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"Er hat gestaunt wie ein Kind"

Der polnische Autor und Journalist Ryszard Kapuscinski ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Von 1959 bis 1981 berichtete Kapuscinski aus zahlreichen Krisenregionen der Welt. Bekannt wurde er darüber hinaus mit seinen Büchern über das Ende des Kolonialismus in Afrika. "Das genau Hinschauen aufs Detail, auf das Alltagsleben, die Neugier auf die Menschen, und das macht den literarischen Reiz seiner Reportagen aus," sagt der Schriftsteller Hans-Christoph Buch.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Ryszard Kapuscinski ist 1932 in einem Dorf namens Pinsk im heutigen Weißrussland geboren worden, eine Tatsache, die vielleicht nicht wichtig wäre, hätte er sie selbst nicht als ein Motor seines Schreibens bezeichnet: Wenn man in der tiefsten Provinz geboren ist, ist Neugier überlebenswichtig, hat er formuliert, und nur wer diese "Weltneugier" hat und für immer bewahrt, kann sich an der Welt da draußen richtig berauschen. Frage an Hans Christoph Buch, Autor und Schriftsteller-Kollege, der wie Kapuscinski vor allem auch die armen Weltgegenden bereist, was zeichnete die Reportagen Ihres Kollegen Ihrer Ansicht nach am meisten aus?

    Hans-Christoph Buch: Ich habe Kapuscinski gut gekannt, war mit ihm befreundet und war immer wieder erstaunt über seine Neugier. Das ist das richtige Stichwort, das Sie gegeben haben, er hat gestaunt wie ein Kind über die Details dessen, was er in fremden Ländern, in fremden Kulturen gesehen hat, und er hat sich weniger interessiert für allgemeine Einschätzungen, politische Analysen und so weiter, Verallgemeinerungen über die Dritte Welt. Das war nicht sein Gebiet, sondern das genau Hinschauen aufs Detail, auf das Alltagsleben, die Neugier auf die Menschen, und das macht den literarischen Reiz seiner Reportagen aus.

    Fischer: Kapuscinski ist mit vielen Preisen bedacht worden. Er galt wiederholt auch als Kandidat für den Literaturnobelpreis, und berühmt geworden ist er sehr wahrscheinlich mit seinen Reportagen aus Afrika, "König der Könige", ein Buch über Haile Selassie, den Kaiser von Äthiopien, wäre zu nennen, oder "Afrikanisches Fieber - Erfahrungen aus 40 Jahren". 1958 war er zum ersten Mal dort, hat sich mit dieser unbändigen Neugierde einigem ausgesetzt, Hunger, Bürgerkrieg, Machtkämpfen und so weiter. Er war in dieser Hinsicht ja auch ein Pionier, also ein Mensch, der den Eurozentrismus nicht hat gelten lassen wollen.

    Buch: Ja, er war neugierig auf die anderen und auf die Details des Alltagslebens, und er hat damals unter Pressionen arbeiten müssen, denn es war ja nicht einfach, aus dem kommunistischen Polen auszureisen in die Dritte Welt, und dort hatte er auch nicht die Unterstützung, wie sie westliche Journalisten hatten, mit einem Büro im Hintergrund, mit viel Geld, sprich Dollars in der Tasche. Er war deshalb oft in Lebensgefahr in Afrika, etwa im Kongo, wo er sogar zum Tode verurteilt wurde während der Unruhen nach der Ermordung Lumumbas, und er hat diesen Blick des Underdog immer beibehalten, also er hat die Dinge von unten betrachtet. Er hat mit den Menschen sympathisiert, mit den Opfern der Verhältnisse dort, und sich nicht so sehr interessiert für die große Politik und die großen Akteure.

    Er hat vor Ort in der Dritten Welt sich eher als Feldforscher begriffen, als Ethnologe, wenn man so will, der genau hinschaut und der immer ganz dumme Fragen stellt. Das war sein Markenzeichen, die so genannten dummen Fragen, die ja oft die intelligentesten sind. Er hat mich zum Beispiel mal gefragt in Graz, als wir uns kennen lernten, was ist ein Wiener Schnitzel? Und ich denke nicht, dass ihm das ganz unbekannt war, aber er wollte es eben hören, und die österreichischen Schriftsteller haben dann nicht nur die Wiener Küche, sondern gleich auch noch die politischen Verhältnisse miterklärt. Also diese Art von dummen Fragen, vom Staunen über die Wirklichkeit und von unbegrenzter Neugier, das sind literarische Qualitäten im Gegensatz zu Journalisten, die glauben, den großen Durchblick zu haben und immer alles vorher schon wissen.

    Fischer: Und ist das auch das Vermächtnis dieses Jahrhundertreporters?

    Buch: Das ist sicher sein Vermächtnis. Es zeigt sich auch daran, dass seine Reportagen nicht veraltet sind. Ein Großteil des Journalismus veraltet sofort, hat ein sehr kurzes Verfallsdatum, weil er mit der Aktualität mitgeht, und seine Reportagen haben fast den Charakter von Geschichtsschreibung inzwischen. Wer sich also informieren will über den Sturz des Schahs oder den Sturz des Kaisers Haile Selassie von Äthiopien, der greift zu den Büchern von Kapuscinski, die übrigens im Nachhinein geschrieben wurden, die also zwar die Reportagen vor Ort als Grundlage haben, aber doch literarische Werke sind, die aus der Distanz heraus die Geschichte noch mal erzählen.

    Fischer: Was würden Sie, Hans-Christoph Buch, als Lektüre empfehlen?

    Buch: "Der Fußballkrieg" ist eine seiner eindringlichsten Reportagen über einen vollkommen absurden Krieg nach einem Fußballspiel zwischen Honduras und El Salvador, und dann "Imperium", seine Reise durch die zerfallende Sowjetunion, und ich muss nicht lange erklären, was es bedeutet, als Pole über Russland zu schreiben, als Pole, der noch dazu in den sowjetisch besetzten Ostgebieten aufwuchs zur Zeit des Hitler-Stalin-Pakts. Das ist ein ganz besonders unter die Haut gehendes Buch.