In den frühen Morgenstunden steuert Martin Breuer sein schweres Elektroauto über die Landstraße von Estlands Hauptstadt Tallin gen Südwesten. Rechts und links erstrecken sich dichte Wälder: "Wir sind auf dem Weg zur Insel Muhu, eine der 2222 estnischen Inseln.", sagt er:
"Die Landschaft ist ziemlich flach. Estland hat noch sehr viel unberührte Natur. Hinter den Bäumen sehen wir Sümpfe – und das ist vielleicht mit das Schönste hier: sie sind nicht trockengelegt und haben eine große Biodiversität, Fauna und Flora."
Beim Anleger in Virtsu fährt Breuer auf die hochmoderne Fähre, die ihn nach Muhu bringen wird, die drittgrößte Insel Estlands. Auf jeder Seite des Ufers kann der Wagen an Aufladestationen angeschlossen werden und Strom "tanken". Ich bin Holländer und bin hier in Estland hängengeblieben – mit großer Freude." Und zwar in Pädaste. Martin Breuer kaufte das alte Herrenhaus auf Muhu vor zwanzig Jahren zusammen mit einem estnischen Freund, der ihn Anfang der neunziger Jahre nach Estland gelockt hatte.
Eine Allee führt zum Haupthaus, im Park weiden schottische Hochlandrinder. Ein Paradies, in das viel Geld und Arbeit gesteckt wurde, erzählt Breuer:
"Von Anfang Mai bis Mitte September ist es hier einfach fabelhaft. Die Landschaft ist wunderschön, sie ist Teil des Projekts natura 2000. Man ist hier in einem Naturreservat: Kein Haus weit und breit, keine Licht- und Luftverschmutzung."
"Die Landschaft ist ziemlich flach. Estland hat noch sehr viel unberührte Natur. Hinter den Bäumen sehen wir Sümpfe – und das ist vielleicht mit das Schönste hier: sie sind nicht trockengelegt und haben eine große Biodiversität, Fauna und Flora."
Beim Anleger in Virtsu fährt Breuer auf die hochmoderne Fähre, die ihn nach Muhu bringen wird, die drittgrößte Insel Estlands. Auf jeder Seite des Ufers kann der Wagen an Aufladestationen angeschlossen werden und Strom "tanken". Ich bin Holländer und bin hier in Estland hängengeblieben – mit großer Freude." Und zwar in Pädaste. Martin Breuer kaufte das alte Herrenhaus auf Muhu vor zwanzig Jahren zusammen mit einem estnischen Freund, der ihn Anfang der neunziger Jahre nach Estland gelockt hatte.
Eine Allee führt zum Haupthaus, im Park weiden schottische Hochlandrinder. Ein Paradies, in das viel Geld und Arbeit gesteckt wurde, erzählt Breuer:
"Von Anfang Mai bis Mitte September ist es hier einfach fabelhaft. Die Landschaft ist wunderschön, sie ist Teil des Projekts natura 2000. Man ist hier in einem Naturreservat: Kein Haus weit und breit, keine Licht- und Luftverschmutzung."
Spiegel Estlands wechselvoller Geschichte
Vor hundert Jahren war Pädaste noch im Besitz einer einflussreichen baltendeutschen Familie – der letzte Eigentümer, Alexander von Buxthoeveden, wurde 1919 auf Muhu von den Kommunisten brutal ermordet. Später, während des Zweiten Weltkriegs, hatte erst das deutsche, ab 1941 das sowjetische Heereskommando dort sein Hauptquartier. Nach dem Krieg lagerten in den Kellern von Pädaste Fische, und später war es Sitz eines Altersheims – bis 1980 das Dach kaputtging, erzählt Martin Breuer:
"Anstatt das Dach zu reparieren, wurden die Alten umgesetzt. Eine ganz traurige Geschichte, denn man brachte sie in ein Heim für psychisch Kranke, etwa 60 Kilometer von hier. Wahrscheinlich hat sie da niemand mehr besucht. Dann stand das Haus leer, bis wir es kauften."
Heute ist Pädaste ein kleines Luxusresort. Die Geschichte des Hauses ist präsent, und in Erinnerung an den einstigen Buxthoeveden‘schen Besitzer trägt das Gourmetrestaurant den Namen "Alexander" – vielleicht eine Möglichkeit, die deutschbaltische Geschichte mit der estnischen zu verknüpfen.
1.200 Herenhäuser allein in Estland
Wer in Estland eine Allee mit alten Bäumen sieht, kann sicher sein, dass sie zu einem Herrenhaus oder historischen Gutshof führt, sagt Riin Alatalu vom estnischen Denkmalamt: "Ein Gutshaus ist eine wirtschaftliche Einheit, die vom Adel betrieben wurde. Das Land war in Estland und dem nördlichen Lettland über Jahrhunderte unter 200 adligen Familien aufgeteilt. Allein in Estland gab es 1200 Herrenhäuser mit den dazugehörigen Gebäuden. Das Land ist also voll von ihnen."
Ungefähr dreihundert davon sind renoviert. Die engagierte Kunsthistorikerin ist dabei, die einstigen Herrenhäuser in allen drei baltischen Staaten miteinander zu vernetzen und touristisch aufzubereiten.
Einst Symbole der Knechtschaft
Doch geht es es geht nicht allein umTourismus so, Riin Alatalu : "Die Geschichte der Herrenhäuser ist ziemlich komplex. Für uns Esten waren sie das Symbol der Knechtschaft, fast einer Art Sklaverei. Das Leben für die Esten war ausgesprochen hart, und so gab es viele Spannungen zwischen Deutschbalten und Esten."
"Das deutschbaltische Erbe interessiert mich sehr, ich habe dazu eine gute Büchersammlung.", sagt Eerik Kross. Der Fünfzigjährige ist Abgeordneter im estnischen Parlament - und eine schillernde Figur. Er war der erste und jüngste Botschafter Estlands in London, Chef des Geheimdienstes, Sicherheitsberater. Nicht nur das: der Historiker und Sohn des berühmten estnischen Schriftstellers Jan Kross, ist auch Besitzer eines Herrenhauses: Kao. Es liegt eine gute Stunde südöstlich der Hauptstadt Tallinn.
"In gewisser Weise soll dieses Herrenhaus für die Gemeinde das sein, was es auch schon früher war: eine Art Kulturzentrum. Die Leute aus der Umgebung kommen zu Konzerten, arbeiten hier. Es ist allerdings nichts, womit man viel Geld verdienen kann, eher das Gegenteil. Aber es gibt einem auf andere Art etwas zurück."
In regelmäßigen Abständen veranstaltet Eerik Kross in Kao deutsch-estnische Tagungen zu dem seinerzeit erfolgreichen Dramatiker August von Kotzebue – einem Zeitgenossen Goethes. Sein Sohn, Otto von Kotzebue, mehrfacher Weltumsegler und Forschungsreisender im Dienste des russischen Zaren, kaufte Kao 1830 als Alterssitz und starb auch dort. Nach mehrfachen Besitzerwechseln und Leerstand erwarb es Eerik Kross. Es war in desolatem Zustand, aber seit 2012 ist die Renovierung abgeschlossen.
"Das Haus hat eine lange Geschichte.", sagt Kross: "Wir sind historisch sehr interessiert und möchten das auch gern vermitteln. So hat es hier einige Aspekte eines Museums. Aber wir möchten nicht, dass man gar nichts berühren darf und sich fremd fühlt. Man kann die Möbel alle benutzen und sich zuhause fühlen."
Ambivalenter Blick auf das baltisch-deutsche Erbe
Die estnische Geschichtsschreibung hat die Rolle der Deutschbalten häufig negativ beschrieben. Heute, sagt der Schriftsteller Rein Raud aus Tallinn, in dessen neuem Roman ein Herrenhaus Schauplatz der Handlung ist, würde man das Erbe der Deutschbalten differenzierter betrachten:
"Eigentlich sollte man sagen, dass der offizielle Blick auf estnische Geschichte in den 1920er- und 30er-Jahren das baltisch-deutsche Erbe aus unserer Geschichte verdrängt hat. Ich glaube, es ist jetzt Zeit, dass wir ehrlich gestehen sollen, dass auch die deutsche Kultur ein Teil der estnischen Kultur ist."
In Vääna, eine Schule, die etwa 40 Kilometer westlich von Tallinn liegt. Vääna, ein kleines Dorf von 250 Einwohnern, ist bekannt durch sein prachtvolles lang gestrecktes Herrenhaus im Stil des Spätbarocks. Es liegt in einem zwölf Hektar großen Park. Wo früher die deutschbaltische Oberschicht residierte, sind heute Klassenzimmer.
Englischlehrerin Anneli Sirp unterrichtet ihre acht Schüler, darunter Arthur, ganz klassisch mit Heften und Büchern – und das im digitalisiertesten Land Europas, "Diese Schule ist frei", so Anneli Sirp: "jedes Kind kann kommen. Das ist eine kleine Schule, es gibt nicht viel mehr Räume hier, und es gibt in der Umgebung eigentlich viele Kinder, aber es gibt auch viele Schulen, alle zehn Kilometer in jede Richtung gibt es eine Schule."
Vääna gehörte ursprünglich der deutschbaltischen Familie von Stackelberg. Berühmt war der Maler, Archäologe und Schriftsteller Otto Magnus von Stackelberg, der im ausgehenden 18. Jahrhundert in Vääna lebte. In dem Kuppelsaal, in dem sich einst seine Kunstsammlung befand, unterrichtet Katrin Järvlepp nun Musik.
"Hier ist viel Geschichte, es gibt schöne Räume und viele Möglichkeiten. Wir haben viele solche Räume, wo ich Musikstunden machen kann."
Ortswechsel: Padise - eine Klosterruine und ein frisch saniertes Herrenhaus - liegt knapp vierzig Kilometer südwestlich von Vääna. Ein junger Mann öffnet die Tür:
"Ich bin Karl von Ramm, 33 Jahre alt, ein Amerikaner mit deutschbaltischen Wurzeln in Estland."
Wurzeln, die nach Padise reichen, wo die von Ramms ab 1622 bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs lebten. Nun ist Karl von Ramm, der International Business und Hotelwesen in Philadelphia studiert hat, ins Land seiner Vorfahren zurückgekehrt. "Familienbande" sagt er und zuckt mit den Schultern, als sei das eine höhere Gewalt. Vor sieben Jahren kam der Selfmademan nach Estland, lernte die schwierige Sprache mit ihren vierzehn Fällen und heiratete eine Estin. Das Haus baute er nach alten Plänen originalgetreu wieder auf. Heute ist Padise ein gut laufendes Hotel mit 25 Zimmern, das ganzjährig geöffnet hat, so Karl Ramm:
"Wir haben drei Millionen investiert und sind vermutlich das einzige, komplett selbstständig finanzierte Herrenhaus in Estland. Die meisten werden mit EU-Geldern gefördert. Wir nicht. Es wäre das letzte, die Regierung zu fragen. Der traut man eh nicht über den Weg. Also, wir haben nie etwas bekommen, weil wir auch nie daran gedacht haben. Aber so konnten wir schneller handeln, und es so machen, wie wir wollten. Damit sind wir sehr zufrieden."
Die Geschichte der Herrenhäuser wird inzwischen erforscht, Reisebüros bieten Touren zu ihnen an und Schriftsteller freuen sich über Stipendien in einer der schönen Residenzen. Vergangenes erlebt nun ein Comeback in neuem Gewand.