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"Er war ein Humanist"

Heinz Dieterich ist Politologe und war zeitweise informeller Berater des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Er beschreibt den umstrittenen Staatschef, der jetzt seinem Krebsleiden erlag, als demokratisch und christlich. Sein großes Ziel sei es gewesen, Lateinamerika zu vereinigen.

Heinz Dieterich im Gespräch mit Mario Dobovisek | 06.03.2013
    Christiane Kaess: Der venezolanische Präsident Hugo Chávez ist gestern Nachmittag seiner Krebskrankheit erlegen. In Venezuela selbst wird nach seinem Tod getrauert, weltweit gibt es Reaktionen. Mein Kollege Mario Dobovisek hat gestern Abend mit Heinz Dieterich gesprochen. Er ist Politologe und war zeitweise informeller Berater des venezolanischen Präsidenten. Er hat ihn zuerst gefragt: Was bedeutet Chávez' Tod für Venezuela?

    Heinz Dieterich: Ja glücklicherweise ist es dem Präsidenten Chávez gelungen, eine funktionierende institutionelle Demokratie zu schaffen, sodass für die nächsten fünf, sechs Jahre eigentlich keine größeren chaotischen Umtriebe in Venezuela stattfinden werden. Die Entwicklung, ökonomisch und wirtschaftlich, wird weitergehen wie vorher. Er lässt allerdings eine große Lücke im lateinamerikanischen Vereinigungsbestreben, weil er praktisch derjenige war, der Architekt dessen, was erreicht wurde, was es in der Geschichte nie gegeben hat: wirtschaftliche und politische Vereinigung in Südamerika.

    Mario Dobovisek: Hat er denn versäumt, diese Lücken rechtzeitig zu schließen?

    Dieterich: Ja, es fällt den großen Führern immer schwer, Nachfolger zu finden, wie wir das in China gesehen haben, in der Sowjetunion, und das ist in Kuba so und das ist in Venezuela so. Aber er hat nun glücklicherweise Nicolas Maduro auserwählt und unter den verfügbaren Kandidaten ist Maduro wohl auch noch der geeignetste, würde ich sagen, so dass keine Katastrophe vorherzusehen ist.

    Dobovisek: Wer war Hugo Chávez als Mensch?

    Dieterich: Ich würde sagen, er war ein Humanist. Für viele Leute, die die Mentalität der Militärs nicht kennen, ist das wahrscheinlich ein Widerspruch. Aber es gibt unter den Militärs unterschiedliche soziale Kräfte wie in der Gesellschaft überhaupt, und er gehörte zu denjenigen, die demokratisch waren und humanitär waren, und christlich natürlich, was eine wesentliche Komponente ist. Und sein großes Ziel war, die Situation der Bevölkerung zu verändern und Lateinamerika zu vereinigen und unabhängig zu machen, und das hat er auf friedliche Weise gemacht und institutionelle Weise, und deshalb wird er in der Bevölkerung heute sehr hoch geehrt, in Venezuela und in ganz Lateinamerika im Grunde.

    Dobovisek: Wie war Ihr persönlicher Eindruck von Hugo Chávez? Sie haben ihn kennen gelernt, Sie haben ihn beraten. Wie hat er die Beratung angenommen?

    Dieterich: Ja, wir haben uns als Freunde definiert, weil Beratung häufig damit zusammenhängt, dass man Beraterverträge hat, dass Honorare gezahlt werden und so weiter. Aber wir haben uns als Freunde definiert und konnten daher offen miteinander sprechen und ich hatte meine Freiheit, als Freund ihm zu sagen, was ich für falsch halte und was ich für richtig halte. Und er hat mich immer mit Respekt behandelt, sowohl öffentlich als auch in den internen Versammlungen der Gouverneure in Venezuela und so weiter, so dass ich nur mit Hochachtung von ihm sprechen kann. Er war respektvoll mir gegenüber, er war solidarisch und war ein außerordentlich guter Zuhörer, ein sehr intelligenter Aufnehmer neuer Informationen und so weiter. Er war schon eine außergewöhnliche Persönlichkeit.

    Kaess: Mein Kollege Mario Dobovisek im Gespräch mit Heinz Dieterich, er ist Politologe und war zeitweise informeller Berater des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.