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"Er ist ja im Moment der bedeutendste deutsche Dirigent"

Die Stadt München und ihr Philharmoniker-Chef Christian Thielemann erleben Dissonanzen auf Vertragsebene. Der Dirigent von Weltrang ist mit den Bedingungen seiner Vertragsverlängerung nicht einverstanden. Nun schwang er ersatzweise in der Dresdner Staatskapelle den Taktstock - Vorzeichen eines musikalischen Schlusspunkts in München?

    Doris Schäfer-Noske: Was wird aus der Musikstadt München und was aus dem Dirigenten Christian Thielemann? Mit seiner Vertragsverlängerung bei den Münchner Philharmonikern hatte es Probleme gegeben. Zuerst schien alles klarzugehen, doch dann hatte die Stadt München dem Generalmusikdirektor die Entscheidung über Programm und Gastdirigenten nehmen wollen. So stand es im neuen Vertrag. Christian Thielemann weigerte sich, diesen zu unterschreiben, und die Stadt München beschloss daraufhin, ihn gehen zu lassen. Als der Dirigent dann gestern bei der Dresdner Staatskapelle für den erkrankten, scheidenden Kollegen Fabio Luisi einsprang, gab es Gerüchte über einen möglichen Wechsel nach Sachsen. Dabei hatten gerade viele Prominente des Musikbetriebs wie Daniel Barenboim, Pierre Boulez, Dietrich Fischer-Dieskau und Alfred Brendel eine Petition an den Münchner Oberbürgermeister Ude gerichtet, und darin forderten sie die Stadt auf, die Vertragsverhandlungen mit Thielemann wieder aufzunehmen. Frage an Harald Eggebrecht, Musikkritiker der "Süddeutschen Zeitung": Herr Eggebrecht, Thielemann gilt ja als Konservativer, München wird aber von der SPD regiert. Stecken denn womöglich politische Motive hinter dem Konflikt?

    Harald Eggebrecht: Nein, damit hat es überhaupt nichts zu tun. Hier geht es um die Grundsubstanz, nämlich, es ist eine tiefe Aversion gegenüber denen, die man Stars nennt. Immer wieder geht es darum, mein Gott, die verdienen ja doppelt so viel und so weiter. Dabei verdient ein – um es mal deutlich zu sagen –, ein Chefdirigent nichts im Vergleich zu einem ganz normalen Fußballer. Und vielleicht gibt es Bestrebungen, man könnte diesen kantigen, manchmal im Umgang etwas unglücklich agierenden, burschikosen Mann loswerden, obwohl man weiß, dass er ein einzigartiger Dirigent ist. Er ist ja im Moment der bedeutendste, deutsche Dirigent, und in dieser Preisklasse gibt es etwa fünf bis sechs auf der ganzen Welt. Und ein Weltklasseensemble wie die Münchner Philharmoniker will natürlich einen Weltklassedirigenten haben und es sollte ihn auch halten, nachdem es mit ihm seit längerer Zeit nun – es sind fünf Jahre – einen richtigen Erfolg gehabt hat und hat.

    Schäfer-Noske: Gestern dirigierte Thielemann ja in Dresden, er ist dort eingesprungen, was von einigen gleich als eine Art Antichambrieren betrachtet wurde. Ist denn Thielemann in München tatsächlich auf dem Absprung?

    Eggebrecht: Also, wenn das so bleibt, dann wird Thielemann seinen Vertrag dann noch erfüllen, aber dann würde er 2011 die Stadt verlassen. Und wenn die Stadt jetzt nicht sich noch eines Besseren besinnt, und zwar einen neuen Vertrag mit ihm aushandelt – denn immerhin, es gibt einen Stadtratsbeschluss, der sagt, wir wollen diesen Vertrag nicht verlängern mit Thielemann –, ... Eigentlich wollte Thielemann diesen alten Vertrag verlängern und er wollte aber auch ein paar Freiheiten mehr haben. Das wird ihm natürlich gerne vorgeworfen, er sei nicht der Fleißigste, er würde zu wenig Konzerte dirigieren. Er dirigiert etwa 30 Konzerte im Jahr, das ist ein knappes Drittel bei den Münchner Philharmonikern, aber man muss immerhin sehen: Thielemann hat kein zweites Orchester, er dirigiert nur ab und zu gerne mal ein anderes Orchester wie die Wiener Philharmoniker oder eben, wie jetzt, die Dresdner Staatskapelle. Da gibt es auch schon länger Beziehungen hin. Und natürlich ist es so: Wenn das schiefgehen sollte in München endgültig, dann ist natürlich unter anderem auch Dresden eine gute Option.

    Schäfer-Noske: Was bedeutet es denn, dass sich jetzt viele berühmte Kollegen Thielemanns für seinen Verbleib in München eingesetzt haben?

    Eggebrecht: Das ist ja nun das Beste vom Besten, was es überhaupt in der Musik gibt. Wenn sie diese Namen lesen – das sind wirklich nur die Größten, von Pierre Boulez bis zu Jörg Widmann, dem jungen Komponisten. Das sind alle Altersgruppen, es sind wirklich ... es ist eine edle Garde, die da drunter steht, und das hat natürlich wirklich eine Bedeutung. Solche Liaisons, solche Ehen zwischen einem bedeutenden Dirigenten und einem Orchester, das wächst zusammen, die will man erhalten wissen. Und der berühmte Fall in diesem Vertrag, um den es da ja geht – dass also Thielemann keine Verfügungsgewalt mehr haben soll über die Konzerte, die nicht unter seiner Stabführung sind, also bei Gastdirigenten und dergleichen mehr, dass dafür der Intendant das letzte Wort haben soll –, das würde sich kein Dirigent der Weltklasse, kein Dirigent von Rang gefallen lassen. Das ist eine Zumutung ersten Ranges und das ist ein, man kann nur sagen, ein wirklich kulturpolitisches Desaster, was der Münchner Stadtrat da für die Stadt München und für sein Orchester anrichtet. Es gibt ja jetzt noch einen zweiten Gedanken, dass Thielemann bisher eine Klausel hatte, dass das Orchester bei 120 Stellen bleibt und er dann auch nur dann bleibt, wenn diese 120 Stellen gesichert sind. Das war die alte Vertragsbedingung. In der neuen Vertragsbedingung kommen plötzlich Dinge rein, und es könnte sein, dass man die auch reduzieren könnte. Hier muss man sehen: Ein Symphonieorchester dieses Ranges, ein philharmonisches Orchester, kann man nicht einfach um fünf Stellen reduzieren. Die Stadt beschädigt sich und sie beschädigt ihr Orchester auf eigentlich unerhörte und unzulässige Weise.

    Schäfer-Noske: Was müsste denn die Stadt München aus Ihrer Sicht jetzt tun?

    Eggebrecht: Die Stadt München müsste, nachdem Thielemann sehr deutlich gesagt hat, dass er gerne bleiben würde, müsste die Stadt einen Weg finden, wie man wieder mit ihm ins Gespräch kommt, und die Stadt München müsste nicht in die Knie gehen und all dieser ganze Quatsch, sondern sie müsste so verhandeln, dass am Ende alle als Sieger dastehen. Und die Verhandlung kann nur so sein, dass man sagt: Wir haben einen Modus gefunden, wie wir das organisieren können und dann stehen alle stolz da. Und das Orchester hat ja wirklich sich mit mehr als zwei Dritteln für ihn und für die Verlängerung ausgesprochen.