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Enzym gegen Alkohol
Eine zu schöne Evolutionsgeschichte

Die Evolution ist eine gut bestätigte Tatsache. Wie Anpassung im Detail funktioniert, ist aber oft unklar. Das gilt auch für die Fähigkeit der Fruchtfliegen, Alkohol schneller abzubauen als andere Fliegenarten. Neue Forschungen führen wohl dazu, dass hier Lehrbücher umgeschrieben werden müssen.

Von Volkart Wildermuth | 17.01.2017
    Eine Fruchtfliege (drosophila melanogaster) auf einem Blatt.
    Fruchtfliegen können Alkohol schneller abbauen als verwandte Fliegenarten. (imago stock&people / blickwinkel)
    Wer eine Banane eine Weile herumliegen lässt, kann sicher sein, Fruchtfliegen anzulocken. Denn die ernähren sich von den Agenten der Zersetzung, den Hefepilzen und Bakterien. Sie haben auch kaum Konkurrenz, denn nah verwandte Fliegenarten können mit den hohen Alkoholkonzentrationen in faulendem Obst schlicht nicht umgehen. Ende der Achtziger haben Genetiker entdeckt, dass die Fruchtfliegen eine besonders arbeitseifrige Version der Alkoholdehydrogenase haben. Diese Variante des kurz ADH genannten Enzyms baut den Alkohol schneller ab und machte den Fruchtfliegen damit den Weg frei zu ihrer Leibspeise.
    "Das ist ein Lehrbuchbeispiel der Evolutionsbiologie für die genetische Basis einer Anpassung an die Umwelt."
    Die Theorie von der ADH-Mutation bei den Fruchtfliegen
    Und das aus gutem Grund, sagt Joe Thornton, Professor für Ökologie und Evolution an der Universität Chicago. Denn alle in den Achtzigern verfügbaren Experimente unterstützen die Theorie von der ADH-Mutation als entscheidender Schritt in der Fruchtfliegen-Evolution. Die Wissenschaft hat sich seitdem aber weiterentwickelt. Und deshalb sah sich Joe Thornton das Lehrbuchbeispiel der Evolution noch einmal genauer an. Als ersten Schritt unternahm er eine Reise in die genetische Vergangenheit der Fruchtfliegen. Er verglich alle verfügbaren ADH-Gen-Sequenzen mit statistischen Methoden.
    "Es gibt so viele ADH-Gen-Sequenzen, dass wir mit sehr großer Gewissheit den gemeinsamen Vorfahren rekonstruieren können, von dem die heutigen Fruchtliegen genauso abstammen, wie ihre Verwandten, die nicht mit dem Alkohol in faulem Obst zurechtkommen."
    Diese historische Gensequenz hat Joe Thornton dann auf Fruchtfliegen übertragen. So konnte er quasi den Vorfahr der heutigen Fruchtfliegen auferstehen lassen, zumindest was die Alkoholdehydrogenase betrifft. Dann setzte er diesen historisierten und den normalen Fruchtfliegen fauliges Obst vor.
    "Es stellte sich heraus: Die Fliegen mit dem historischen Gen kommen genauso gut oder schlecht mit Alkohol klar wie die modernen Fruchtfliegen. Das widerspricht der akzeptierten Darstellung, dass es Veränderungen in der ADH waren, die es den Fruchtfliegen erlauben, hohe Alkoholkonzentration zu überstehen."
    Andere genetische Veränderungen für Alkoholtoleranz verantwortlich
    Wahrscheinlich sind andere genetische Veränderungen für ihre Alkoholtoleranz verantwortlich. Die könnten zum Beispiel Zellen anregen, einfach mehr ADH zu bilden, oder die Aktivität von anderen Genen im Abbauweg des Alkohols verstärken. Diese Hypothesen lassen sich über die Kombination aus genetischer Rekonstruktion des Vorläufergens und der Produktion teilweise historisierter Tiere testen. Dank der neuen crispr/Cas9-Methode sollte sich dieser Ansatz auch bei anderen Tierarten umsetzen lassen. Joe Thornton vermutet, dass sich noch einige allzu schöne Geschichten aus der molekularen Evolution als Märchen herausstellen werden. Unterm Strich aber wird der neue experimentelle Ansatz die Evolutionsbiologie stärken. Denn eine einzelne falsche Geschichte stellt die Tatsache der Evolution nicht infrage.
    "Es wäre verrückt, wenn das jemand behaupten würde. Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich das ADH-Gen verändert hat. Es besteht kein Zweifel daran, dass heutige Fruchtfliegen mit mehr Alkohol zurechtkommen, als ihre Vorfahren. Unser Ergebnis ändert nichts daran, dass sich Arten über Mutation und Selektion anpassen. Wir eröffnen nur den Blick auf die Details hinter diesem Prozess."