Archiv


"Er hat eigentlich nichts, was zum Repräsentanten gehört"

In Frankreich tobt eine Debatte über Nikolas Sarkozys Pläne, den existenzialistischen Schriftsteller, Philosophen Albert Camus ins Panthéon zu versetzen Dass ausgerechnet der Vorschlag von Präsident Sarkozy kommt, sei absurd, heißt es.

Jürgen Ritte im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Das Panthéon in Paris gilt gleichsam als der Altar, an dem die laizistische Republik die Helden der Grande Nation verehrt, und wer von den großen Toten Frankreichs eine Ruhestätte im Souterrain des Paris Panthéons findet, das darf allerdings nur der französische Staatspräsident entscheiden. François Mitterand machte seinerzeit von seinem Vorschlagsrecht fünfmal Gebrauch, sein Nachfolger Jacques Chirac nur zweimal. Vergangene Woche wurde nun bekannt, dass sich Nikolas Sarkozy den französischen Literaturnobelpreisträger Albert Camus ins Panthéon wünscht. Ja, Sie haben richtig verstanden, Albert Camus, und zwar an dessen 50. Todestag. Camus kam am 4. Januar 1960 bei einem Autounfall ums Leben. Also gar nicht mehr lange hin bis zu der Entscheidung, und inzwischen hat sich um das präsidiale Vorhaben nun doch eine lebhafte Debatte entzündet. Frage an Jürgen Ritte in Paris: Man fragt sich ja unwillkürlich, ja, ist es nicht absurd, dass ausgerechnet ein Nikolas Sarkozy einen Albert Camus vorschlägt?

    Jürgen Ritte: Ja, absurd offenbar in mehrfacher Hinsicht, wenn man den Autor des Absurden ins Panthéon stellen will. Dass Nikolas Sarkozy darauf kommt, hat natürlich innenpolitische Gründe. Der 4. Januar, da sind wir noch drei Monate von den Regionalwahlen entfernt, die Aussichten sind schlecht, und also versucht Nikolas Sarkozy alles, um sich wieder als Vater aller Franzosen darzustellen, indem er eben mit Albert Camus eine, wie er glaubt, sehr konsensfähigen Schriftsteller ins Panthéon befördern will und er sich damit im Grunde genommen auch ein bisschen besser darstellen kann, hofft darstellen zu können - auch bei einer intellektuellen Öffentlichkeit, mit der er bisher eher auf Kriegsfuß lebt.

    Schossig: Nun gibt es vielfältige Einwände, Herr Ritte, manche sagen, es sei grausam, Camus' Leichnam vom idyllischen Friedhof in Südfrankreich mit dem Pomp des Staatsbegräbnisses in die Grabeskälte des Panthéon zu überführen. Aber davon wird sich Sarkozy - Sie haben es ja angedeutet - am allerwenigsten beeindrucken lassen. Er hat ja auch das Einverständnis der Tochter Camus', hört man.

    Ritte: Ja, obwohl das nicht ganz so sicher ist, wie man aus "Le Monde", aus der Onlineversion von "Le Monde" heute hört, Madame Catherine Camus ist sich nicht ganz so sicher, wie sie sagt, obwohl sie im Prinzip nichts dagegen hat. Also das ist der Stand der Dinge. Aber ihr Zwillingsbruder Jean ist offenbar vehement gegen die Umbettung das Vaters von Lourmarin ins Panthéon. Das Argument, das einige etwas vernünftigere Leute vorbringen, ist, dass Camus nun wirklich der ungeeignetste französische Schriftsteller ist fürs Panthéon. Camus war der Mann in der Revolte, der Mensch in der Revolte, Revolte gegen die Geschichte und Revolte zugunsten des einzelnen Menschen. Er hat eigentlich nichts, was zum Repräsentanten gehört. Und wenn man sich anschaut, welche französischen Schriftsteller im Panthéon liegen, dann sind das doch auch alles Repräsentanten gewesen, die auch zu ihren Lebzeiten gerne Repräsentanten waren, einer Idee, der Republik oder wie auch immer.

    Schossig: Da kommt man ja nun gleich auf bedeutende Persönlichkeiten, von der Linken vor allem, die natürlich sofort jetzt statt Camus Jean-Paul Sartre vorschlagen, der doch weit würdiger als Camus sei, ins Panthéon aufgenommen zu werden. Diese Einwände waren oder sind ja eigentlich vorauszusehen. Zeigen sie doch aber ideologische Bruchlinien in Frankreich?

    Ritte: Ja, ich glaube kaum, das nehme ich nicht ganz so ernst. Also Jean-Paul Sartre vorzuschlagen, kann ja nur ein Witz sein. Sartre ist ja der, der den Nobelpreis abgelehnt hat im Gegensatz zu Camus, und ein französischer Literaturkritiker, der berühmte Bernard Pivot, unkte am Wochenende im "Journal du Dimanche", dass wenn Camus ins Panthéon überführt wird, einer sich in seinem Grabe kranklachen wird, und das ist Jean-Paul Sartre, der auf dem Cimetière Montparnasse liegt.

    Schossig: Im Grunde, um es abzuschließen, Herr Ritte, zeigt ja eigentlich dieser Vorschlag auch - auch so, wie Sie ihn kommentieren -, dass die Zeiten der Haupt- und Staatsaktionen, mit denen man dann auch irgendwann mal so als Brosamen einen Literaten ehrt, dass das an sich mittlerweile nicht mehr wirklich zeitgemäß ist, dieser Ruhmestempel?

    Ritte: Ja, also er hat irgendwas nicht mehr Zeitgemäßes und noch einmal: Wenn man sich die Figur Albert Camus ansieht und das, wofür er steht, dann ist dieser Pomp wirklich absurd.

    Schossig: Er hätte es auch nicht gewollt.

    Ritte: Das, denke ich, nicht.

    Schossig: Das war Jürgen Ritte zur französischen Debatte über Nikolas Sarkozys Pläne, den existenzialistischen Schriftsteller, Philosophen Albert Camus ins Panthéon zu versetzen.