Leben mit Epilepsie
„Ich bin nicht meine Krankheit“

Jeder zehnte Mensch erlebt einmal im Leben einen epileptischen Anfall. Bei manchen Patienten sind die Anfälle selten, bei anderen häufig. Doch wie lebt man mit der Krankheit? Eine Betroffene berichtet.

    Hände halten ein kopfförmiges Bild mit Darstellungen von Nerven- und Gehirnaktivitäten.
    In Deutschland leben rund 600.000 bis 800.000 Menschen mit einer Epilepsie. (picture alliance / Zoonar / Berit Kessler)
    „Ich habe Epilepsie seit meiner Jugend, seitdem ich 15 Jahre alt bin. Diagnostiziert wurde die Epilepsie aber erst, als ich 35 war“, sagt Sybille Burmeister. Sie ist ehrenamtliche Sprecherin der deutschen Epilepsie-Vereinigung. Die Diagnose wollte sie zuerst nicht wahrhaben, erzählt Burmeister.
    Von Epilepsie spricht man, wenn Anfälle mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten. Es gebe dabei ein „breites Spektrum“, sagt Professor Felix von Podewils. Er ist Leiter des Interdisziplinären Epilepsiezentrums für Jugendliche und Erwachsene an der Universitätsmedizin Greifswald. Manche Patienten hätten schwere Anfälle mit Zuckungen und einem Krampfen, andere kurze Ausfälle des Bewusstseins, sogenannten „Absencen“. Da die Diagnose nicht immer einfach ist, landen manche Betroffene erst beim Internisten, bevor irgendwann ein Neurologe eine Epilepsie feststellt.

    Viele verschiedene epileptische Anfälle

    Als „wiederholte unkontrollierte Entladungen von Nervenzellen im Gehirn“ beschreibt von Podewils die Erkrankung. Je nachdem, wo diese Entladungen im Gehirn auftreten, verursachen sie unterschiedliche Symptome. „Deshalb sind Anfälle auch so verschieden“, so der Mediziner. Ganz wichtig ist aus seiner Sicht: Nicht jeder erste epileptische Anfall bedeute auch eine Epilepsie.
    Entscheidend für die Diagnose Epilepsie sei, „dass die Anfälle unprovoziert sein müssen“, so der Professor. Wenn mindestens zwei „unprovozierte epileptische Anfälle“ aufgetreten seien, spreche man von einer Epilepsie. Das Risiko, dass dann weitere Anfälle auftreten, sei dann sehr hoch. „Unprovoziert“ bedeutet, dass kein auslösender Faktor gefunden wurde. „Provozierte“ Fälle entstehen zum Beispiel durch den Entzug von bestimmten Substanzen, etwa Alkohol, oder durch Medikamente, die eingenommen wurden. Dann sei das Risiko für Folgeanfälle geringer.
    Bei der Epilepsie gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Anfallsformen. Der Fachmann nennt Anfälle, die mit einer Bewusstseinsstörung einhergehen, Anfälle ohne Bewusstseinsstörung und länger dauernde Anfälle. Die sogenannten fokalen Anfälle gehen von einer bestimmten Region im Gehirn aus. Je nachdem, welche Hirnregion betroffen ist, kommt es zu unterschiedlichen Symptomen - also Zuckungen, veränderte Gefühlswahrnehmungen oder Sprachstörungen. Die Anfälle können sich auch auf das gesamte Gehirn ausbreiten – und dann zu einem großen, sogenannten „Grand mal“-Anfall werden (siehe auch Verhaltensregeln bei Grand-mal-Anfällen).

    Auf die Diagnose folgten depressive Phasen

    Einen solchen „Grand mal“-Anfall erlebte Sybille Burmeister 2006 im Alter von 35 Jahren. „Ich glaub, es war der Tag vor Christi Himmelfahrt. Ich musste nicht arbeiten, als ich in einem wirklich ganz miserablen Zustand im Gästezimmer meiner Wohnung wieder zu mir gekommen bin", erzählt sie. Im Krankenhaus sei dann Epilepsie diagnostiziert worden.
    „Nach dieser offiziellen Diagnose wollte ich es zuerst nicht wahrhaben", so Burmeister. "Epilepsie? Ich? Nein, auf gar keinen Fall. Ja, okay, ich muss jetzt Medikamente nehmen. Aber irgendwie hat es mir mit so einer Art Verzögerung den Boden unter den Füßen weggehauen.“ Jedes Mal, wenn sie anderen Menschen davon erzählt habe, sei sie auf der Stelle in Tränen ausgebrochen. „Ich habe mich irgendwie ganz, ganz schrecklich gefühlt, habe auch immer so das Gefühl gehabt: Die Leute rücken so ein Stück von mir weg, als ob Epilepsie etwas Ansteckendes ist.“ Burmeister erzählt, dass sie im Laufe der ein, zwei Jahre nach der Diagnose schwere depressive Phasen durchgemacht habe.
    Etwa jeder zehnte Mensch bekommt irgendwann im Laufe seines Lebens einen epileptischen Anfall. Der Anteil der Bevölkerung, die an Epilepsie leiden, liegt hingegen bei 0,4 bis 1,0 Prozent. In Deutschland entspricht das rund 600.000 bis 800.000 Menschen. „Die Kunst ist eben, nach dem ersten Anfall herauszukriegen, ist es eine Epilepsie – oder bleibt es bei dem einen Anfall“, sagt Felix von Podewils.

    Kinder und Ältere betroffen

    Es gibt auch epileptische Anfälle, die sehr kurz sind, „Absencen“, die nur wenige Sekunde dauern. Diese Anfälle kommen öfter bei Kindern vor. Gekennzeichnet sind sie durch eine Art kurzer Abwesenheit. „Wenige Sekunden mit einem bestimmten Muster im EEG. Damit kann man es beweisen“, so von Podewils. Solche Anfälle können viele Male am Tag auftreten. Die Folgen für das Kind können etwa Lernschwierigkeiten in der Schule sein.
    Kindliche Epilepsien sind häufig genetisch bedingt. In höheren Altersstufen kommt eine "Plateauphase", in der die Neuerkrankungsrate sehr gering ist. Ab dem 55. bis 60. Lebensjahr nimmt das Risiko, eine Epilepsie zu bekommen, wieder zu – etwa als Folge von Tumoren, Schlaganfällen und Verletzungen.

    Dem größten Teil der Betroffenen kann geholfen werden

    „Wir haben das Glück, dass wir in der Epileptologie sehr viele Medikamente zur Verfügung haben. Auch sehr gute, neue Wirkstoffe, die wesentlich weniger Nebenwirkungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten haben“, sagt der Mediziner Felix von Podewils. Dem größten Teil der Menschen mit Epilepsie könne damit geholfen werden – im Sinne von „Anfallsfreiheit“.
    „Du musst die Krankheit akzeptieren. Die geht nicht mehr weg. Die bleibt ein ganzes Leben. Im Zweifelsfall auch, wenn man nicht mehr viele Anfälle hat“, sagt Sybille Burmeister. Ihren letzten großen Anfall hatte sie 2021. „In gewisser Weise stehe ich jeden Morgen auf mit dem Gedanken an die Epilepsie.“ Sie habe den ganzen Tag ein bisschen das Gefühl, als ob ein Damoklesschwert über ihr schwebe. „Es geht immer mit und jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe, mein müdes Haupt auf mein Kissen bette, bin ich dankbar, wenn nichts passiert ist. Ich sage für mich selber immer, ich habe Epilepsie, ich bin keine Epileptikerin. Ich bin nicht meine Krankheit.“

    tei, basierend auf der Sendung "Sprechstunde" vom 22.04.2025