschädlich für alle vitalen Funktionen.
Auch philosophisch ist die Dummheit unbesiegbar, meint Boxsel. Denn an den Kern der Sache kommt niemand heran. Eine erkannte Dummheit ist bloß eine weitere Weisheit, also keine Dummheit mehr. Wenn Sokrates sagt "Ich weiß, dass ich nichts weiß" - dann weiß er schon deshalb nicht mehr nichts. Die Dummheit unserer Intelligenz, das wiederholt Boxsei in seinem anregenden und reich bebilderten Buch immer wieder, besteht darin, dass wir die Dummheit nicht begreifen. Dummheit ist unerreichbar - jedenfalls für den Verstand. Wer wirklich zum Wesen der Dummheit vordringen will, müsste verstummen, weil verdummen.
Mit der Dummheit, wusste schon Schiller, kämpfen selbst Götter vergebens. Warum dann nicht auch ein niederländischer Privatgelehrter? Boxsei jedenfalls zieht aus seinem dialektischen Schattenboxkampf nur den Schluss: "Lasst uns die Dummheit zu unserer stärksten Seite machen." Überaus viele, scheint es, haben seinen Ruf schon vernommen.