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"Er fühlt sich wie ein normaler Mensch"

Medizin.- Von den einen wird sie bejubelt, von den anderen kritisch beäugt: die Gentherapie. In der Zeitschrift "Nature" wird nun von einem jungen Mann berichtet, der Dank einer Gentherapie von einer schweren Form der Blutarmut geheilt wurde.

Von Volkart Wildermuth |
    Die beta Thalassämie gehört zu den häufigsten Erbkrankheiten. Aufgrund von Mutationen im beta-Globin-Gen bilden die Patienten nicht genug Hämoglobin, ihre roten Blutkörperchen sind instabil, die Folge ist eine gefährliche Blutarmut. Seit seinem dritten Lebensjahr war der heute 21-jährige Patient von Philippe Leboulch deshalb auf Blutkonserven angewiesen.

    "Ohne regelmäßige Transfusionen hätte er nicht überlebt. Einmal im Monat erhielt er rote Blutkörperchen. Die dauernden Transfusionen führen zu einem Eisenüberschuss. Das Eisen muss entfernt werden, sonst stirbt der Patient. Also musste er an fünf Nächten in der Woche an eine Apparatur, die das Eisen aus dem Körper ableitet. Glücklicherweise gibt es dafür inzwischen eine Pille, aber all das zusammen war sehr schwierig für ihn."

    Philippe Leboulch arbeitet an der Universität von Paris und der amerikanischen Harvard Medical School an einer Gentherapie für die beta Thalassämie. Die grundlegende Idee ist bestechend einfach: Zuerst werden kranke Stammzellen aus dem Knochenmark isoliert. Dann nutzt man ein Virus, um ein gesundes beta-Globin Gen dauerhaft in der Erbsubstanz dieser Zellen zu verankern. Eine kurze Chemotherapie schafft Platz im Knochenmark. Die geheilten Stammzellen werden zurückübertragen, siedeln sich in der freien Nische im Knochenmark an und produzieren von da an fleißig rote Blutkörperchen. Entscheidend für den Erfolg dieses Konzeptes ist die Wahl des richtigen Transportvehikels für das gesunde Gen. Philippe Leboulch hat sich für einen Verwandten des Aids-Virus entschieden.

    "Das ganze Feld der Gentherapie setzt inzwischen auf solche Viren, wenn es um die dauerhafte Übertragung von Genen geht. Wir machen sie sicher, in dem wir alle Gene von HIV entfernen. Wir nutzen sozusagen nur die Hülle des Virus."

    Aus Sicht der Gentherapeuten hat so ein leeres HI-Virus zwei Vorteile:

    Erstens ist viel Platz darin, es kann sowohl ein komplettes beta-Globin-Gen als auch wichtige genetische Steuerelemente transportieren. Der zweite Vorteil dieser Viren besteht darin, dass sie die DNA fest auch in Zellen einbauen können, die sich nicht teilen. Das erhöht die Effizienz der Genübertragung entscheidend. Nach vielen Tierversuchen war Philippe Leboulch überzeugt, dass sein Globin-Virus nicht nur effektiv, sondern auch sicher arbeitet. Am 7. Juni 2007 wurden die genetisch geheilten Knochenmarksstammzellen in die Blutbahn seines Patienten gespritzt. Nach ein paar Wochen wurde er aus der Klinik entlassen, benötigte aber immer noch Transfusionen. Die neuen Zellen brauchten Zeit, sich anzusiedeln.

    "In unserem Fall dauerte es ein Jahr, bis der Patient auf die Transfusionen verzichten konnte. Inzwischen kommt er seit über zwei Jahren ohne aus. Er hat immer noch eine leichte Blutarmut, die Hämoglobinwerte sind etwas niedrig, aber er bildet genug rote Blutkörperchen um ohne Blutkonserven auszukommen und ein normales Leben zu führen. Zum ersten Mal hat er jetzt eine Vollzeitstelle, als Koch in einem Pariser Restaurant. Er fühlt sich wie ein normaler Mensch."

    Statt ihm Transfusionen zu verabreichen, wird ihm inzwischen sogar regelmäßig Blut abgenommen, um so langsam den Eisenüberschuss zu beseitigen. Ein großer Erfolg. Es gibt allerdings, wie so oft bei der Gentherapie, auch ein Problem. Die Forscher können nicht beeinflussen, wohin genau das Transportvirus das Gen ausliefert. In diesem Fall ist es bei einigen Stammzellen in das HMGA-2 Gen geraten.

    "Dieses Gen spielt eine Rolle bei einigen gutartigen Tumorformen. Wir überwachen das sorgfältig. Seit vielen Monaten ist die Situation stabil. Bei jeder Behandlung muss man Nutzen und Risiko abwägen. Zurzeit sind wir nicht allzu besorgt."

    Dass Krebsgene durch eine Gentherapie aktiviert werden, ist schon in mehreren Studien beobachtet worden. So wurden ebenfalls in Paris Kinder mit einer tödlichen Immunschwäche mit einer Gentherapie behandelt. Eines starb an einer dadurch ausgelösten Leukämie. Der Fall war tragisch, ohne Behandlung hätte das Kind aber ebenfalls nicht überlebt. Die anderen Kinder in der Studie wurden erfolgreich geheilt. Dieses Beispiel und auch die neuen Ergebnisse zeigen: eine Gentherapie kann das Leben von Patienten dramatisch verbessern. Ohne Risiko ist aber auch diese Behandlung nicht. Philippe Leboulch will sein Konzept deshalb vorsichtig weiterentwickeln. Der nächste Patient mit einer Anämie wird Anfang nächsten Jahres behandelt werden.