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"Er konnte ja ein Berserker sein und war trotzdem sehr verletzbar"

Einer der großen Schauspieler des Deutschen Theaters ist tot: Sven Lehmann starb am 3. April im Alter von nur 47 Jahren. Lehmann habe sein Haus "zwölf Jahre lang entscheidend als Schauspieler mitgeprägt", sagt DT-Intendant Ulrich Khuon.

Ulrich Khuon im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: In Yasmina Rezas vor kurzem in Berlin uraufgeführten Stück "Ihre Version des Spiels" musste er die Rolle des Bürgermeisters wegen seiner Krankheit abgeben; und auch die Salzburger Festspiele, vor allem Regisseur Michael Thalheimer, müssen im Sommer bei Schillers "Jungfrau von Orleans" auf seine starke Bühnenpräsenz verzichten. Sven Lehmann, einer der großen Schauspieler des Deutschen Theaters in Berlin, ist erst 47-jährig gestorben. Er war vor allem ein Thalheimer-Schauspieler, in dessen Inszenierungen hat er den Prinz in Lessings "Emilia Galotti", Maurer John in Hauptmanns "Ratten" und den Mephisto im "Faust" gegeben. Frage an Ulrich Khuon, den Intendanten des Deutschen Theaters. Was hat die beiden denn so füreinander bestimmt?

    Ulrich Khuon: Sicher zum einen die Arbeitsweise, auch die menschlichen Eigenarten, wahrscheinlich sehr offen, sehr krass, sehr deutlich miteinander umzugehen, also sich praktisch auch im Konflikt zu finden. Das hat Sven Lehmann auch mal so beschrieben. In der ersten Begegnung bei "Emilia Galotti", da flogen zuerst mal die Fetzen und dann hat man sich praktisch zusammengekämpft. also diesen Kampfcharakter, diese Offenheit hat sie sehr verbunden. Dann sicher auch die stilistische Grundeigenart von Thalheimer, der ja sehr auf den Kern verdichtet, sehr radikal ist, und ich glaube, das ist auch eine Sehnsucht von Sven gewesen, radikal, klar zu sein. Er konnte ja ein Berserker sein und war trotzdem sehr verletzbar und sehr zart oder auch zärtlich, und das würde ich in Thalheimer so ähnlich sehen: sehr krass, aber ein sehr verletzbares Herz schlägt auch in den Inszenierungen, obwohl die so auch gewalttätig manchmal sind, und da haben die beiden sich, glaube ich, sowohl menschlich wie auch ästhetisch sehr getroffen.

    Fischer: Jetzt haben Sie schon die größten Stärken von Sven Lehmann auf der Bühne benannt. Es war tatsächlich ja sehr schwer, sich seiner schauspielerischen Präsenz zu entziehen, weil er so zart und groß und zerbrechlich zugleich wirkte. Er konnte die Durchtriebenen wie "Mephisto" genauso spielen wie die Täter, die in Wahrheit dann gerne mal die Opfer wären, und das passte natürlich auch zu dieser klaren stilistischen Handschrift von Thalheimer, weil Lehmann als Typ und an sich schon so stark wirkte.

    Khuon: Ja, genau. Die erste Erscheinung hatte vielleicht auch so was proletarisch starkes, wenn man an die "Ratten" denkt beispielsweise, also keine Figur, die schon im ersten Eindruck nervig, extrem durchlässig wirkt. Das war eher was, was so dahinter, hinter dieser kräftigen direkten Fassade lauerte oder sichtbar wurde. Aber wenn ich beispielsweise an "Unschuld" dneke, wo er ja eine kleinere Figur gespielt hat, aber deren Zerbrechlichkeit stand im Grunde relativ schnell im Zentrum. Er konnte schon auch eine ganz andere Seite zeigen.

    Fischer: Sven Lehmann hat Gastrollen im Fernsehen übernommen, er war im Polizeiruf 110 oder im Tatort zu sehen und in den Filmen "23" von Hans Christian Schmid oder dem Dreiteiler "Die Wölfe" von Friedemann Fromm. Man hätte sich ihn als Nachfolger etwa eines Claus Theo Gärtners als Josef Matula in "Ein Fall für Zwei" vorstellen können, der ja jetzt in Rente gegangen ist. Lehmanns Bestimmung war aber schon das Theater?

    Khuon: Ich glaube, auch seine Sehnsucht. Er hat sich durch und durch als Theaterschauspieler verstanden. Er hat sich dem anderen sicher nicht verweigert, das tut ja niemand, aber er hat sich als Theaterschauspieler verstanden und vor allem als Schauspieler dieses Hauses. Er hat ja das Deutsche Theater, man kann sagen, die ganze Wilms-Ära, also von 2001 bis '13, zwölf Jahre lang entscheidend als Schauspieler mitgeprägt und er hat das zu mir auch und zu anderen immer wieder gesagt: die Bühne ist sein Ort. Ich habe auch den Eindruck, dass er sehr stark über das Spielen, das Proben überhaupt Lebensfreude für sich entwickelt hat. Er ist eigentlich, glaube ich, sehr zu sich gekommen im Theater. Also dieser Ort, auch als sozialer Ort, glaube ich, war für ihn schon eine Art Sinnstiftungszusammenhang und er hat auch unglaublich viel Kontakte gehabt, nicht nur ins Ensemble hinein, auch zur Technik, auch zu anderen Mitarbeitern, und war einfach rundherum extrem beliebt, weil er auch sehr offen auf viele zuging.

    Fischer: Herzlichen Dank an Ulrich Khuon, den Intendanten des Deutschen Theaters Berlin, für diese Würdigung des Schauspielers Sven Lehmann.


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