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Epizentrum des Terrors: Pakistan

In Pakistan hat sich Osama bin Laden versteckt gehalten und das weltweit fundamental-islamistische Terrornetzwerk Al-Kaida gelenkt. Im Mai 20011 wurde er von einer US-Spezialeinheit getötet. In Pakistan gibt es bis heute viele Sympathisanten, die dem Terrornetzwerk nahe stehen.

Von Kai Küstner | 02.02.2013
    "Je mehr ihr mit den Drohnen tötet, umso mehr werden Euch die Menschen hassen"

    Ruft Imran Khan den USA zu.

    Der vom ehemaligen Cricket-Weltstar zum populären pakistanischen Politiker mutierte Imran Khan weiß eins ganz genau: dass er mit seiner heftigen Kritik an den USA und deren Anti-Terror-Bekämpfung in Pakistan Türen einrennt, die ohnehin schon offenstanden, sich nun aber immer weiter zu öffnen scheinen. Über 90 Prozent der Pakistanis lehnen die ständigen Angriffe mit den unbemannten Flugkörpern laut Umfragen ab. Auch weil dabei immer wieder unschuldige Zivilisten sterben:

    ""Die Angriffe bewirken, dass immer mehr Menschen sich gegen Amerika wenden. Und weder die USA noch unsere Regierung geben irgendwelche Informationen preis, wer dabei eigentlich getötet wird."

    Beklagt der Pakistan-Experte Ahmed Rashid. Mit den Drohnen machen die USA Jagd auf Top-Terroristen. Versuchen, mit den lautlosen Präzisions-Waffen die Führungsebene der Taliban und von Al Kaida auszuschalten, die im berüchtigten Grenzgebiet Pakistan/Afghanistan Unterschlupf findet:

    "Vom Sicherheitsaspekt her können Sie sagen: Die Drohnen-Angriffe sind sehr effektiv verglichen mit anderen Militär-Aktionen. In den vergangenen zwei Jahren verzeichnen wir einen 25-prozentigen Rückgang von Anschlägen in Pakistan. Ein Hauptgrund sind die Drohnen-Angriffe."

    So der Chef des Pakistanischen Instituts für Friedensstudien. Und das dürfte auch der Grund sein, warum unter dem Friedens-Nobel-Preisträger Barack Obama die Zahl der Angriffe drastisch zugenommen hat. Über das Thema Drohnen direkt redet Obama nicht gern. Über Al Kaida durchaus, so verkündete er bei seinem Afghanistan-Besuch im Mai vergangenen Jahres den US-Soldaten dort:

    "Wir haben die Al-Kaida-Führung zerschlagen, haben 20 von ihren 30 Top-Leuten ausgeschaltet. Das Ziel, das ich ausgegeben habe - Al-Kaida zu besiegen und zu verhindern, dass sich die Organisation neu gruppiert - ist in Reichweite."

    In der Tat - selbst härteste Kritiker bescheinigen dem Westen: wenn der Afghanistan-Krieg eins bewirkt habe, dann immerhin die ernsthafte Schwächung der Terror-Organisation in der Region. Der indische Terrorismus-Experte Sreeram Chaulia warnt allerdings davor, jetzt schon eine Grabinschrift für Al Kaida zu formulieren:

    "Die Fähigkeit, weltweit zuzuschlagen, mag zurückgegangen sein. Al Kaida mag derzeit nicht in der Lage sein, größere Anschläge in Europa oder den USA auszuführen. Aber regional bleibt die Organisation ein wichtiger Mitspieler. Und einige ihrer Ableger oder Nachahmer sind auf der ganzen Welt aus dem Boden geschossen."

    Die Gefahr bleibe so lange bestehen, solange in der islamischen Welt das Gefühl vorherrsche, sozusagen der Fußabtreter der Geschichte zu sein. Osama Bin Laden habe genau dieses Ohnmachts-Gefühl vieler Muslime ausgenutzt, meint der Politik-Wissenschaftler:

    "Wenn Sie sich die Propaganda von Al-Kaida angucken, ihre Videos, ihre Rekrutierungs-Techniken, dann ist die Grundlage immer: Muslime sind die Opfer. Und es gibt eben genug Fälle, wo das zutrifft oder wo es zumindest so scheint".

    Palästina, Afghanistan, Kaschmir - all diese ungelösten Konflikt-Herde machen es den Hardlinern so einfach, mit ihrer Propaganda durchzudringen. Umgekehrt geht deshalb auch die größte Gefahr für Al-Kaida nach Ansicht vieler Experten nicht von Militär-Angriffen gegen sie aus. Sondern von demokratischen Bewegungen in den muslimischen Ländern selbst.

    Osama bin Laden von US-Truppen getötet. Auf pakistanischem Boden. Die Nachricht vom 2. Mai 2011 hat die Region, wenn nicht gar die Welt verändert. Ein für die USA - auch psychologisch - wichtiger Schlag gegen Al Kaida. Was aber nicht hieß, dass damit der Terrorismus aus der Region Südasien, aus Afghanistan, aus Indien, aus Pakistan vor allem verschwunden wäre:

    "Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass Pakistan das Zentrum des globalen Extremismus und Terrorismus darstellt. Es beherbergt alle erdenklichen Netzwerke: die Taliban, Al-Kaida, pakistanische Gruppen, zentral-asiatische Gruppen und so weiter. Und es gibt eben einen Widerwillen des Militärs, gegen sie vorzugehen."

    Diagnostiziert der pakistanische Buchautor Ahmed Rashid. Das ist genau die Klage, die sich der Westen so klar zu benennen zwar oft scheut, aber hinter vorgehaltener Hand fast schon verzweifelt vorbringt: dass nämlich das pakistanische Militär zwar einige Gruppen, den pakistanischen Arm der Taliban, vehement bekämpft. Aber andere, die afghanischen Taliban etwa, verschont. Oder gar immer noch, als heimliche Verbündete betrachtet.

    "In den letzten 30 Jahren haben wir den Mujaheddin, den Taliban Rückzugsräume zur Verfügung gestellt. Wir sind dafür verantwortlich, viele dieser Gruppen gepäppelt zu haben. Von denen die Armee in den 80ern und 90ern dachte: Die ließen sich kontrollieren. Dann kam der Krieg 2001. Und die gesamte Führung der Taliban und von A- Kaida zog sich nach Pakistan zurück. Andere Extremisten haben sich ihnen angeschlossen: zentralasiatische, chinesische Muslime, Tschetschenen, neue Militante, die in Afrika, im Irak, in Europa heranwuchsen. Und jetzt würden Regierung und Militär das vielleicht gerne ändern, aber es gibt weite Gebiete, die sie nicht mehr kontrollieren können."

    Das bedeutet: Al-Kaida mag in Pakistan und Afghanistan stark, wenn nicht gar entscheidend geschwächt sein. Aber: es gibt viele andere Gruppen - nicht zuletzt die Taliban - die weiterhin eine tödliche Gefahr darstellen. Auch für die ausländischen Truppen.

    Und es gibt Netzwerke wie Lashkar-e-Toiba, die für alle größeren Anschläge in Indien in den letzten Jahren verantwortlich zu machen sein dürften. Die einzige Lösung für zumindest ein Problem in der Region sehen viele in echten Verhandlungen des Westens mit den Taliban. Um ein halbwegs friedliches Afghanistan zu garantieren, scheint das unumgänglich. Andere Konflikte aber wären damit noch nicht gelöst. Dafür müsste es zu einer echten Annäherung zwischen Indien und Pakistan kommen. Zwei Atommächten. Die Militanten werden versuchen, das mit allen Mitteln zu verhindern.