Spengler: Vor genau 150 Jahren, am 17. Februar 1856 starb er nach langer Krankheit in Paris. Dort fand er auf dem Friedhof Montmartre seine letzte Ruhestätte. Geboren worden war er 58 Jahre zuvor in Düsseldorf, der Dichter Christian Johann Heinrich Heine. Mein Gesprächspartner jetzt ist, und das ist kein Zufall, auch in Düsseldorf, dort ist er Professor, Herausgeber des Heine Jahrbuchs und Geschäftsführer der Heinrich Heine Gesellschaft, guten Morgen Professor Joseph Kruse.
Kruse: Guten Morgen Herr Spengler.
Spengler: Herr Kruse, Veranstaltungen, Lesungen, Feierstunden - der 150 Todestag Heinrich Heines bringt allerhand mit sich, nicht nur heute. Sind Sie den ganzen Trubel langsam leid?
Kruse: Ach wissen Sie, wir werden mit Jahr und Tag erstens älter und zweites vergesslicher, und diese ewigen Gedenktage, wie ich es denn ironisch sage - alle fünf Jahre wird irgend etwas wieder nach oben geholt - muss man, glaube ich, wenn man im kulturellen Bereich tätig ist, nehmen, wie etwas, was man nicht für sich selber hat, sondern für die, die eben weniger mit diesen Dingen vertraut sind. Und wenn dann bis in den letzten Winkel auf einmal der Ruhm und der Ruf eines guten Dichters kommt, finde ich, lohnt sich der Trubel vorher schon.
Spengler: Und Heine ist es Ihnen wert?
Kruse: Heine ist es mir allemal wert.
Spengler: Warum?
Kruse: Es ist deswegen, weil ich finde, dass die Art und Weise, wie er dichtet, von den Gedichten und von der Lyrik eben, überhaupt mal von der frühen angefangen, die die meisten vielleicht doch in Vertonung kennen, aber gerade auch, was den politischen und den späten Dichter angeht, aber dann auch, weil er in den nicht typischen Formen von Texten - er ist es ja eben kein Dichter, der auf der Bühne lebt, weil die Tragödien zu unbekannt geblieben sind, er kann im Fernsehen kaum irgendwie einen Stoff bieten für ein Vorlage von irgendwas, für einen Film - dass eben doch, glaube ich, besonders in den Medien ein Autor präsent sein kann, der auch so wache und kecke und wunderbare Art zu formulieren weiß über Dinge, die ihm damals geschehen sind, die aber so formuliert, dass man sie auch heute noch mit Vergnügen lesen kann.
Spengler: Er war ja Mitte des vorletzten Jahrhunderts einer der wenigen überzeugten Demokraten, ein Dichter, der auch das Elend der Arbeiter in seinen Gedichten thematisiert hat. Macht ihn das heute noch modern?
Kruse: Ich glaube, dass gerade die Beschreibung, wenn man an das berühmte Gedicht "Die schlesischen Weber" denkt, von 1844, was damals in einem Flugblatt verteilt wurde und was zwar in ganz fortschrittlichen Zeitschriften gerade mal erschienen, in Paris, aber in Deutschland, in seinen Büchern selber, nicht gedruckt werden konnte, dann sieht man, dass er durchaus verstand, wo es lang ging, dass eben die Verhältnisse so sind, dass die Leute Recht haben, Leben zu können und das Recht des Brotes eben stärker ist, als alle anderen Bedingungen. Ich denke mal, weil auch diese Gedichte von einfachen Leuten damals auswendig gelernt, verstanden und auch immer wiederholt wurden, dass das etwas ist, was selbst heute noch in Asien zu beobachten ist. Gerade in China zum Beispiel ist eben die harmlose, hübsche Loreley eben neben den schlesischen Webern eins der Texte, die offenbar jedem chinesischen Schulkind beigebracht werden.
Spengler: Warum hat sich Heine eigentlich, oder besser anders rum, warum hat sich Deutschland eigentlich so lange so schwer getan mit Heinrich Heine? Es ist ja erst seit 1980, dass in Düsseldorf die Universität Heinrich Heine Universität heißt und vorher gab es jahrelang Auseinandersetzungen darum.
Kruse: Oh, Sie sind gnädig, Sie schenken sogar noch der Düsseldorfer Universität ganze acht Jahre.
Spengler: 88?
Kruse: Die Auseinandersetzungen sind wirklich lange und heftig geführt worden. Das sieht alles glänzender, ruhiger, manchmal fast schon zu angepasst aus. Das liegt einfach daran, dass er als Autor von Paris aus eben über Deutschland schrieb, so dass die Leute erst mal diese Art von Abstand auch Generationen lang zu überwinden hatten. Dann der zweite Punkt: Er war eben ein Außenseiter sowieso, also ein deutscher Jude, der dann zwar Protestant geworden war, aber dem nie vergessen wurde, dass er von außen kam. Er hat sich dieses schwierige, im Publikum aufgenommen sein, manchmal, finde ich, bis heute gehalten. Es gibt zwar immer so Bewegungen, wie eine Art von "Philoheinismus", wenn man so sagen will, aber im Prinzip bleiben bestimmte Vorbehalte, die also die Vorväter und -mütter gehabt haben, bleiben erstaunlicher Weise unter der Haut haften, obwohl die Verhältnisse sich in anderen Dingen längst gewandelt haben.
Spengler: Gehört dazu auch, dass er so ein Polemiker, ein Spötter war? Das ist ja auch heutzutage nicht mehr ganz so einfach, zu spotten und zu karikieren.
Kruse: Da ist er, glaube ich, sogar den heutigen Spöttern noch um viele Grade voraus. Ich habe immer den Eindruck, wenn er heute diese Personalsatiren, die er damals veröffentlich hat, veröffentlichte, gäbe es dauernd geschwärzte Stellen oder dauernd jene Stellen, wie es im "Buch Le Grand" heißt, die deutschen Zensoren - - - Dummköpfe und so weiter, nämlich nur wieder Striche. Er ist, glaube ich, gerade in dieser Art der lebhaften Beschreibung insgesamt ein Vorbild gewesen, und es scheint mir so, dass im Feuilleton er so lebt, dass doch viele von der schreibenden Zunft sich ein Vorbild nehmen am Zugriff, also Dinge so individuell zu beschreiben wie möglich und dennoch diese Dinge, die man da beschreibt, als Weltereignis zu betrachten.
Spengler: Wenn Sie einem Lesemuffel Heine empfehlen sollten, mit welchen Worten würden Sie das tun?
Kruse: Sich unbedingt an die Reisebilder zu machen und ruhig mit dem ersten Reisebild, was damals Furore gemacht hat, zu beginnen, nämlich mit der schönen heineschen Harzreise.
Spengler: Das war Professor Joseph Kruse in Düsseldorf, Geschäftsführer der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Auch von ihm gibt es ein empfehlenswertes Buch, es heißt "Heine für Gestresste". Darin finden sich die ausgewählte Bonmots und Aphorismen des Dichters.
Abschließend ein Auszug aus der "Harzreise": Das Gedicht "Auf dem Brocken"
Heller wird es schon im Osten
durch der Sonne kleines Glimmen
weit und breit die Bergesgipfel
in dem Nebelmeere schwimmen
Hätt' ich Sieben-Meilen-Stiefel
lief ich mit der Hast des Windes
über jene Bergesgipfel
nach dem Haus des lieben Kindes
Von dem Bettchen, wo sie schlummert
zög' ich leise die Gardinen
leise küsst' ich ihre Stirne
leise ihres Munds Rubinen
Und noch leiser wollt ich flüstern
in die kleinen Lilienohren:
"Denk' im Traum,
dass wir uns lieben
und dass wir uns nie verloren."
Kruse: Guten Morgen Herr Spengler.
Spengler: Herr Kruse, Veranstaltungen, Lesungen, Feierstunden - der 150 Todestag Heinrich Heines bringt allerhand mit sich, nicht nur heute. Sind Sie den ganzen Trubel langsam leid?
Kruse: Ach wissen Sie, wir werden mit Jahr und Tag erstens älter und zweites vergesslicher, und diese ewigen Gedenktage, wie ich es denn ironisch sage - alle fünf Jahre wird irgend etwas wieder nach oben geholt - muss man, glaube ich, wenn man im kulturellen Bereich tätig ist, nehmen, wie etwas, was man nicht für sich selber hat, sondern für die, die eben weniger mit diesen Dingen vertraut sind. Und wenn dann bis in den letzten Winkel auf einmal der Ruhm und der Ruf eines guten Dichters kommt, finde ich, lohnt sich der Trubel vorher schon.
Spengler: Und Heine ist es Ihnen wert?
Kruse: Heine ist es mir allemal wert.
Spengler: Warum?
Kruse: Es ist deswegen, weil ich finde, dass die Art und Weise, wie er dichtet, von den Gedichten und von der Lyrik eben, überhaupt mal von der frühen angefangen, die die meisten vielleicht doch in Vertonung kennen, aber gerade auch, was den politischen und den späten Dichter angeht, aber dann auch, weil er in den nicht typischen Formen von Texten - er ist es ja eben kein Dichter, der auf der Bühne lebt, weil die Tragödien zu unbekannt geblieben sind, er kann im Fernsehen kaum irgendwie einen Stoff bieten für ein Vorlage von irgendwas, für einen Film - dass eben doch, glaube ich, besonders in den Medien ein Autor präsent sein kann, der auch so wache und kecke und wunderbare Art zu formulieren weiß über Dinge, die ihm damals geschehen sind, die aber so formuliert, dass man sie auch heute noch mit Vergnügen lesen kann.
Spengler: Er war ja Mitte des vorletzten Jahrhunderts einer der wenigen überzeugten Demokraten, ein Dichter, der auch das Elend der Arbeiter in seinen Gedichten thematisiert hat. Macht ihn das heute noch modern?
Kruse: Ich glaube, dass gerade die Beschreibung, wenn man an das berühmte Gedicht "Die schlesischen Weber" denkt, von 1844, was damals in einem Flugblatt verteilt wurde und was zwar in ganz fortschrittlichen Zeitschriften gerade mal erschienen, in Paris, aber in Deutschland, in seinen Büchern selber, nicht gedruckt werden konnte, dann sieht man, dass er durchaus verstand, wo es lang ging, dass eben die Verhältnisse so sind, dass die Leute Recht haben, Leben zu können und das Recht des Brotes eben stärker ist, als alle anderen Bedingungen. Ich denke mal, weil auch diese Gedichte von einfachen Leuten damals auswendig gelernt, verstanden und auch immer wiederholt wurden, dass das etwas ist, was selbst heute noch in Asien zu beobachten ist. Gerade in China zum Beispiel ist eben die harmlose, hübsche Loreley eben neben den schlesischen Webern eins der Texte, die offenbar jedem chinesischen Schulkind beigebracht werden.
Spengler: Warum hat sich Heine eigentlich, oder besser anders rum, warum hat sich Deutschland eigentlich so lange so schwer getan mit Heinrich Heine? Es ist ja erst seit 1980, dass in Düsseldorf die Universität Heinrich Heine Universität heißt und vorher gab es jahrelang Auseinandersetzungen darum.
Kruse: Oh, Sie sind gnädig, Sie schenken sogar noch der Düsseldorfer Universität ganze acht Jahre.
Spengler: 88?
Kruse: Die Auseinandersetzungen sind wirklich lange und heftig geführt worden. Das sieht alles glänzender, ruhiger, manchmal fast schon zu angepasst aus. Das liegt einfach daran, dass er als Autor von Paris aus eben über Deutschland schrieb, so dass die Leute erst mal diese Art von Abstand auch Generationen lang zu überwinden hatten. Dann der zweite Punkt: Er war eben ein Außenseiter sowieso, also ein deutscher Jude, der dann zwar Protestant geworden war, aber dem nie vergessen wurde, dass er von außen kam. Er hat sich dieses schwierige, im Publikum aufgenommen sein, manchmal, finde ich, bis heute gehalten. Es gibt zwar immer so Bewegungen, wie eine Art von "Philoheinismus", wenn man so sagen will, aber im Prinzip bleiben bestimmte Vorbehalte, die also die Vorväter und -mütter gehabt haben, bleiben erstaunlicher Weise unter der Haut haften, obwohl die Verhältnisse sich in anderen Dingen längst gewandelt haben.
Spengler: Gehört dazu auch, dass er so ein Polemiker, ein Spötter war? Das ist ja auch heutzutage nicht mehr ganz so einfach, zu spotten und zu karikieren.
Kruse: Da ist er, glaube ich, sogar den heutigen Spöttern noch um viele Grade voraus. Ich habe immer den Eindruck, wenn er heute diese Personalsatiren, die er damals veröffentlich hat, veröffentlichte, gäbe es dauernd geschwärzte Stellen oder dauernd jene Stellen, wie es im "Buch Le Grand" heißt, die deutschen Zensoren - - - Dummköpfe und so weiter, nämlich nur wieder Striche. Er ist, glaube ich, gerade in dieser Art der lebhaften Beschreibung insgesamt ein Vorbild gewesen, und es scheint mir so, dass im Feuilleton er so lebt, dass doch viele von der schreibenden Zunft sich ein Vorbild nehmen am Zugriff, also Dinge so individuell zu beschreiben wie möglich und dennoch diese Dinge, die man da beschreibt, als Weltereignis zu betrachten.
Spengler: Wenn Sie einem Lesemuffel Heine empfehlen sollten, mit welchen Worten würden Sie das tun?
Kruse: Sich unbedingt an die Reisebilder zu machen und ruhig mit dem ersten Reisebild, was damals Furore gemacht hat, zu beginnen, nämlich mit der schönen heineschen Harzreise.
Spengler: Das war Professor Joseph Kruse in Düsseldorf, Geschäftsführer der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Auch von ihm gibt es ein empfehlenswertes Buch, es heißt "Heine für Gestresste". Darin finden sich die ausgewählte Bonmots und Aphorismen des Dichters.
Abschließend ein Auszug aus der "Harzreise": Das Gedicht "Auf dem Brocken"
Heller wird es schon im Osten
durch der Sonne kleines Glimmen
weit und breit die Bergesgipfel
in dem Nebelmeere schwimmen
Hätt' ich Sieben-Meilen-Stiefel
lief ich mit der Hast des Windes
über jene Bergesgipfel
nach dem Haus des lieben Kindes
Von dem Bettchen, wo sie schlummert
zög' ich leise die Gardinen
leise küsst' ich ihre Stirne
leise ihres Munds Rubinen
Und noch leiser wollt ich flüstern
in die kleinen Lilienohren:
"Denk' im Traum,
dass wir uns lieben
und dass wir uns nie verloren."