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"Er ist ein linker Nationalist"

Der Präsident der Bolivarianischen Republik Venezuela, Hugo Chávez, schreckt offenbar vor nichts zurück. Dieser Tage empfahl er Offizieren, die den Aufbau des Sozialismus in Venezuela nicht unterstützen wollen, sich doch pensionieren zu lassen. Quo vadis Venezuela? Der Lateinamerika-Historiker Michael Zeuske hat das Buch "Kleine Geschichte Venezuelas" verfasst, das im Mai erscheinen wird.

Moderation: Henning von Löwis | 23.04.2007
    "Gestern war der Teufel hier. Es riecht immer noch nach Schwefel, heute noch. An diesem Tisch, an dem ich gerade stehe, meine Damen und Herren, gestern, meine Damen und Herren kam an dieses Pult der Präsident der Vereinigten Staaten, der Mann, den ich als Teufel bezeichne. Er hat gesprochen, als ob er die Welt besitze. Wahrhaftig, als ob er der Besitzer der ganzen Welt wäre. Ich denke, wir sollten einen Psychiater holen, um die Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu analysieren. Als Sprecher des Imperialismus kam er hierher, um seine Nüstern zu zeigen, um die heutigen Muster der Macht, Privilegien und Ausbeutung der Menschheit zu zementieren. Ein Alfred Hitchcock Film könnte es als Szenario gebrauchen. Ich habe sogar einen Titel für einen solchen Film: "Das Rezept des Teufels"."

    Hugo Rafael Chávez Frias, Präsident der Bolivarianischen Republik Venezuela, 2006 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York.

    Henning von Löwis: Herr Professor Zeuske, Venezuela, das ist dreimal Deutschland, das ist das sechstgrößte Land Südamerikas, das sind rund 25 Millionen Einwohner. Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren sehr intensiv mit Venezuela. Was macht dieses Land so interessant für Sie?

    Michael Zeuske:
    Tja, Venezuela macht interessant, dass es im Grunde eine Mischung fast aller südamerikanischen Landschaften, politischen Systeme und mehrerer Gebirge, Urwälder, großer Flüsse ausmacht.

    Von Löwis:
    Venezuela, das war ja mal "Nueva España". Wie spanisch ist Venezuela heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts?

    Zeuske:
    Also Venezuela war "Tierra Firme", also festes Land. Von den ersten Landungsorten der Spanier in der heutigen Dominikanischen Republik aus definiert, im Grunde der große Kontinent als "Tierra Firme", als festes Land definiert. Also in den Eliten ist Venezuela, vielleicht weniger als Kolumbien, aber doch in ganz erheblichem Maße noch spanisch, indem sie sich vorwiegend als weiß definieren, und vorwiegend auf europäische, wenn auch nicht nur auf spanische, sondern stärker auf französische Kultur noch mit beziehen.

    Von Löwis:
    Michael Zeuske, reden wir über den Mann an der Spitze, den Führer der Bolivarianischen Revolution, Hugo Rafael Chávez Frías. Ein Militär, ein Mann aus dem Volke, manche sagen ein Populist. Wer ist dieser Chávez, wo steht er politisch?

    Zeuske:
    Also wenn ich das mit zwei Worten sagen sollte, würde ich sagen, er ist Nationalist, und er ist ein linker Nationalist. Also insofern steht er Fidel Castro wirklich sehr nahe. Chávez ist ein sehr tiefgläubiger Christ, und Chávez ist mit Sicherheit kein Marxist und kein Kommunist oder ähnliches. Er ist aber insofern ein Mann aus dem Volke, als seine gesamte Biografie bis zu seinem 17., 18. Lebensjahr dadurch geprägt ist, in einem relativ hoch entwickelten Staat Lateinamerikas, des modernen Lateinamerikas, als Landjunge nicht mal die Küste gesehen zu haben, nicht die Hauptstadt gesehen zu haben, und erst auf dem dritten, man kann fast sagen, dem vierten Bildungsweg, nämlich einem Armeebildungsweg, überhaupt in die Zentren des Landes gekommen zu sein.

    Von Löwis:
    Chávez beruft sich auf Bolívar, auf Rodriguez auf Zamora. Karl Marx, ist das ein Name für ihn oder steht der ihm sehr fern?

    Zeuske:
    Eher nicht. Also Karl Marx, das liest er sich wahrscheinlich an. Chávez wird ja beschrieben, schon seit frühester Jugend, noch in Barinas, als er noch in diesem Hinterlandstädtchen war, als ein unermüdlicher Leser, quasi wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, und er hat mit Sicherheit auch Werke von Marx da von den Marxisten zu lesen gekriegt, aber das hat ihn nie sehr interessiert. Also was Chávez interessiert hat, ist sozusagen soziale Gerechtigkeit, Ansatz des Urchristentums, würde ich fast sagen und Nationalismus.

    Von Löwis:
    Als Chávez an die Macht kam, da gab es einen spektakulären Artikel, veröffentlicht von El País von Gabriel García Marquez unter dem Titel "El enigma de los dos Chávez" - "Die Rätsel der zwei Chávez". Gibt es zwei Chávez oder einen?

    Zeuske:
    Es gibt einen mit mehreren Persönlichkeitsmerkmalen ...

    Von Löwis:
    Mit mehreren Gesichtern?

    Zeuske:
    Ja, mit mehreren Gesichtern, weiß ich jetzt nicht ganz genau, das mag sein, aber er ist wie jeder Mensch sozusagen, hat verschiedene Facetten der Persönlichkeit, und Gabriel García Marquez hat das wohl, um den Artikel etwas aufzumotzen, auf diese zwei Persönlichkeiten zurechtgeschnitten. Das erstaunliche ist nicht der Artikel selbst, das erstaunliche ist, dass dieser Artikel im Grunde in der fast gesamten westlichen Presselandschaft benutzt worden ist, um Chávez ... eben in venezolanischer kolloquialer Sprache würde man sagen "El hombre esta loco", also der Mann ist verrückt, oder macht irgendwelche Sachen, die auch verrückt sind.

    Von Löwis:
    Nun liefert er ja auch Munition dafür, ich denke da an den Auftritt in der UNO, seine Teufelsnummer. Ist Chávez vom Teufel geritten, den Präsidenten des mächtigsten Landes der Erde so zu provozieren, so herauszufordern?

    Zeuske:
    Also erstmal muss man ja sagen, insgesamt macht er ja eine Strukturpolitik, Strukturpolitik vielleicht nicht, aber Wirtschaftspolitik, die hält alles ein. Zweitens, er ist ein Mann aus dem Volke auch in dem Sinne, dass er venezolanische Performanzformen und venezolanischen Kolloquialstil sozusagen auslebt und das auch als Redner sozusagen zum Ausdruck bringt. Darin besteht ein Großteil seiner Wirkung. Und das muss man wissen, und so tritt er auch auf. Ich erinnere mich, als er zum ersten Mal wohl in Bonn war auf dem Petersberg, hat er noch gesungen vor versammelter Politikermannschaft, und das gehört auch zu diesem Stil, und ja, da muss man sich halt dran gewöhnen.

    Von Löwis:
    Aber Mister Bush einen Teufel zu nennen, das ist ja starker Tobak.

    Zeuske:
    Das ist starker Tobak.

    Von Löwis:
    Und es ist mutig.

    Zeuske:
    Ja, sicher. Ja, aber ich meine, die urchristlichen Ansätze bei Chávez sind da doch relativ stark.

    Von Löwis:
    Sie haben es erwähnt, der engste Freund des Hugo Chávez heißt Fidel Castro. Ist das nur eine Männerfreundschaft oder ist das viel mehr?

    Zeuske:
    Tja, da bin ich gerade dabei, das im einzelnen zu untersuchen. Das wird wohl auch eine Männerfreundschaft sein, aber es ist zum großen Teil für ein lateinamerikanisches Mittelklassepublikum und linkes Publikum sozusagen der Antritt einer politischen Erbschaft, und das macht Chávez ganz, ganz bewusst.

    Von Löwis:
    Sie bezeichnen in Ihrem Buch Chávez als "charismatischen Strategen". Hätte Chávez das Zeug dazu, ein neuer Fidel für Lateinamerika zu werden?


    Zeuske:
    Er hat auf jeden Fall bessere Ausgangsbedingungen. Fidel war ja als Figur, als Politiker, als Rhetoriker, auch als Weltpolitiker, ich erinnere an die Dritte-Welt-Bewegung, war er ja zu groß für die kleine Insel. Chávez hat da einen ganz anderen Hintergrund.

    Von Löwis:
    Öl im Hintergrund ...

    Zeuske:
    Ja, Venezuela ist eben größer und mächtiger und hat mehr wirtschaftliche Einflusskraft. Also insofern sehe ich seine Ausgangsbedingungen als besser an als die von Castro.

    Von Löwis:
    Herr Zeuske, Stichwort "Alba” - "Alternativa Bolivariana para las Américas” - das Gegenmodell zu einem von den USA dominierten Lateinamerika. Ist das ein schöner Traum?

    Zeuske:
    Als Idee sicherlich gar nicht schlecht, allerdings in der Verwirklichung ist es ja eher, ich sag' es mal ganz vorsichtig, ist es ja eher eine Gegenpropaganda. Sicherlich eine legitimierte Gegenpropaganda. Also wenn man sich Bolivien, Venezuela und Kuba anschaut, da bestehen wirtschaftlich nicht sehr viele Übereinstimmungen, was die sich gegenseitig liefern können. Das ist nicht sehr signifikant. Allerdings als Gegenmodell und als Gegenidee und als, wie gesagt, legitimierte Propaganda würde ich das schon als ganz gut ansehen.

    Von Löwis:
    Könnte Venezuela das Mutterland werden für den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" oder ist das nur ein Schlagwort?

    Zeuske:
    Tja, ob das nur ein Schlagwort bleibt? Das ist auch für mich eine Frage. Man könnte vielleicht zwei Szenarien entwerfen. Also einmal kann die Chávez-Zeit dazu dienen, Venezuela zu stabilisieren und breitere Bevölkerungsgruppen wieder in den politisch-wirtschaftlichen Prozess einzubeziehen. Also im Grunde eine sozialdemokratische Variante. Zweitens könnte es, wenn die anderen Länder auch mit strategischer Vision mitspielen, könnte es durchaus eben auch zu einem Kernpunkt eines sozialistischen Modells für Lateinamerika werden.

    Von Löwis:
    Und wer entscheidet über die Zukunft Venezuelas? Chávez oder der Öl-Preis?

    Zeuske:
    Tja, beide, beide wahrscheinlich.

    Von Löwis:
    Und die USA ...

    Zeuske:
    Ja, ich meine die internationalen Bedingungen auch, die sind ja zur Zeit relativ günstig wegen dieser Flaute. Die USA können ja gar nicht so sehr stark in Lateinamerika mehr Einfluss haben mit dieser Schlappe da im Irak.

    Musik - "Gesang für Bolívar" / Inti Illimani

    Von Löwis:
    Michael Zeuske, Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität zu Köln, Autor des Buches "Kleine Geschichte Venezuelas", Verlag C.H. Beck, München 2007, 11.90 Euro.